Luxemburger Wort

Ohne Maulkorb im Haus der Demokratie

Jugend und Politik treffen beim Jugendkonv­ent jährlich aufeinande­r – dabei fordern Jugendlich­e ihr politische­s Mitsprache­recht ein

- Von Florian Javel

„Wir haben nur noch zwei Stunden, um unsere Forderunge­n festzulege­n. Die Zeit läuft uns davon. Die Chance, der Politik unsere Meinung zu sagen, kriegen wir nur einmal im Jahr“, teilt ein Teilnehmer des Workshops „Inclusion – Une société pour nous tous!“seiner Arbeitsgru­ppe mit. Im prunkvolle­n Plenarsaal des Parlaments auf dem Boden hockend, stimmen die anderen Gruppenmit­glieder mit einem schlichten Kopfnicken zu.

Doch für einen kurzen Moment herrscht Stille. Denn je mehr über das Thema Inklusion diskutiert wird, desto komplexer erscheint die Welt, entsteht für die Jugendlich­en der Eindruck. Die Zuversicht, einfache und kurze Antworten auf komplexe langfristi­ge Probleme zu finden, schwindet einfach so dahin. Doch die Zeit drängt. Die Jugendlich­en wollen am Nachmittag noch vor Regierungs­vertretern und Abgeordnet­en ihr politische­s Mitsprache­recht einfordern. Und zeigen, dass auch die Politik von der Jugend noch viel lernen kann.

„Es ist schwer, Lösungen auf politische Probleme zu finden. Wir wissen nichts über Politik. Wenn man sich aber zusammense­tzt und darüber spricht, dann kriegt man es schon hin“, kommentier­t Lena am Ende der Veranstalt­ung hoffnungsv­oll ihre erste Auseinande­rsetzung mit Politik. Die Schülerin hat wie 74 andere Jugendlich­e aus 19 verschiede­nen Gymnasien im Land einen langen Tag hinter sich. Der 17. Jugendkonv­ent, vom Jugendrot organisier­t, ist gerade zu Ende gegangen.

In vier verschiede­nen Workshops zu den Themen, „Demokratie in der Schule“, „Wahlrecht ab 16“, „Inklusion“und „Medien (Des)informatio­n“durften Jugendlich­e im Alter zwischen 13 und 30 Jahren jeweils drei Forderunge­n formuliere­n. Diese durften sie schließlic­h am Nachmittag im Plenarsaal vor Abgeordnet­en und Regierungs­vertretern präsentier­en. Und debattiere­n. Denn, wie es Parlaments­präsident Fernand Etgen (DP) vor den Jugendlich­en formuliert­e, „darf die Politik nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheide­n“.

Wahlrecht ab 16 darf kein Tabu mehr sein

Doch was halten die 74 Jugendlich­en von der Aussage? Entscheide­t die Politik über die Köpfe der Jugend hinweg? „Wir haben das Recht zu arbeiten und Steuern zu zahlen, wenn wir 17 sind, dürfen aber politisch nicht mitbestimm­en“, moniert eine Teilnehmer­in des Workshops „Wahlrecht ab 16“.

Wählen geht nur ab 18. Doch warum, fragen sich andere Mitredner in der Gruppe. „Die Politik denkt, es würde ihr schaden“, sagt ein Jugendlich­er in die Runde. „Die Jugend würde das Wahlresult­at stark beeinfluss­en“, stimmt eine andere Teilnehmer­in zu. Die Frage lässt sich nicht genau beantworte­n. Übrig bleibt im Raum die Unsicherhe­it, warum 16und 17-Jährige nicht geeignet sein sollen, um politisch mitzubesti­mmen. Unter den Jugendlich­en herrscht aber ein Konsens: Das Wahlrecht ab 16 darf kein Tabuthema mehr sein: „Alter definiert nicht die Reife eines Menschen“, „Andere Erwachsene nehmen ihr Wahlrecht nicht mal wahr“, „Mache 16-Jährige sind reifer als 20-Jährige“– so lauten die Überlegung­en der Arbeitsgru­ppe.

„Über unsere Rechte klärt uns aber niemand auf“

Im Raum neben der Arbeitsgru­ppe zum Wahlrecht ab 16 drücken Jugendlich­e ihre Enttäuschu­ng über den Demokratie­mangel in der Schule aus. „An unserem ersten Schultag müssen wir ein Blatt unterschre­iben, auf dem steht, was alles nicht erlaubt ist. Über unsere Rechte klärt uns aber niemand auf“, bemängelt Carolina in ihrer Gruppe. Es sei schwer, einen konstrukti­ven Dialog auf Augenhöhe mit Lehrern und Direktoren zu führen, fährt die Jugendlich­e fort. „Beispielsw­eise gibt es zwischen Düdelingen und Käerjeng keinen Schulbus. Das ist für manche von uns ein Problem. Wir haben mit der Direktorin gesprochen, sie ignoriert uns aber immer wieder.“

Wir haben das Recht zu arbeiten und Steuern zu zahlen, wenn wir 17 sind, dürfen aber politisch nicht mitbestimm­en. Eine Teilnehmer­in des Konvents

In den Workshops können die Jugendlich­en unter sich frei reden und Verständni­s für diese konkreten Probleme des jeweils anderen entwickeln. Sie lernen, dass der politische Diskurs nicht nur Reden voraussetz­t, sondern auch die Fähigkeit zuzuhören. Mit Geduld und Einfühlsam­keit. Ein Modell, das beim Jugendkonv­ent nicht immer die Regel war, verrät eine Organisato­rin vom Jugendrot: „Vorher waren die Abgeordnet­en am Vormittag an den Workshops beteiligt. Sie nahmen im Diskurs aber zu viel Platz ein, weswegen sich das Konzept geändert hat.“Den Dialog mit den Jugendlich­en konnten die Abgeordnet­en allerdings während der Plenarsitz­ung suchen.

Demokratie im Alltag ist nicht nur Sache des Parlaments

Den Plenarsaal des Parlaments hätte man zweimal füllen können, stellt Marvin Caldarella vom Jugendrot am Nachmittag vor den Teilnehmer­n des Jugendkonv­ents, den anwesenden Abgeordnet­en und Regierungs­vertretern fest. Ein Erfolg nach den Strapazen der Pandemie in den letzten Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg