Verlockende, aber pauschale Lösung
Über die Erhöhung des Personalschlüssels in den Sozialämtern
Selbstlobend pries die Regierung die längst überfällige Erhöhung des Personalschlüssels für Sozialämter an. Mit dem Argument, die derzeitige sozio-ökonomische Lage und die aktuellen Statistiken würden diesen Schritt rechtfertigen. Aus den jeweiligen politischen Lagern hieß es, ihre Interventionen hätten diese Neuerung überhaupt erst möglich gemacht.
Vergessen wird dabei jedoch, dass der Personalschlüssel für Sozialämter ein Dauerthema ist und sowohl die Aufsichtsräte als auch die Sozialarbeiter seit Jahren eine Überarbeitung des entsprechenden Gesetzes fordern. Auch aus wissenschaftlicher Perspektive wurde bereits im Jahr 2019 von der Universität Luxemburg eine Anpassung befürwortet. Belegt wird diese Sicht zudem durch die Ergebnisse der von der Universität durchgeführten Auswertung des Sozialhilfegesetzes.
Ein Plus an Mitarbeitern in ohnehin ausgelasteten Gebäuden steht im Widerspruch zur Optimierung der Bedingungen für Mitarbeiter und hilfsbedürftige Bürger.
So sind die Experten beispielsweise der Meinung, dass der Personalschlüssel von einem Sozialarbeiter je 6 000 Gemeindeeinwohner zu einer „inadäquaten Arbeitsverteilung“führt. Die Regierungsentscheidung, diesen Personalschlüssel einfach um 50 Prozent zu erhöhen, scheint zwar verlockend, hebt die beanstandete Unangemessenheit jedoch nicht auf. Sie vergrößert sie. Deshalb war eine Anhebung des Personalschlüssels auf diese Art und Weise auch weder eine Empfehlung der Uni, noch eine mehrheitliche Forderung der Betroffenen.
Eine Anpassung aufgrund einer Erfassung der realen Arbeitsbelastung oder eine Kopplung an soziale Indikatoren wie etwa den „indice socioéconomique“wurden befürwortet. Die Regierung bevorzugte schließlich die wohl pauschalere, anstatt der überlegteren, gerechteren und zielorientierteren Variante.
Gemeinden und Sozialämter können nur hoffen, dass sich diese Schlüsselanpassung für sie nicht zu einer Art „cadeau empoisonné“entwickelt. Trotz aufeinanderfolgender Krisen blieben geforderte Anpassungen oder Überarbeitungen von nationalen Sozialhilfen, wie zum Beispiel beim Revis-Gesetz oder der Teuerungszulage, aus oder waren unzureichend, um auf die Realitäten der Inflation, der Armut und der sozialen Ausgrenzung zu reagieren.
Immer wieder wurden von der Regierung Verantwortungen und damit verbundene Arbeitsverfahren und Ausgaben auf die Gemeinden und ihre Sozialämter abgewälzt. Soll die Aufstockung des Personals nun tatsächlich dazu dienen, der aktuellen Arbeitsbelastung Rechnung zu tragen, oder muss befürchtet werden, dass sie fortan als Legitimierung für weitere soziale Aufgaben geltend gemacht wird?
Alle neuen Posten besetzen?
Hypothetisch davon ausgehend, dass landesweit in allen Sozialämtern sämtliche durch die neue Berechnung möglichen Posten geschaffen werden, bleibt die Frage offen, ob sie tatsächlich alle besetzt werden könnten. Auf dem Arbeitsmarkt fehlt es derzeit an ausgebildeten „assistantes sociales“und „assistants sociaux“. Situationen, in welchen Kandidaten ein Arbeitsvertrag ohne Vorstellungsgespräch angeboten wird oder Arbeitgeber aktiv versuchen, noch studierende zukünftige Sozialarbeiter schon frühzeitig anzuwerben, sind bereits keine Seltenheit mehr. Ist die versprochene Erhöhung des Personalschlüssels vielleicht sogar ein leeres Versprechen, da Kenner der Sozialbranche wissen, dass es nur schwer eingehalten werden kann?
Im Übrigen weist die Auswertung des Sozialhilfegesetzes auf den punktuellen Mangel an adäquaten Räumlichkeiten für die Sozialämter hin. Ein Plus an Mitarbeitern in ohnehin ausgelasteten Gebäuden steht im Widerspruch zur Optimierung der Bedingungen für Mitarbeiter und hilfsbedürftige Bürger.
In allen Gemeinden wird derzeit am Haushalt für das kommende Jahr 2023 gearbeitet. Da die Mehrkosten für Personal nicht vorhersehbar waren, müssen Anpassungen eingerechnet werden. Schwieriger, ja gar unmöglich wird es zudem für einige Gemeinden, kurzfristig zusätzliche und passende Räumlichkeiten für das Plus an Personal zu finden, zu mieten oder zu bauen. Mit der späten und nicht abgesprochenen Ankündigung der 50-prozentigen Erhöhung des Personalschlüssels überträgt die Regierung die Umsetzung an die Gemeinden und stiehlt sich damit auch hier aus der politischen Verantwortung.
Unbeantwortet bleibt die Frage der Sinnhaftigkeit und der Gerechtigkeit der angekündigten Anpassung. Der gesetzliche Personalschlüssel – vor und nach der Anpassung – erlaubt zwei Sozialämtern, dieselbe Anzahl an Personal einzustellen, wenn ihre Einwohnerzahl ähnlich ist. Wohl jedem leuchtet ein, dass 1 000 Einwohner einer Gemeinde mit einem statistisch niedrigen Einkommen mehr Unterstützung benötigen, als 1 000 Einwohner einer Gemeinde mit statistisch hohem Einkommen.
Weder gleicher noch gerechter
Bei weniger Beziehern und gleichem Personalaufgebot wird die soziale Unterstützung und Betreuung in einigen Gemeinden besser ausfallen als in anderen. Zudem werden die Sozialämter mit weniger hilfsbedürftigen Bürgern auch mehr Zeit und Personal für Projekte aufbringen können, als solche, die sich vorwiegend den alltäglichen Aufgaben zuwenden müssen. Die von der Regierung angestrebte personelle Ressourcenverteilung führt auf nationaler Ebene somit weder zu mehr Gleichheit noch zu mehr Gerechtigkeit zwischen beziehungsweise unter den Menschen, die die Hilfe der Gemeinschaft am dringendsten benötigen.
Es ist bedauerlich, dass weitere Handlungsempfehlungen der Auswertung des Sozialhilfegesetzes
Die Frage zum Umgang mit Armut und sozialem Ausschluss wurde von der Regierung einzig und allein auf die Frage des Personalschlüssels reduziert.
unberücksichtigt bleiben und es nicht zu einer umfassenderen Überarbeitung des Gesetzes kommt. Die Frage zum Umgang mit Armut und sozialem Ausschluss wurde von der Regierung einzig und allein auf die Frage des Personalschlüssels reduziert.
Durch die seit Jahren ansteigende Zahl an Bedürftigen ist die Anpassung für manche Sozialämter mehr als nötig und kommt keinesfalls zu früh. Hinsichtlich des Arbeitsaufwandes in den Sozialämtern ist die Anpassung zwar unüberlegt, aber dennoch „besser als nichts“. Und in Bezug auf die Gesamtproblematik muss man die Anpassung des Personalschlüssels begrüßen, gleichzeitig aber zugeben, dass sie alles andere als ein „großer Wurf“der Regierung ist.
Jenen relativierte die Familienministerin gar selbst, als sie in einem Radio-Interview meinte, dass Sozialämter zwar mehr Personal einstellen könnten, aber nicht müssten.
Marc Spautz ist CSV-Abgeordneter und Schöffe in Schifflingen, Christian Weis ist CSV-Schöffe in Esch/Alzette.