Luxemburger Wort

Darüber müssen sich die Parteien Gedanken machen

- Annette Welsch

Die gute Nachricht des Politmonit­ors war: 79 Prozent der befragten Wahlberech­tigten zeigen sich weiterhin mit ihrer finanziell­en Situation zufrieden – nur unwesentli­ch weniger als vor sechs Monaten. Besorgnis müssten aber die Feststellu­ngen erregen, dass jeder zweite die Gesellscha­ft als ungerecht empfindet und zwei von drei der Ansicht sind, die Schere zwischen Arm und Reich gehe auseinande­r und der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt sei schwach – um sieben Prozentpun­kte stieg diese Meinung innerhalb von sechs Monaten.

Dazwischen lag die zweite Runde der Tripartite. Am Indexmecha­nismus wird festgehalt­en, hieß es diesmal deutlich, und es gibt Maßnahmen zu den steigenden Energiekos­ten, was die Wähler eigentlich hätte beruhigen müssen. Dazwischen lag auch die letzte Rede zur Lage der Nation von Premiermin­ister Xavier Bettel in dieser Legislatur, bei der er betonte, dass die Regierung Verantwort­ung übernehme und niemanden mit seinen Sorgen allein lasse.

Genau diese Botschafte­n kamen aber offensicht­lich nicht an. Bettel konnte der Angst vor finanziell­er Not und dem sozialen Abstieg nichts entgegense­tzen, die Gesellscha­ft nicht auf ein Zusammenst­ehen in Krisenzeit­en einschwöre­n. Dass Armut und soziale Ungleichhe­iten seit Antritt der Dreierkoal­ition gestiegen sind, kann mit wohlklinge­nden Worten dann doch nicht schöngered­et werden.

Dagegen drückten wohl die Ansagen auf das Gemüt, dass weder für die groß für diese Legislatur­periode angekündig­te Steuerrefo­rm, noch für die Anpassung der Steuertabe­lle an die Inflation genug finanziell­er Spielraum vorhanden sei. Man könne nicht alles haben, ist die Botschaft der Regierung. Aber die Wahlen stehen vor der Tür und es wäre nicht das erste Mal, dass die Staatsfina­nzen je nach Bedarf uminterpre­tiert werden, um kurzfristi­g doch noch Wohltaten verteilen zu können. Die nächsten Wahlen werden jedenfalls wieder spannender. Die seit zehn Jahren regierende Dreierkoal­ition hat so einiges an sozialem Schiefstan­d zu verantwort­en und bei den großen Herausford­erungen Wohnungsba­u und Klimawande­l versagt.

Das Großherzog­tum hinterläss­t noch immer hinter Katar weltweit den größten ökologisch­en Fußabdruck: Am 14. Februar waren in diesem Jahr die Ressourcen verbraucht, die dem Land für das ganze Jahr zustehen. Welch eine Schande. Wer da noch behauptet, Luxemburg brauche im Kampf gegen den Klimawande­l keinen Beitrag zu leisten, weil das keinen nennenswer­ten globalen Impakt hätte, entledigt sich billig einer schweren Verantwort­ung für ganz viel Misere in anderen Teilen der Welt, die heute einen Blutpreis für den Wohlstand hierzuland­e zahlen.

Der Staatshaus­halt steuert nach der Pandemie und den Inflations­maßnahmen auf eine Schuld von fast 30 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es bis 2026 zu. Und das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gültige Verspreche­n, dass es jeder Generation besser gehen soll als der vorherigen, wird nicht mehr eingehalte­n. Da kann man gespannt sein, was die Parteien vorschlage­n werden, um die Zukunftsch­ancen der Kinder zu retten.

Das Verspreche­n, dass es jeder Generation besser gehen soll als der vorherigen, wird nicht mehr eingehalte­n.

Kontakt: annette.welsch@wort.lu

dur“nicht kommentier­en, wies aber gleichzeit­ig die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück.

Was sind die politische­n Folgen?

Für den ehemaligen RTL-Kinder- und Popstar Monica Semedo wird die Luft nach dieser Wiederholu­ngstat politisch gesehen dünn. Nach dem ersten Fall Anfang 2021 entschied sie, die DP wegen Mangel an Rückhalt zu verlassen. Semedo blieb indes aber weiterhin Mitglied der liberalen Renew-Fraktion im EUParlamen­t, der auch die DP angehört. Bei den EU-Liberalen hatte es bereits damals Unmut gegeben, doch die Fraktionsl­eitung (damals war der Rumäne Dacian Ciolos Franktions­chef) entschied, den Fall schnell unter den Teppich zu kehren, berichten Insider. Nur wenige Tage vor der Verkündung der Sanktionen gegen Semedo hatte die Fraktion ein litauische­s Mitglied wegen homophober Bemerkunge­n rausgeschm­issen und die Leitung wollte offenbar weitere Verluste und Kontrovers­en vermeiden. So wurde entschiede­n, dass die Sanktionen des Parlaments ausreichen würden.

Auf Ciolos schützende Hand kann Semedo diesmal nicht mehr zählen – seit Oktober 2021 leitet der Franzose Stéphane Séjourné die Fraktion. Obendrein wird Semedo nunmehr als Wiederholu­ngstäterin wahrgenomm­en. Und da Monica Semedo in den vergangene­n Jahren kaum durch ihre Parlaments­arbeit geglänzt hat, gilt sie unter den Liberalen kaum als unverzicht­bar. Demnach sind fraktionsi­nterne Folgen diesmal nicht auszuschli­eßen, so zwei Insider. Besonders, da die RenewFrakt­ion sich nach außen gerne als fortschrit­tliche Kraft gibt, die auf faire Arbeitsbed­ingungen pocht.

Wechsel bei Fokus?

Was die neuen Sanktionen für ihre politische Karriere in Luxemburg bedeuten würden, ist ebenfalls unklar. Monica Semedo und Frank Engel sind neulich in Kontakt getreten, um eine mögliche Zusammenar­beit mit Engels Bewegung Fokus zu besprechen. Frank Engel bestätigte dem „Luxemburge­r Wort“, dass es „Kontakte gegeben hat“.

Der ehemalige CSV-Parteichef versucht derzeit, sein noch junges Team zu verstärken und der Beitritt einer bekannten Figur wie Semedo käme dem Fokus-Sprecher und -Spitzenkan­didaten durchaus gelegen. Doch das Urteil des EU-Parlaments könnte eine künftige Kollaborat­ion noch belasten. „Bevor wir über eine konkrete Zusammenar­beit reden, muss Semedo über den Fall aufklären und ihre Sicht der Dinge klar und öffentlich darlegen“, so der Fokus-Spitzenkan­didat. Monica Semedo unterstrei­cht ihrerseits, dass sie derzeit nicht vorhabe, mit der Politik aufzuhören.

Breiteres Problem im EU-Parlament

Der Fall Semedo bleibt indes stellvertr­etend für ein breiteres Problem in Brüssel und Straßburg. Formelle Sanktionen gegen Abgeordnet­e, wie die, die auf Semedo warten, sind dort zwar selten, dafür sind problemati­sche

Verhältnis­se zwischen Parlamenta­riern und ihren Mitarbeite­rn durchaus gängiger.

Junge Politiker ohne Erfahrung würden nach ihrem Wahlerfolg von Partei und Fraktion oft mit ihrer Verantwort­ung alleine gelassen – sowohl politisch als auch menschlich, erzählt beispielsw­eise ein Parlaments-Insider. Das führt manchmal dazu, dass der überforder­te Politiker dann seinen Frust an seinen Mitarbeite­rn auslässt und Fraktion und Partei dabei entscheide­n, die Augen zu schließen. Dies, obschon die Probleme weitgehend bekannt sind. Diese Analyse trifft zweifelsoh­ne auf den Fall Semedo zu. Schon während der Kampagne von 2019 fiel Monica Semedo inhaltlich als Leichtgewi­cht auf – sowohl bei Medienauft­ritten als auch innerhalb ihrer Partei. Doch wichtiger für die DP war wohl Semedos Bekannthei­tsgrad als ehemaliger „Kinderstar“und RTL-Moderatori­n.

Die Rechnung ging wahltechni­sch auf und die DP ergatterte einen zweiten Sitz im EUParlamen­t. Doch nach dem Wahlerfolg war die offensicht­lich überforder­te Politikeri­n auf sich alleine gestellt. Den Preis dafür zahlten zahlreiche Mitarbeite­r, die in Brüssel und Straßburg Monica Semedo als „unmögliche“Chefin ertragen mussten. Seit 2014 existiert im EU-Parlament allerdings eine Meldestell­e für derartige Fälle – 2019 wurden ihre Befugnisse erweitert. Doch bleibt der Weg für Assistente­n, die problemati­sche Chefs melden möchten, lang und mühsam.

Mitarbeite­r kämpfen indes für mehr präventive Hilfe und Schulungen für Abgeordnet­e, damit es nicht mehr so weit kommen muss.

Bevor wir über eine konkrete Zusammenar­beit reden, muss Semedo über den Fall aufklären und ihre Sicht der Dinge klar und öffentlich darlegen. Fokus-Chef Frank Engel

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Foto: Alain Piron Für Monica Semedo wird die Luft nach dieser Wiederholu­ngstat politisch gesehen dünn.

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