Frankreich debattiert über das Recht auf Abtreibung
Als erstes Land weltweit könnte man die Abtreibung in der Verfassung verankern. Doch davor sind noch Hürden zu nehmen
Im goldenen Dekor der Nationalversammlung wird selten gesungen – und wenn, dann keine feministischen Lieder. Doch am Donnerstag stimmten Dutzende Parlamentarierinnen die Hymne der Frauenbewegung „Debout les Femmes“(Steht auf, ihr Frauen) an, um das Votum zu feiern, mit dem das Abtreibungsrecht in die Verfassung geschrieben werden soll. Damit könnte Frankreich das erste Land weltweit werden, in dem das Recht auf Schwangerschaftsabbruch Verfassungsrang bekommt. „Das Signal, das die Nationalversammlung gesetzt hat, ist riesig und erklingt auch außerhalb unseres Landes“, freute sich die Fraktionschefin der Linkspartei La France Insoumise, Mathilde Panot, die die Initiative eingebracht hatte.
Auslöser war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA, das bundesweit geltende Recht auf Abtreibung zu kippen. Gleich zwei Entwürfe forderten daraufhin, das Abtreibungsrecht in Frankreich durch die Aufnahme in die Verfassung zu schützen. „Es reicht eine politische, wirtschaftliche oder religiöse Krise, damit die Frauenrechte infrage gestellt werden“, zitierte Panot vor der Nationalversammlung die Frauenrechtlerin Simone de Beauvoir.
Die Linkspolitikerin wollte ursprünglich auch noch das Recht auf Empfängnisverhütung festschreiben, verzichtete dann aber darauf, um auch die Stimmen des Regierungslagers zu bekommen. Die Fraktionschefin der Regierungspartei Renaissance,
Aurore Bergé, kam extra aus dem Mutterschutz in die Nationalversammlung zurück, um ihren eigenen Antrag zurückzuziehen. Sie berichtete in einer sehr persönlichen Rede von ihrer eigenen Mutter, die vor Jahrzehnten einen damals noch illegalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen musste. „Der Zugang zur Abtreibung ist keine Frage der politischen Fraktion“, sagte die 35-Jährige, die stehenden Applaus erntete.
Durch Bergés überraschende Unterstützung bekam Panots Initiative eine breite Mehrheit von 337 zu 32 Stimmen. Lediglich Teile der konservativen Republikaner und des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) stimmten gegen den Text, dessen Billigung im Senat fraglich ist. Falls das von den Konservativen dominierte Oberhaus mit Ja stimmen sollte, ist ein Referendum der nächste Schritt vor einer Verfassungsänderung.
Alternativ könnte die Regierung die Initiative noch einmal als Gesetzesentwurf einbringen und vom Kongress, also der Nationalversammlung und dem Senat zusammen, mit Drei-Fünftel-Mehrheit verabschieden lassen. 81 Prozent der Französinnen und Franzosen unterstützen eine Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der
Verfassung. Sogar die Anhängerinnen und Anhänger des RN sind mehrheitlich dafür.
Blick auf erzkatholische Wählerschaft
Mit Blick auf eine erzkatholische Wählerschaft versuchte RN-Fraktionschefin Marine Le Pen allerdings, die Debatte auszubremsen. Es bestehe kein Anlass, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung zu schreiben, sagte die Anwältin in einem Interview. Ihre Abgeordneten sind in der Frage gespalten: 38 RN-Parlamentarier stimmten für den Entwurf und 23 dagegen; 13 enthielten sich. Le Pen selbst war bei der Abstimmung nicht anwesend – aus „medizinischen Gründen“, wie sie selbst erklärte.
Le Pens Verbündete in Ungarn, Polen oder Italien positionieren sich klar im Lager der Abtreibungsgegner. In Ungarn wurden die Abtreibungsregeln im September verschärft, in Polen gilt de facto ein Abtreibungsverbot und in Italien könnte die ultrarechte Regierungschefin Giorgia Meloni die geltende Fristenregelung ebenfalls aufweichen. „Wir denken an die Frauen in den USA, an die Polinnen und Ungarinnen sowie an die Italienerinnen, die von starken Einschränkungen bedroht sind“, sagte Panot nach dem Votum.
In Frankreich hatte die damalige Gesundheitsministerin Simone Veil 1975 das Recht auf Abtreibung gegen erzkonservative Kräfte in den eigenen Reihen durchgesetzt. Die „Loi Veil“ermöglichte im vergangenen Jahr 223.300 Abtreibungen – eine Zahl, die seit Jahren weitgehend stabil ist. Im Frühjahr wurde die Frist für einen Schwangerschaftsabbruch von zwölf auf 14 Wochen verlängert.
Der Zugang zur Abtreibung ist keine Frage der politischen Fraktion. Aurore Bergé, Fraktionschefin der Renaissance-Partei