„Es gab keinen Bereich, in dem Frauen nicht aktiv waren“
Kathrin Mess hat Luxemburger Frauenschicksale im Widerstand recherchiert. Heute Abend stellt sie ihr Buch vor
Kathrin Mess, heute stellen Sie Ihr Buch „Hier kommst Du nie mehr raus. Luxemburger Frauen im Zweiten Weltkrieg zwischen Widerstand, Verfolgung und Inhaftierung“in der Abtei Neumünster vor. Zu wie vielen Frauenschicksalen haben Sie recherchiert und was war das Besondere?
Es sind ungefähr 200 Frauenschicksale, die ich recherchiert habe. Das waren Frauen aus allen Bereichen und Gegenden Luxemburgs. Es gab Zentren, wo sich der Widerstand konzentriert hat, zum Beispiel in Esch oder Düdelingen. Sieben Frauen, die ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert wurden, kannten sich schon. Es waren Frauen aus dem politischen Widerstand, aus der Kommunistischen Partei, aber es gab auch Frauen, die gar nicht politisch engagiert oder interessiert waren. Sie haben das eher weltanschaulich gesehen: Wir wollen unsere Männer und Jungs nicht in den Krieg schicken für einen Eroberungskrieg. Es sind viele Einzelbiografien, die ich zu einer Erzählung zusammengefasst habe.
In welchen Bereichen waren Frauen im Zweiten Weltkrieg im Widerstand tätig? Gab es organisierten, weiblichen Widerstand und Netzwerke?
Es gab in Luxemburg keine weiblichen Netzwerke wie unter französischen Frauen. Die Frauen haben Pässe gefälscht, sie haben auch Fotos für diese Pässe gemacht, aufwändige Arbeiten. Sie haben Waffen transportiert, Zwangsrekrutierte aus der Kaserne abgeholt und ihnen Kleidung mitgebracht, wie etwa Marie Brix. Oder sie haben Flugblätter oder Zeitungen verteilt, wie Yvonne Useldinger und Maggy Moes, die wichtige Informationen für den Widerstand gesammelt hat; sie waren Kuriere oder Schleuserinnen. Es gab keinen Bereich, in dem sie nicht aktiv waren. Nach 1945 wurde erzählt, die Männer haben die wichtigen Sachen gemacht und die Frauen gekocht und gewaschen. Das versuche ich mit dem Buch ein bisschen aufzubrechen.
Wie erklären Sie sich, dass die Geschichtsschreibung den Widerstand von Frauen bisher weitgehend ausgeblendet hat?
Einerseits waren die Frauen froh, als sie zu Hause waren und haben sich gesagt: Nun ist der Krieg vorbei, ich möchte jetzt ein ganz normales Alltagsleben; ich möchte Kinder kriegen, heiraten oder mich meiner Familie widmen, die schon da war, und haben sich zurückgezogen. Sie wollten nicht in der Öffentlichkeit stehen. Und dann war es natürlich das 50er-Jahre-Bild, was damals auch das „Luxemburger Wort“vermittelt hat.
Sie haben auch erstmals über Frauen recherchiert, die die Nationalsozialisten mit dem Etikett ‚asozial’ stigmatisierten. Diese wurden mit dem schwarzen Stoffwinkel gebrandmarkt. Wann galt jemand als ‚asozial’?
‚Asozial‘ war eine Kategorie, die gar nicht so genau gekennzeichnet war. Das betraf eine große Gruppe von Personen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren oder Menschen, die sich weigerten, eine bestimmte Arbeit anzunehmen. Wenn man zwei oder dreimal Arbeit ablehnte – es gab ja eine Arbeitspflicht – galt man schnell als ‚asozial’. Es betraf auch viele Frauen, die in Fürsorgeeinrichtungen aufgewachsen sind, sie bekamen per se schon diese Kategorie verpasst; und Prostituierte und Frauen, die der Prostitution bezichtigt wurden.
Unter den 13 Frauen aus Luxemburg, die den Stempel ‚asozial’ erhielten, befand sich auch Theresia Müller. Weswegen wurde sie deportiert?
Theresia Müller selbst konnte mit der Kategorie ‚asozial‘ überhaupt nichts anfangen. Es war ja immer eine Fremdzuschreibung. Sie vermutet, dass sie diesen schwarzen Winkel bekam, weil sie von der Arbeit weggelaufen war. Sie war zu dem Zeitpunkt, als der Zweite Weltkrieg begann, in Deutschland beschäftigt und hatte Angst, dass sie als Luxemburgerin interniert würde. Sie hat dann versucht, über die luxemburgische Grenze zu kommen und ist festgenommen worden. Sie erhielt diese Kategorie und wurde im KZ Ravensbrück sterilisiert.
Welches Frauenschicksal hat Sie am stärksten beeindruckt und warum?
Zwei Frauen: Cécile Kips hat mich sehr beeindruckt, weil sie gerade Zwillinge entbunden hatte – einen hab ich auch interviewt, Joseph Kips. Er sagte, wir waren fünf Wochen alt, als meine Mutter verhaftet und in Ravensbrück ermordet wurde, weil sie schon geschwächt dort ankam; sie wurde aus dem Wochenbett gerissen und hat TBC bekommen. Sie hat sehr viele Leute unterstützt. Sie war Bäuerin und hat „Refraktäre“versteckt.
Das andere Schicksal ist das von Marie Demuth. Sie war eine Ikone des Widerstands in Esch. Bei ihr liefen viele Fäden zusammen, auch der kommunistischen Partei. Über sie gibt es viele Aussagen – von ihr selbst gibt es wenige. Ich habe einen Brief zitiert in meinem Buch, aus dem hervorgeht, dass sie als so eine Art „Engel von Ravensbrück“galt. Sie hat vielen Personen geholfen und war sehr solidarisch. Als sie in Auschwitz ankam, wussten die Frauen von der KP schon, wer sie ist. Sie muss sehr mutig und unerschrocken gewesen sein. Sie ist 1945 nach der
Marie Demuth war eine Ikone des Widerstands in Esch. Bei ihr liefen viele Fäden zusammen, auch der kommunistischen Partei.
Rückkehr gestorben. Darum habe ich meine Arbeit angefangen, weil mich diese zwei Biografien so beeindruckt haben.
Wen wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen, und was sind Ihre Wünsche?
Meine Hoffnung ist, dass der Widerstand von Frauen endlich wahrgenommen wird und Eingang in die Schulbücher findet. Ich möchte gern auch noch ein Buch mit didaktischen Übungen schreiben, das für die Schulen geeignet ist. Ich wünsche mir, dass man sehr viel mehr über diese Frauen und über Ravensbrück weiß, wo die meistens Luxemburger Frauen waren. Das Buch ist eine Hommage an diese Frauen. Und natürlich ist es auch geschrieben für die Kinder und Enkel der ehemaligen Ravensbrückerinnen, dass sie sehen, was ihre Verwandten für ein Schicksal erlitten haben.
Die Buchvorstellung findet am Mittwoch, dem 30. November, um 19 Uhr in der Abtei Neimënster statt.