Sexismus- und Missbrauchsfälle gehören an die Öffentlichkeit
Der dokumentarische Film „She Said“verschafft sexuell genötigten Frauen Gehör. Weit mehr als ein wichtiger Beitrag für die #metoo-Bewegung
Viele Frauen kennen es: Ein unerwünschter Grapscher an den Po oder die Hüfte, nerviges Hinterherpfeifen und deplatzierte, obszöne Anmachsprüche – die Liste ist lang. Catcalling, gar sexuelle Belästigung stehen oftmals auf der Tagesordnung. Auch am Arbeitsplatz sind sexuelle Übergriffe offenbar keine Seltenheit. Und in der Hollywood-Branche schon gar nicht.
Im biografischen Film „She Said“(2022) stoßen die zwei New York Times Journalistinnen, Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan), bei ihren Recherchen über Sexismus und sexueller Nötigung im Berufsleben, insbesondere in der Filmindustrie, immer wieder auf die Filmfirma Miramax und den bekannten Produzenten Harvey Weinstein. Die Vorwürfe gegenüber dem Hollywood-Guru häufen sich, die Anschuldigungen werden immer heftiger und reichen bis zur Vergewaltigung. Dabei gehen die Fälle bis in die 90er-Jahre zurück. Die Mehrheit der betroffenen Frauen – sowohl Schauspielerinnen als auch Mitarbeiterinnen – hat jedoch bis zu den Investigationen der Journalistinnen im Jahr 2016 geschwiegen. Abfindungen sowie Schweigegelder und -klauseln sind nicht der einzige Grund dafür.
Sexistische Verfahren am Pranger
Vielmehr sind es die sexistische Gesellschaft und die Arbeitspolitik vieler Firmen, die Opfer sexueller Übergriffe (am Arbeitsplatz) einschüchtern und dazu bringen, sich nicht zu den Missbrauchsfällen zu äußern. Täter werden in Schutz genommen, Frauen oftmals in der Öffentlichkeit als Lügnerinnen bloßgestellt.
„Es geht um mehr als nur um Weinstein. Es geht um das System, das Missbrauchstäter schützt“, betont eine der New York Times Journalistinnen in Maria Schraders Dokumentardrama. Und genau diese Verfahren sollen aufgedeckt und an den Pranger gestellt werden.
Der Film beruht dabei auf dem 2019 erschienen Buch „#MeToo. Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“, das den Weinstein-Skandal aufgreift. Harvey Weinstein wurde 2020 aufgrund seiner Sexualvergehen zu über 20 Jahren Haft verurteilt. Maria Schraders (Regie) und Rebecca Lenkiewicz’ (Drehbuch) 129-minütiger Film zeichnet keinesfalls das Porträt eines der berühmtesten und einflussreichsten Männer Hollywoods. Anders, als es beispielsweise in der Jeffrey Dahmer-Serie der Fall ist, stehen hier die Geschichten der Opfer im Fokus. Einen Hype um die Person Weinsteins wird es damit glücklicherweise wohl kaum geben.
Eine Stimme für Schweigende
Es wird jenen Frauen Gehör verschaffen, die so lange schweigen mussten. „Es war, als hätte er mir an jenem Tag die Stimme genommen“, so beschreibt Laura Madden (Jennifer Ehle) den sexuellen Missbrauch in einem Interview mit Jodi. „Glauben Sie wirklich, dass er aufhört, wenn ich es mache?“, fragt eine der Betroffenen in Bezug auf die Möglichkeit, ihre Geschichte publik zu machen. Leider ist der Weg bis zur Veröffentlichung
der Story der beiden Journalistinnen alles andere als einfach. Viele der Interviewpartnerinnen wollen nicht namentlich genannt werden oder lehnen Treffen sogar ab. Minutiös werden hier die Vorgehensweisen von Jodi und Megan geschildert. Eine nervenzerreißende, emotional belastende Arbeit, die sich allmählich auch in das Privatleben beider Reporterinnen einschleicht.
Authentische und maßgebende Produktion
Rational und nah an der Realität; so könnte man den Film verschlagworten. Manche der betroffenen Schauspielerinnen waren sogar an der Produktion beteiligt. Ashley Judd spielt sich selbst und die Stimme von Gwyneth Paltrow ist ebenfalls zu hören.
Dazu mischen sich die Kamera-Closeups, die mal Google- und Wikipediasuchen von Judi und Megan zeigen, mal Einblicke in die Redigierarbeit im Newsroom der New York Times geben. Authentisch wird hier der Alltag in einer Redaktion veranschaulicht.
Wie alltäglich Sexismus tatsächlich ist, zeigt eine Szene, in der die beiden Journalistinnen in einer Bar von einem Mann angebaggert werden, ablehnen und daraufhin als „frigide Schlampen“bezeichnet werden. Das Wort „Nein“scheint also längst noch nicht jeder Mann bedingungslos hinzunehmen ...
Mit „She Said“ist den beiden Produzentinnen ein grandioser Film gelungen, der, neben der Buchveröffentlichung, ein wichtiger Beitrag der #metoo-Bewegung ist. Denn immerhin steht bis heute noch immer die zentrale Frage im Raum: „Kannst du dir vorstellen, wie viele Harveys es da draußen gibt?“