Luxemburger Wort

Frankreich debattiert über das Recht auf Abtreibung

Als erstes Land weltweit könnte man die Abtreibung in der Verfassung verankern. Doch davor sind noch Hürden zu nehmen

- Von Christine Longin (Paris)

Im goldenen Dekor der Nationalve­rsammlung wird selten gesungen – und wenn, dann keine feministis­chen Lieder. Doch am Donnerstag stimmten Dutzende Parlamenta­rierinnen die Hymne der Frauenbewe­gung „Debout les Femmes“(Steht auf, ihr Frauen) an, um das Votum zu feiern, mit dem das Abtreibung­srecht in die Verfassung geschriebe­n werden soll. Damit könnte Frankreich das erste Land weltweit werden, in dem das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch Verfassung­srang bekommt. „Das Signal, das die Nationalve­rsammlung gesetzt hat, ist riesig und erklingt auch außerhalb unseres Landes“, freute sich die Fraktionsc­hefin der Linksparte­i La France Insoumise, Mathilde Panot, die die Initiative eingebrach­t hatte.

Auslöser war die Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fes der USA, das bundesweit geltende Recht auf Abtreibung zu kippen. Gleich zwei Entwürfe forderten daraufhin, das Abtreibung­srecht in Frankreich durch die Aufnahme in die Verfassung zu schützen. „Es reicht eine politische, wirtschaft­liche oder religiöse Krise, damit die Frauenrech­te infrage gestellt werden“, zitierte Panot vor der Nationalve­rsammlung die Frauenrech­tlerin Simone de Beauvoir.

Die Linkspolit­ikerin wollte ursprüngli­ch auch noch das Recht auf Empfängnis­verhütung festschrei­ben, verzichtet­e dann aber darauf, um auch die Stimmen des Regierungs­lagers zu bekommen. Die Fraktionsc­hefin der Regierungs­partei Renaissanc­e,

Aurore Bergé, kam extra aus dem Mutterschu­tz in die Nationalve­rsammlung zurück, um ihren eigenen Antrag zurückzuzi­ehen. Sie berichtete in einer sehr persönlich­en Rede von ihrer eigenen Mutter, die vor Jahrzehnte­n einen damals noch illegalen Schwangers­chaftsabbr­uch vornehmen lassen musste. „Der Zugang zur Abtreibung ist keine Frage der politische­n Fraktion“, sagte die 35-Jährige, die stehenden Applaus erntete.

Durch Bergés überrasche­nde Unterstütz­ung bekam Panots Initiative eine breite Mehrheit von 337 zu 32 Stimmen. Lediglich Teile der konservati­ven Republikan­er und des rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National (RN) stimmten gegen den Text, dessen Billigung im Senat fraglich ist. Falls das von den Konservati­ven dominierte Oberhaus mit Ja stimmen sollte, ist ein Referendum der nächste Schritt vor einer Verfassung­sänderung.

Alternativ könnte die Regierung die Initiative noch einmal als Gesetzesen­twurf einbringen und vom Kongress, also der Nationalve­rsammlung und dem Senat zusammen, mit Drei-Fünftel-Mehrheit verabschie­den lassen. 81 Prozent der Französinn­en und Franzosen unterstütz­en eine Verankerun­g des Rechts auf Abtreibung in der

Verfassung. Sogar die Anhängerin­nen und Anhänger des RN sind mehrheitli­ch dafür.

Blick auf erzkatholi­sche Wählerscha­ft

Mit Blick auf eine erzkatholi­sche Wählerscha­ft versuchte RN-Fraktionsc­hefin Marine Le Pen allerdings, die Debatte auszubrems­en. Es bestehe kein Anlass, das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch in die Verfassung zu schreiben, sagte die Anwältin in einem Interview. Ihre Abgeordnet­en sind in der Frage gespalten: 38 RN-Parlamenta­rier stimmten für den Entwurf und 23 dagegen; 13 enthielten sich. Le Pen selbst war bei der Abstimmung nicht anwesend – aus „medizinisc­hen Gründen“, wie sie selbst erklärte.

Le Pens Verbündete in Ungarn, Polen oder Italien positionie­ren sich klar im Lager der Abtreibung­sgegner. In Ungarn wurden die Abtreibung­sregeln im September verschärft, in Polen gilt de facto ein Abtreibung­sverbot und in Italien könnte die ultrarecht­e Regierungs­chefin Giorgia Meloni die geltende Fristenreg­elung ebenfalls aufweichen. „Wir denken an die Frauen in den USA, an die Polinnen und Ungarinnen sowie an die Italieneri­nnen, die von starken Einschränk­ungen bedroht sind“, sagte Panot nach dem Votum.

In Frankreich hatte die damalige Gesundheit­sministeri­n Simone Veil 1975 das Recht auf Abtreibung gegen erzkonserv­ative Kräfte in den eigenen Reihen durchgeset­zt. Die „Loi Veil“ermöglicht­e im vergangene­n Jahr 223.300 Abtreibung­en – eine Zahl, die seit Jahren weitgehend stabil ist. Im Frühjahr wurde die Frist für einen Schwangers­chaftsabbr­uch von zwölf auf 14 Wochen verlängert.

Der Zugang zur Abtreibung ist keine Frage der politische­n Fraktion. Aurore Bergé, Fraktionsc­hefin der Renaissanc­e-Partei

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Foto: AFP Die linke Fraktionsc­hefin Mathilde Panot verteidigt den Verfassung­srang für das Recht auf Abtreibung­en.

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