Deutschland – kein Wintermärchen
Im Land des vierfachen Fußball-Weltmeisters ist die Stimmung matt bis mies – was nur zum Teil am Austragungsort liegt
Nancy Faeser ist dann doch zum ersten Spiel der Nationalmannschaft geflogen. Sie hat sich auf die sogenannte Ehrentribüne gesetzt, direkt neben Gianni Infantino, den FIFA-Präsidenten, der in Deutschland inzwischen einen Ruf hat wie ein Kinderschänder; weshalb das mit der Ehre heikel ist. Es gibt Filmaufnahmen, die zeigen, wie Infantino vornübergebeugt in sein Smartphone starrt und auf den Touchscreen hämmert – während Faeser angestrengt in eine ganz andere Richtung schaut. Es gibt aber auch ein Foto, auf dem beide in die Kamera strahlen und der FIFA-Boss auf den linken Oberarm der deutschen Innenministerin zeigt, den die „One Love“-Kapitänsbinde ziert. Das Publikum darf sich heraussuchen, was ihm sympathischer ist. Und, vor allem: Was es für die Wahrheit hält.
Das ist, was die WM in Katar angeht, in einem fort die Frage im Land, das viermal Fußball-Weltmeister war – und sich als amtierender vor vier Jahren in Russland jämmerlich blamierte. Lange ging es bei diesen Wirklichkeitschecks um die Schicksale der Arbeiter auf den Stadionbaustellen. Als der WM-Start dann näher rückte, zankten sich die Deutschen plötzlich lieber, ob der Boykott der FernsehÜbertragungen die wahre Liebe zum Fußball beweise – oder ob man die Spiele vielleicht gerade und unbedingt anschauen müsse, um der geldgierigen FIFA die Stirn zu bieten und ihr den edlen Kampf der 22 um den einen Ball aus den korrupten Klauen zu winden.
Helden oder Maulhelden?
Und als es dann losgegangen war, begann umgehend der Streit darüber, was die einzig wahre Reaktion sei auf das Verbot der „One Love“-Binde. Und ob die elf, die sich als einzige Reaktion für das Mannschaftsfoto die Münder zuhielten, nun deshalb Helden seien – oder vielleicht doch nur Maulhelden. Wenn überhaupt. Inzwischen interessiert das niemanden mehr. Auch „One Love“nicht und Faeser und die FIFA und wie viele Arbeiter nun wirklich beim Bau der WM-Stadien gestorben sind. Denn inzwischen geht es ja um die Existenz. Also die der Nationalmannschaft. Falls die „Bild“-Zeitung Recht haben sollte, ist deren Schicksal allerdings den meisten Deutschen egal. 1:2 gegen Japan? Vorgezogenes Endspiel schon am Sonntagabend um acht gegen Spanien? Pöh! Trotz bester Sendezeit will sich gerade mal ein Drittel der Befragten das Spiel im TV ansehen. „SchockUmfrage“brüllt „Bild“. Nancy Faeser, zuständig für Sport in der Bundesregierung, bleibt Katar diesmal fern. Und auch Infantino. Bei gut 30 Grad dort sieht es ja auch nicht nach einem Wintermärchen für Deutschland aus.