Luxemburger Wort

Den Armen nicht die Krümel überlassen

- Von Marcel Oberweis*

Anlässlich der 27. Klimakonfe­renz in Scharm el Scheich 2022 wartete der Generalsek­retär der Vereinten Nationen, António Guterres, mit einem dramatisch­en Appell auf: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“

Der verzweifel­te Hilferuf wird von der Gemeinscha­ft der Wissenscha­ftler unterstütz­t, welche ihrerseits vor den schwerwieg­enden Folgen der Erderwärmu­ng warnen. Da ich die Klimadisku­ssion seit 1972 intensiv verfolge, habe ich mich angesichts der Tagung in Ägypten an die Konferenz in Rio de Janeiro, dem „Erdgipfel“im Jahr 1992 erinnert.

Damals wurde die Klimarahme­nkonventio­n der Vereinten Nationen verabschie­det, deren Hauptpunkt in der Forderung bestand, alle Anstrengun­gen zu unternehme­n, die Erderwärmu­ng auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. In jenem Jahr lebten 5,5 Milliarden Menschen auf der Erde und nach UN-Angaben bevölkerte­n acht Milliarden Menschen den Planeten am 15. November dieses Jahres.

Hinsichtli­ch des ökologisch­en Fußabdruck­es muss jedoch eingeräumt werden, dass dieses Mehr an Menschen die bestehende­n Ungerechti­gkeiten noch erhöht – denn fast die Hälfte der globalen CO2-Emissionen werden von nur zehn Prozent der Weltbevölk­erung mit dem höchsten Einkommen verursacht. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Weltbevölk­erung leben 1,43 Milliarden Menschen in Afrika im Jahr 2022 und bis zum Jahr 2050 werden es etwa 2,5 Milliarden Menschen sein – dies bei steigender prekärer Nahrungsmi­ttelversor­gung.

Wenn die reichen Länder sich nicht aufraffen und sich den brennenden Problemen, unter anderem Bildung, Wasser, Infrastruk­turen, gerechter Handel, ertragreic­he Agrarfläch­en und Ernährung sowie Frauenrech­te, in Afrika zuwenden, dann wird der Migrations­druck hin zum Norden unvorherse­hbare Folgen haben.

Das vereinbart­e 1,5-Grad-Celsius-Ziel ist nicht mehr zu halten

Angesichts der sich in einem erschrecke­nden Maß häufenden Klimakatas­trophen, unter anderem Dürren mitsamt den Hungersnöt­en, Schlammlaw­inen und Überschwem­mungen, verheerend­e Waldbrände, Gletschers­chmelzen und steigender Meeresspie­gel, kämpft die Menschheit den Kampf des Lebens und wird ihn verlieren. Die Kipppunkte werden der Reihe nach „geknackt“– das Klimachaos wird unumkehrba­r.

Obschon wir diese Fakten kennen, erhöhen sich die Treibhausg­asemission­en weiter, die CO2-Konzentrat­ion hat mit 417 ppm einen neuen Rekord erreicht. Es möge darauf hingewiese­n werden, dass die globalen CO2-Emissionen im Jahr 2022 nach dem Rückgang im Jahr 2020, bedingt durch die Corona-Pandemie, den Wert von 40,6 Milliarden Tonnen CO2 erreichen – etwas weniger als im Jahr 2019 mit 40,9 Milliarden Tonnen CO2.

Anlässlich der Pariser Klimakonfe­renz wurde mit viel Applaus das Ziel vereinbart, die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit zu begrenzen. Sollen die globalen menschenge­machten CO2-missionen bis zum Jahr 2050 auf null sinken, dann müssten die Emissionen durchschni­ttlich jährlich um 1,4 Milliarden Tonnen CO2 verringert werden.

Am Klimagipfe­l COP27 wurde jetzt verlautbar­t, dass die von den Vereinten Nationen

geforderte­n Pläne zur Verringeru­ng der Erderwärmu­ng bei Weitem nicht ausreichen. Dem IPCC zufolge befindet sich die Welt statt auf dem Weg hin zur Begrenzung der Erderwärmu­ng auf maximal 1,5 Grad Celsius auf dem Pfad hin zu 2,7 Grad Celsius. Die sich erhöhende Erwärmung der Atmosphäre bedeutet auch, dass wichtige Elemente des Erdsystems „kippen“und sich irreversib­el verändern, mit der Folge, dass sich Kettenreak­tionen in Gang setzen und zu globalen Instabilit­äten führen.

Diese Risiken betreffen unter anderem das Eisschild in der Antarktis, den Permafrost, die thermohali­ne Zirkulatio­n (der Golfstrom ist ein wichtiges Teil davon) und den Amazonas-Regenwald. Die Veränderun­gen dieser Systeme geschehen nicht zeitgleich und können andere Teile des Erdsystems in Mitleidens­chaft ziehen – es kommt zu einer positiven Rückkopplu­ng.

Dem rezenten Bericht der Weltorgani­sation für Meteorolog­ie (WMO)(1) entnimmt man, dass die vergangene­n acht Jahre die wärmsten Jahre seit den Wetteraufz­eichnungen im Jahr 1880 sind. Die WMO weist darauf hin, dass der Klimawande­l sich mit katastroph­aler Geschwindi­gkeit vollzieht und die Lebensgrun­dlagen auf allen Kontinente­n zerstört. Es ist deshalb nur logisch, dass sich die Klimaexper­ten dahingehen­d einig sind, dass tiefgreife­nde Maßnahmen benötigt werden, um die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten.

Wenn jedoch die Gemeinscha­ft der Umweltvers­chmutzer dies nicht erkennt, dann wird klar: Wir haben die Chance verpasst. Die Menschen in den Entwicklun­gsländern werden die volle Wucht des Klimawande­ls erleben, aber die Auswirkung­en werden die Festungen der Reichen erbeben lassen.

Wo bleiben die versproche­nen Milliarden?

Anlässlich der COP15 in Kopenhagen im Jahr 2009 wurde der Prozess „loss and damages“eingeführt. Mit hehren Worten äußerten sich die Industriel­änder an der Pariser COP21, den Entwicklun­gsländern ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Milliarden

Dollar zur Bewältigun­g der Klimakrise zur Verfügung zu stellen. Die Diskussion­en der COP26 in Glasgow unterstric­hen, dass den Entwicklun­gsländern zur Umsetzung ihrer Verpflicht­ungen im Rahmen des Klimawande­ls mehr als 2 000 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2030 bereitgest­ellt werden müssten.

Nunmehr wurde an der COP27 in Scharm el Scheich festgestel­lt, dass die Verspreche­n nicht eingehalte­n wurden; als Gründe wurden die Corona-Pandemie, die stagnieren­de Weltwirtsc­haft und die Invasion der Ukraine angeführt. Dem Internatio­nalen Währungsfo­nds zufolge werden jedoch pro Minute elf Millionen Dollar (mehrere 100 Milliarden Dollar pro Jahr) an Subvention­en für die Produktion und das Verbrennen von Erdöl, Erdgas und Kohle gezahlt. Darf ich einflechte­n, dass die Kosten für den Wiederaufb­au der kriegszers­törten Ukraine anlässlich des deutsch-ukrainisch­en Wirtschaft­sforums im Oktober 2022 auf 750 Milliarden Euro geschätzt wurden?

Sollte man daran erinnern, dass die 46 am wenigsten entwickelt­en Länder mit ihren 500 Millionen Menschen nur für ein Prozent der globalen klimaschäd­lichen Emissionen verantwort­lich sind? In ihrer Rede führte Mia Mottley, Präsidenti­n des Inselstaat­s Barbados in Scharm el Scheich aus, dass in ihren Augen der Süden immer noch auf die Gnade des Nordens angewiesen sei. Ist es nicht verwerflic­h, dass die reichen Industries­taaten bei einer Kreditaufn­ahme ein bis vier Prozent Zinsen zahlen und die Entwicklun­gsländer bis zu 14 Prozent und mehr?(2)

Angesichts dieses dringenden Aufrufs können wir es uns nicht mehr erlauben, die Klimakatas­trophen im Globalen Süden

zu übersehen. Sind wir uns denn bewusst, dass mehr als 70 Prozent der Flüchtling­e und Vertrieben­en, nach Angaben der Flüchtling­sorganisat­ion der Vereinten Nationen (UNHCR), aus Ländern stammen, die den Folgen des Klimawande­ls besonders schlimm ausgesetzt sind?

Laut dem „World Resources Institute“leben mehr als 3,3 Milliarden Menschen in den Gegenden, die besonders unter den Folgen des Klimawande­ls leiden: Nur weniger Dürren, Überschwem­mungen, Hunger und Missernten und Ressourcen­konflikte bedeuten mehr Sicherheit für alle Menschen auf dem Planeten.

Wir verlieren kostbare Zeit auf dem Weg zum 1,5-Grad-Celsius-Ziel

In der Abschlusse­rklärung der COP27 wurde die Wiederbele­bung des versproche­nen Fonds für klimabedin­gte Schäden beschlosse­n, welcher die unabwendba­ren Folgen der Erderhitzu­ng, unter anderem der steigende Meeresspie­gel und die Ausbreitun­g der Wüsten, abfedern soll – man spricht von Hunderten Milliarden Euro in den kommenden Jahren.

Der UN-Generalsek­retär unterstric­h die Dramatik der Lage mit der Aussage „Unser Planet ist in der Notaufnahm­e. Wir müssen die Emissionen drastisch verringern und dies anzugehen hat die Klimakonfe­renz versäumt“.

Es bedarf keiner weiteren COP – wir benötigen vielmehr eine Allianz der Willigen, welche wirklich den ernsthafte­n Klimaschut­z betreiben wollen. Nur so können wir die großen gesellscha­ftlichen und ökologisch­en Krisen unserer Zeit, unter anderem der Biodiversi­tätsverlus­t, der Klimawande­l, die Ausmerzung der Ungerechti­gkeiten und die Verschmutz­ung der Umwelt, bewältigen. Das ausgemacht­e Ziel ist der Aufbau einer nachhaltig­en und sozial gerechten Gesellscha­ft, die den Armen nicht die Krümel überlässt.

Dem IPCC zufolge befindet sich die Welt statt auf dem Weg hin zur Begrenzung der Erderwärmu­ng auf maximal 1,5 Grad Celsius auf dem Pfad hin zu 2,7 Grad Celsius.

* Der Autor ist Prof. Dr.-Ing. i.R.

(1) https://www.solarify.eu/2022/11/08/226-wmo-acht-waermste-jahre-seit-beginn-der-aufzeichnu­ngen

(2) https://www.handelsbla­tt.com/dpa/premiermin­isterinvon-barbados-mit-flammender-rede-bei-un-kllimakonf­erenz/28793784.html

 ?? Foto: AFP ?? Die Weltklimak­onferenz endete nach einer Verlängeru­ng mit einem Minimalkom­promiss.
Foto: AFP Die Weltklimak­onferenz endete nach einer Verlängeru­ng mit einem Minimalkom­promiss.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg