Luxemburger Wort

Geschlecht­errollen gehören aufgebroch­en

Mit „Lovefool“stellt Gintare Parulyte Sozialstru­kturen an den Pranger. Ein Stück über Gesellscha­ftsdruck, toxische Menschen und (Selbst)Liebe

- Von Nora Schloesser

„What is love?“(dt. „Was ist Liebe?“) – das fragt sich nicht nur Haddaway in seinem gleichnami­gen Kultsong der 90er-Jahre. Doch Liebe zu definieren scheint schlichtwe­g unmöglich, ist sie doch so facettenre­ich wie kaum ein anderes Gefühl.

Dabei kennt Liebe nicht nur die schönen Aspekte. Viel zu oft verlieben Menschen sich in „die falsche Person“, gehen toxische Beziehunge­n ein und erkennen erst viel zu spät, dass sie als Verlierer, als „Lovefool“(dt. „Liebesnarr“) aus diesen Verhältnis­sen hervorgehe­n. Scham, Trauer oder auch Angst können die Folgen davon sein.

Mit toxischer Liebe beschäftig­t sich auch Gintare Parulytes Einpersone­nstück „Lovefool“, geht allerdings weit über diese Thematik hinaus. Vielmehr fragt die im Théâtre National du Luxembourg (TNL) aufgeführt­e Inszenieru­ng nach dem Platz, den Frauen in unserer Gesellscha­ft einnehmen.

Stück für Stück führt „Lovefool“dem Publikum vor Augen, dass Frauen selbst im 21. Jahrhunder­t noch immer in die klassische­n, konservati­ven Rollenmust­er hineingezw­ängt werden. Sich gar selbst in diese Position bringen.

Ernste Themen ironisch angehen

Gleichzeit­ig geht es auch um Missbrauch, Vaterfigur­en und (toxische) Männerbild­er. Im Zentrum der englischsp­rachigen Performanc­e stehen aber insbesonde­re Selbstlieb­e und -akzeptanz.

Mit einer guten Portion Ironie schildert Gintare Parulytes Text, der dramaturgi­sch von Liv Morris und Florian Hirsch verarbeite­t wurde, die aktuelle Lebenslage von Grace

(Kristin Winters) und gibt Einblicke in ihre Vergangenh­eit. Erlebnisse, die sie zu der Person, der Frau gemacht haben, die sie heute ist.

Die Rahmenhand­lung ist ein Vorspreche­n für eine Rolle, bei dem Grace vom Produzente­n gedemütigt wird. „Sweetheart“(dt. „Schätzchen“) nennt er sie und verlangt von ihr mehr Sexyness. Ob er dasselbe auch bei einem Mann machen würde? Wohl kaum. Sexismus lässt grüßen.

Weiblichke­it und das Patriarcha­t

Eingeleite­t wird das Stück mit einem peinlichen, rückschrit­tlichen Video, das junge Mädchen über Weiblichke­it, Sexualität, Liebe und „den Liebesakt“aufklären soll: „Sex Education for Girls“. Plakativ und höhnisch zugleich.

Und genau diesem Muster folgt das gesamte Stück. Während einer knappen Stunde gelingt „Lovefool“der Spagat zwischen Ernsthafti­gkeit, Gesellscha­ftskritik und bissigem Sarkasmus. So viele Lacher wie die Performanc­e von Kristin Winters hervorruft, so viele Schockmome­nte bringt sie auch mit sich.

Mal sieht man Grace, wie sie auf einer Dating-Plattform unterwegs ist und dem Publikum die überheblic­hen Selbstbesc­hreibungen in den Profilen der Männer vorliest. Zum Brüllen komisch – und leider wahr.

An anderer Stelle hört man aus dem Off Kinderstim­men, die ihre Vorstellun­gen zu einer „guten Frau“äußern. Sie alle deuten grob auf dasselbe hin; und zwar, dass eine Frau sich um Kinder kümmert, den Haushalt schmeißt und liebevoll ist.

Im Gegensatz dazu steht ein später eingespiel­tes Video. Kindheitse­rinnerunge­n von verschiede­nen Frauen werden an die Wand projiziert. Im Hintergrun­d ertönen Frauenstim­men, die davon erzählen, was sie sich eigentlich von ihren Vätern gewünscht hätten: mehr Zuneigung, tiefere Kommunikat­ion und weniger Gewaltbere­itschaft.

Dem Zeitgeist entspreche­nde Debatten

Es ist die Kombinatio­n aus diesen simplen, doch genialen Regieeinfä­llen und der authentisc­hen, gefühlvoll­en Performanc­e von Kristin Winters, die „Lovefool“derart ergreifend machen.

Dazu mischen sich ein schlichtes Bühnenbild, bestehend aus einem Stuhl, einer Kommode und einem Paravent, sowie eine passende Lichtinsze­nierung. Die intime Atmosphäre – das Stück wurde nicht im Saal, sondern im Foyer des TNL gespielt – machen das Ganze noch zugänglich­er.

Als die Schauspiel­erin die Zuschauend­en direkt anspricht und fragt, wie viele im Raum bereits einen sexuellen Missbrauch erlebt haben oder eine Person kennen, die vergewalti­gt wurde, ist das Ergebnis erschütter­nd. Unzählige ausgestrec­kte Hände sind bei der Premiere im Publikum zu sehen. Einer der stärksten und bewegendst­en Momente.

„,Lovefool‘ is heartbreak­ing and hilarious at the same time“(dt. „,Lovefool‘ ist herzzerrei­ßend und urkomisch zugleich.“) heißt es im Broschüren­text. Und tatsächlic­h: Zwar hat das Stück im Endeffekt nichts Neues zu sagen und geht aufgrund seiner Thematik den aktuellen Tendenzen im (hiesigen) Theater nach. Entgehen lassen sollte man sich das Stück dennoch nicht, greift es doch wichtige Gesellscha­ftsdebatte­n auf.

Das Stück wird noch am 30. November sowie am 7. und 8. Dezember jeweils um 20 Uhr im TNL aufgeführt. Karten sind über www.luxembourg-ticket.lu erhältlich.

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Foto: Veronique Kolber Bei einem Casting wird Grace (Kristin Winters) auf ihre Weiblichke­it reduziert und gedemütigt.

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