„Ich habe gar nicht bemerkt, dass sein Verhalten übergriffig war“
Schauspielerin Nina Gummich spricht im Interview über den Fernsehfilm zum 80. Geburtstag von Alice Schwarzer, Grenzüberschreitungen im beruflichen Umfeld und Kritiker der bekannten Feministin
Zu Ehren der deutschen Frauenrechtlerin, Journalistin und Publizistin Alice Schwarzer, die am 3. Dezember ihren 80. Geburtstag begeht, zeigt Das Erste heute um 20.15 Uhr den zweiteiligen Fernsehfilm „Alice“. In die Titelrolle schlüpfte Schauspielerin Nina Gummich (31). Das „Luxemburger Wort“sprach mit der Tochter von Schauspieldozentin, Schauspielerin und Regisseurin Anne-Kathrin Gummich und Schauspieler Hendrik Duryn über ihre Vorbereitungen, Treffen mit Alice Schwarzer und Übergriffigkeiten im Schauspielgeschäft.
Ja, es ist schon eine andere Herausforderung, jemanden zu spielen, der so polarisiert, den so viele kennen und von dem jeder ein Bild hat. Jemanden, der noch am Leben ist und ein eigenes Bild von sich hat. Dann hat auch noch die Regisseurin eine Idee dazu. Je stärker jemand polarisiert, desto unterschiedlicher sind die Sichtweisen. Jemanden zu spielen, von dem man eine genaue Vorlage hat, war tatsächlich eine Herausforderung.
Vor dem Casting hat man uns AliceSchwarzer-Interviews von früher geschickt. Ich wusste, dass viele Kandidatinnen zum Casting kommen werden und wirklich diese eine gesucht wird. Die Bewerber mussten den Effekt erzielen, dass man sie sieht und denkt: „Oh Gott, das war ja jetzt wirklich wie Alice!“Ich habe mir aus den Interviews Sachen herausgeschrieben. Wie sie ihre Hände hält, wie sie schaut, wie sie lacht. Teilweise habe ich mir auch kleinere Sätze aufgeschrieben, die in den Casting-Text passten. Die habe ich dann O-Ton nachgemacht und in die Szene eingebaut. Manchmal war das auch nur ein kleines „Ja“, ein „Nein“oder ein Satzanfang. Das hat im Casting diesen Aha-Effekt hervorgerufen. Für den Film war es dann nochmal eine größere Aufgabe, aber so hat es angefangen.
Alice Schwarzer hatte ein Mitspracherecht für die drei Hauptrollen, also für Alice, Bruno und Ursula. Und sie hat auch nicht einfach nur ihren Segen gegeben. Sie wollte mich zum Abendessen treffen und kennenlernen, bevor sie sich endgültig entscheidet. Alice hatte mir schon beim ersten Treffen einen Stapel Bücher mitgegeben, die ich alle lesen sollte, um mich auf den Dreh gut vorzubereiten. Da dachte ich: „Schaue ich die jetzt an oder lasse ich sie liegen? Ich will mich nicht zu sehr reinsteigern, falls ich die Rolle nicht bekomme.“Sie hatte sich schnell für mich entschieden, aber es wurde noch von anderen Seiten eine ganze Weile diskutiert und abgewägt. Das waren keine leichten Wochen für mich, aber ich habe dann beschlossen: Ich packe den Bücherstapel jetzt an, sonst verlieren wir unnötig Vorbereitungszeit und ich tu’ innerlich so, als wäre ich bereits besetzt.
Ja. Da bin ich die Orte abgelaufen, wo sie damals gelebt hat, wo Bruno gelebt hat und wo ihre Sprachschule war. Wir sind durch die Stadt spaziert und haben das Pariser Lebensgefühl eingeatmet. Ich konnte ihr jederzeit Fragen stellen und auch beim Dreh selbst konnte ich ihr E-Mails schreiben. Wenn ich in den Betreff „dringend“geschrieben habe, kam innerhalb von zwei Sekunden eine Antwort zurück. Das war wahnsinnig zuverlässig. Ab den Dreharbeiten hat sie sich aber rausgehalten. Sie war mal ein oder zwei Tage vor Ort und konnte zuschauen, aber sonst hat sie nichts gesehen. Alice hat mir das große Vertrauen entgegengebracht, dass ich das schon machen werde.
Ich bin da ganz gut durchgekommen. Erstmal bin ich in einer Schauspielerfamilie aufgewachsen. Das bedeutet, dass ich mich da, wo ich beruflich bin, zu Hause fühle. Ich hatte auch nie das Gefühl, ein Regisseur würde wahnsinnig weit über mir stehen, und begebe mich bei der Zusammenarbeit immer bewusst gleich auf
Augenhöhe. Allerdings gab es auf der Schauspielschule einen Fall mit einem Gastdozenten. Ich habe gar nicht bemerkt, dass sein Verhalten übergriffig war, bis ich es Leuten erzählt habe. Das ist in dem Zusammenhang ein häufiges Problem: Oft merkt man erst im Nachhinein, dass etwas über die eigenen Grenzen ging und man es in dem Moment noch nicht so realisiert hat.
Ja, da ist aber auch noch ordentlich Luft nach oben gewesen. Diese Rolle zu spielen, hat mich nochmal mehr dazu bewegt, für mich einzustehen und zu sagen: „Ich werde meinen Weg gehen, auch wenn ich Steine in den Weg gelegt bekomme.“Diesen Mut werde ich nicht verlieren. Was ich zu Ihrer vorherigen Frage noch sagen möchte: Was ich neben solchen Übergriffen natürlich auch noch erlebt habe, ist, dass ich Hauptrollen spiele, seit ich blond bin und viel Sport mache. Natürlich habe ich erlebt, dass man mir beim Abendessen im beruflichen Kontext sagte: „Aber wenn du jetzt noch drei Kilo zunimmst, wird’s schwer. In dem letzten Film fand ich dich schon etwas mollig.“Da bleibt einem der halbe Salat in der Kehle stecken. Man ist so geschockt, dass man es in dem Moment nicht schafft, zu sagen „Entschuldigung, geht’s noch?“, sondern man sich selber dabei erwischt, zu sagen: „Ja, stimmt. Danach habe ich aber auch viel Sport gemacht.“
Ich habe mich um Kopf und Kragen geredet. Ich hoffe, ich bin heute so weit, um in so einem Moment zu sagen: „Entschuldigung, das geht gar nicht!“Das ist auch eine
Grenzüberschreitung, mit der viele Frauen in diesem Beruf zu kämpfen haben.
Sie wurde zwar von einzelnen Personen mit vermeintlich viel Macht in der Presse immer wieder durch den Dreck gezogen. Aber gleichzeitig standen hinter ihr immer Tausende Menschen, die sie befreit hat. Frauen und Männer, von denen sie Briefe bekommt und die schreiben: „Sie sprechen mir aus der Seele! Sie haben mich gerettet. Endlich traue ich mich, das und das zu machen.“
Ich verstehe die Ansätze und finde die Gedanken schön, dass wir alle gleichberechtigt sind und jeder sein, fühlen und lieben darf, wie er will. Wenn es allerdings durch Regelungen und Vorgaben dazu kommt, dass wir eher weiter auseinanderfliegen und nicht zusammenkommen, dann läuft irgendetwas schief.
Ja, durchaus. Sie löst extreme Emotionen aus. Sie ist auch eine Projektionsfläche für alle, die sich überhaupt nicht trauen zu sagen, was sie denken. Wenn man dann den ganzen Tag jemanden frei reden sieht, wie es ihm gerade passt, macht das auch aggressiv. Ich kann das verstehen. Ich finde das aber auch sehr spannend. Nichts ist langweiliger, als wenn sich alle verstehen. (lacht)
Alice hatte mir schon beim ersten Treffen einen Stapel Bücher mitgegeben, die ich alle lesen sollte, um mich auf den Dreh gut vorzubereiten.