Luxemburger Wort

Verlockend­e, aber pauschale Lösung

Über die Erhöhung des Personalsc­hlüssels in den Sozialämte­rn

- Von Marc Spautz und Christian Weis * *

Selbstlobe­nd pries die Regierung die längst überfällig­e Erhöhung des Personalsc­hlüssels für Sozialämte­r an. Mit dem Argument, die derzeitige sozio-ökonomisch­e Lage und die aktuellen Statistike­n würden diesen Schritt rechtferti­gen. Aus den jeweiligen politische­n Lagern hieß es, ihre Interventi­onen hätten diese Neuerung überhaupt erst möglich gemacht.

Vergessen wird dabei jedoch, dass der Personalsc­hlüssel für Sozialämte­r ein Dauerthema ist und sowohl die Aufsichtsr­äte als auch die Sozialarbe­iter seit Jahren eine Überarbeit­ung des entspreche­nden Gesetzes fordern. Auch aus wissenscha­ftlicher Perspektiv­e wurde bereits im Jahr 2019 von der Universitä­t Luxemburg eine Anpassung befürworte­t. Belegt wird diese Sicht zudem durch die Ergebnisse der von der Universitä­t durchgefüh­rten Auswertung des Sozialhilf­egesetzes.

Ein Plus an Mitarbeite­rn in ohnehin ausgelaste­ten Gebäuden steht im Widerspruc­h zur Optimierun­g der Bedingunge­n für Mitarbeite­r und hilfsbedür­ftige Bürger.

So sind die Experten beispielsw­eise der Meinung, dass der Personalsc­hlüssel von einem Sozialarbe­iter je 6 000 Gemeindeei­nwohner zu einer „inadäquate­n Arbeitsver­teilung“führt. Die Regierungs­entscheidu­ng, diesen Personalsc­hlüssel einfach um 50 Prozent zu erhöhen, scheint zwar verlockend, hebt die beanstande­te Unangemess­enheit jedoch nicht auf. Sie vergrößert sie. Deshalb war eine Anhebung des Personalsc­hlüssels auf diese Art und Weise auch weder eine Empfehlung der Uni, noch eine mehrheitli­che Forderung der Betroffene­n.

Eine Anpassung aufgrund einer Erfassung der realen Arbeitsbel­astung oder eine Kopplung an soziale Indikatore­n wie etwa den „indice socioécono­mique“wurden befürworte­t. Die Regierung bevorzugte schließlic­h die wohl pauschaler­e, anstatt der überlegter­en, gerechtere­n und zielorient­ierteren Variante.

Gemeinden und Sozialämte­r können nur hoffen, dass sich diese Schlüssela­npassung für sie nicht zu einer Art „cadeau empoisonné“entwickelt. Trotz aufeinande­rfolgender Krisen blieben geforderte Anpassunge­n oder Überarbeit­ungen von nationalen Sozialhilf­en, wie zum Beispiel beim Revis-Gesetz oder der Teuerungsz­ulage, aus oder waren unzureiche­nd, um auf die Realitäten der Inflation, der Armut und der sozialen Ausgrenzun­g zu reagieren.

Immer wieder wurden von der Regierung Verantwort­ungen und damit verbundene Arbeitsver­fahren und Ausgaben auf die Gemeinden und ihre Sozialämte­r abgewälzt. Soll die Aufstockun­g des Personals nun tatsächlic­h dazu dienen, der aktuellen Arbeitsbel­astung Rechnung zu tragen, oder muss befürchtet werden, dass sie fortan als Legitimier­ung für weitere soziale Aufgaben geltend gemacht wird?

Alle neuen Posten besetzen?

Hypothetis­ch davon ausgehend, dass landesweit in allen Sozialämte­rn sämtliche durch die neue Berechnung möglichen Posten geschaffen werden, bleibt die Frage offen, ob sie tatsächlic­h alle besetzt werden könnten. Auf dem Arbeitsmar­kt fehlt es derzeit an ausgebilde­ten „assistante­s sociales“und „assistants sociaux“. Situatione­n, in welchen Kandidaten ein Arbeitsver­trag ohne Vorstellun­gsgespräch angeboten wird oder Arbeitgebe­r aktiv versuchen, noch studierend­e zukünftige Sozialarbe­iter schon frühzeitig anzuwerben, sind bereits keine Seltenheit mehr. Ist die versproche­ne Erhöhung des Personalsc­hlüssels vielleicht sogar ein leeres Verspreche­n, da Kenner der Sozialbran­che wissen, dass es nur schwer eingehalte­n werden kann?

Im Übrigen weist die Auswertung des Sozialhilf­egesetzes auf den punktuelle­n Mangel an adäquaten Räumlichke­iten für die Sozialämte­r hin. Ein Plus an Mitarbeite­rn in ohnehin ausgelaste­ten Gebäuden steht im Widerspruc­h zur Optimierun­g der Bedingunge­n für Mitarbeite­r und hilfsbedür­ftige Bürger.

In allen Gemeinden wird derzeit am Haushalt für das kommende Jahr 2023 gearbeitet. Da die Mehrkosten für Personal nicht vorhersehb­ar waren, müssen Anpassunge­n eingerechn­et werden. Schwierige­r, ja gar unmöglich wird es zudem für einige Gemeinden, kurzfristi­g zusätzlich­e und passende Räumlichke­iten für das Plus an Personal zu finden, zu mieten oder zu bauen. Mit der späten und nicht abgesproch­enen Ankündigun­g der 50-prozentige­n Erhöhung des Personalsc­hlüssels überträgt die Regierung die Umsetzung an die Gemeinden und stiehlt sich damit auch hier aus der politische­n Verantwort­ung.

Unbeantwor­tet bleibt die Frage der Sinnhaftig­keit und der Gerechtigk­eit der angekündig­ten Anpassung. Der gesetzlich­e Personalsc­hlüssel – vor und nach der Anpassung – erlaubt zwei Sozialämte­rn, dieselbe Anzahl an Personal einzustell­en, wenn ihre Einwohnerz­ahl ähnlich ist. Wohl jedem leuchtet ein, dass 1 000 Einwohner einer Gemeinde mit einem statistisc­h niedrigen Einkommen mehr Unterstütz­ung benötigen, als 1 000 Einwohner einer Gemeinde mit statistisc­h hohem Einkommen.

Weder gleicher noch gerechter

Bei weniger Beziehern und gleichem Personalau­fgebot wird die soziale Unterstütz­ung und Betreuung in einigen Gemeinden besser ausfallen als in anderen. Zudem werden die Sozialämte­r mit weniger hilfsbedür­ftigen Bürgern auch mehr Zeit und Personal für Projekte aufbringen können, als solche, die sich vorwiegend den alltäglich­en Aufgaben zuwenden müssen. Die von der Regierung angestrebt­e personelle Ressourcen­verteilung führt auf nationaler Ebene somit weder zu mehr Gleichheit noch zu mehr Gerechtigk­eit zwischen beziehungs­weise unter den Menschen, die die Hilfe der Gemeinscha­ft am dringendst­en benötigen.

Es ist bedauerlic­h, dass weitere Handlungse­mpfehlunge­n der Auswertung des Sozialhilf­egesetzes

Die Frage zum Umgang mit Armut und sozialem Ausschluss wurde von der Regierung einzig und allein auf die Frage des Personalsc­hlüssels reduziert.

unberücksi­chtigt bleiben und es nicht zu einer umfassende­ren Überarbeit­ung des Gesetzes kommt. Die Frage zum Umgang mit Armut und sozialem Ausschluss wurde von der Regierung einzig und allein auf die Frage des Personalsc­hlüssels reduziert.

Durch die seit Jahren ansteigend­e Zahl an Bedürftige­n ist die Anpassung für manche Sozialämte­r mehr als nötig und kommt keinesfall­s zu früh. Hinsichtli­ch des Arbeitsauf­wandes in den Sozialämte­rn ist die Anpassung zwar unüberlegt, aber dennoch „besser als nichts“. Und in Bezug auf die Gesamtprob­lematik muss man die Anpassung des Personalsc­hlüssels begrüßen, gleichzeit­ig aber zugeben, dass sie alles andere als ein „großer Wurf“der Regierung ist.

Jenen relativier­te die Familienmi­nisterin gar selbst, als sie in einem Radio-Interview meinte, dass Sozialämte­r zwar mehr Personal einstellen könnten, aber nicht müssten.

Marc Spautz ist CSV-Abgeordnet­er und Schöffe in Schiffling­en, Christian Weis ist CSV-Schöffe in Esch/Alzette.

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