Luxemburger Wort

„Jetzt sind wir endlich ein Volk“

Wie der saudische WM-Sieg über Argentinie­n die arabische Welt eint

- Von Michael Wrase

Für Mohammed bin Salman, kurz MBS, hätte die letzte Woche nicht besser laufen können: Während der WM-Eröffnungs­feier durfte sich der saudische Thronfolge­r an der Seite von FIFA-Präsident Gianni Infantino einem Milliarden­publikum präsentier­en. Zwei Tage später schlug dann die saudische Fußballnat­ionalmanns­chaft Argentinie­n mit 2:1. Der unerwartet­e Sieg löste in der gesamten arabischen Welt einen kollektive­n Freudentau­mel aus. Gefeiert wurde sogar bei den jemenitisc­hen Huthis sowie im Gazastreif­en, wo Saudi-Arabien bis zum Dienstag als Erzfeind galt.

„Großer Sieg für alle Araber“

Mit ihrem Sieg über den WM-Favoriten hätten die Saudis für einen „außergewöh­nlichen emotionale­n Moment“in der zerrissene­n arabischen Welt gesorgt, glaubt der ägyptische Politologe Nevin Massad. Der Jordanier Ahmed Al-Qasim feierte den Erfolg als „historisch“sowie als „großen Sieg für alle Araber“. „Jetzt sind wir wieder ein Volk“, twitterte ein Fußballfan aus Aleppo überschwän­glich.

Wie lange die Euphorie anhält, bleibt abzuwarten. Dass der katarische Emir in Doha die saudische und MBS die katarische Flagge schwenken würde, war noch vor zwei Jahren undenkbar gewesen. Mit einer vierjährig­en Handels-und Verkehrsbl­ockade hatte Riad letztendli­ch verhindern wollen, dass Katar die WM austrägt. Nun scheint der Streit, bei dem es um die angebliche katarische Nähe zu islamische­n Extremiste­n ging, beigelegt.

„Mehr nationalis­tisch und weniger religiös“

Großer Gewinner ist der saudische Thronfolge­r. Spätestens seit dem Beginn der WM ist seine mutmaßlich­e Verwicklun­g in die Ermordung des saudischen Dissidente­n Jamal Khashoggi kein Thema. Der saudische Sieg über Argentinie­n, daran lässt die saudische Propaganda keinen Zweifel, ist auch sein Sieg. Mit seiner Ansprache an das Team, „ohne Druck zu spielen“, habe MBS den Erfolg erst möglich gemacht.

Jahrelang habe die saudische Königsfami­lie ihre Macht durch einen „faustische­n Pakt mit konservati­ven Geistliche­n gesichert“, analysiert der „Economist“den „Umbruch“in Saudi-Arabien. MBS versuche sich nun von diesem Pakt zu lösen und eine „neue saudische Identität zu schaffen, die mehr nationalis­tisch und weniger religiös ist“. Der saudische Erfolg bei der WM könnte ihm dabei helfen. Schließlic­h werde der Sieg über Argentinie­n in der arabischen Welt als eine „nationale Errungensc­haft“gefeiert.

Nationale und kulturelle arabische Gefühle spielen auch in der Diskussion um Menschenre­chte sowie das Tragen der „LGBTIQ“– und „One Love“-Binden eine große Rolle. Die westliche Haltung zur sexuellen Orientieru­ng und Geschlecht­eridentitä­t sorgt nicht nur bei den Regierunge­n Arabiens, sondern auch in der Bevölkerun­g für großen Unmut.

„Wenn Ihr zu uns kommt, habt Ihr unsere Religion, Normen und Sätze zu akzeptiere­n“, heißt es in einem tausendfac­h gelikten Tweet. Ein anderer lautete: „Hunger, Armut und andere globale Probleme. Aber Ihr habt Euch das LGBTIQThem­a ausgesucht“.

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Foto: AFP Der unerwartet­e Sieg der saudischen Fußballnat­ionalmanns­chaft gegen Argentinie­n hat in den arabischen Ländern eine Welle der Euphorie ausgelöst.

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