„Jetzt sind wir endlich ein Volk“
Wie der saudische WM-Sieg über Argentinien die arabische Welt eint
Für Mohammed bin Salman, kurz MBS, hätte die letzte Woche nicht besser laufen können: Während der WM-Eröffnungsfeier durfte sich der saudische Thronfolger an der Seite von FIFA-Präsident Gianni Infantino einem Milliardenpublikum präsentieren. Zwei Tage später schlug dann die saudische Fußballnationalmannschaft Argentinien mit 2:1. Der unerwartete Sieg löste in der gesamten arabischen Welt einen kollektiven Freudentaumel aus. Gefeiert wurde sogar bei den jemenitischen Huthis sowie im Gazastreifen, wo Saudi-Arabien bis zum Dienstag als Erzfeind galt.
„Großer Sieg für alle Araber“
Mit ihrem Sieg über den WM-Favoriten hätten die Saudis für einen „außergewöhnlichen emotionalen Moment“in der zerrissenen arabischen Welt gesorgt, glaubt der ägyptische Politologe Nevin Massad. Der Jordanier Ahmed Al-Qasim feierte den Erfolg als „historisch“sowie als „großen Sieg für alle Araber“. „Jetzt sind wir wieder ein Volk“, twitterte ein Fußballfan aus Aleppo überschwänglich.
Wie lange die Euphorie anhält, bleibt abzuwarten. Dass der katarische Emir in Doha die saudische und MBS die katarische Flagge schwenken würde, war noch vor zwei Jahren undenkbar gewesen. Mit einer vierjährigen Handels-und Verkehrsblockade hatte Riad letztendlich verhindern wollen, dass Katar die WM austrägt. Nun scheint der Streit, bei dem es um die angebliche katarische Nähe zu islamischen Extremisten ging, beigelegt.
„Mehr nationalistisch und weniger religiös“
Großer Gewinner ist der saudische Thronfolger. Spätestens seit dem Beginn der WM ist seine mutmaßliche Verwicklung in die Ermordung des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi kein Thema. Der saudische Sieg über Argentinien, daran lässt die saudische Propaganda keinen Zweifel, ist auch sein Sieg. Mit seiner Ansprache an das Team, „ohne Druck zu spielen“, habe MBS den Erfolg erst möglich gemacht.
Jahrelang habe die saudische Königsfamilie ihre Macht durch einen „faustischen Pakt mit konservativen Geistlichen gesichert“, analysiert der „Economist“den „Umbruch“in Saudi-Arabien. MBS versuche sich nun von diesem Pakt zu lösen und eine „neue saudische Identität zu schaffen, die mehr nationalistisch und weniger religiös ist“. Der saudische Erfolg bei der WM könnte ihm dabei helfen. Schließlich werde der Sieg über Argentinien in der arabischen Welt als eine „nationale Errungenschaft“gefeiert.
Nationale und kulturelle arabische Gefühle spielen auch in der Diskussion um Menschenrechte sowie das Tragen der „LGBTIQ“– und „One Love“-Binden eine große Rolle. Die westliche Haltung zur sexuellen Orientierung und Geschlechteridentität sorgt nicht nur bei den Regierungen Arabiens, sondern auch in der Bevölkerung für großen Unmut.
„Wenn Ihr zu uns kommt, habt Ihr unsere Religion, Normen und Sätze zu akzeptieren“, heißt es in einem tausendfach gelikten Tweet. Ein anderer lautete: „Hunger, Armut und andere globale Probleme. Aber Ihr habt Euch das LGBTIQThema ausgesucht“.