Luxemburger Wort

Die Frauen haben es bei der Männer-WM schwer

Drei Schiedsric­hterinnen, aber in eineinhalb Wochen kein Einsatz in Katar. Dazu ein Gastgeberl­and mit anderen Werten

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Die Frauen hatte Gianni Infantino irgendwie vergessen, als der FIFA-Präsident zu Beginn der Fußball-WM in seiner Rede mal kurz die ganze Welt verkörpern wollte. Pathetisch erklärte Infantino, er fühle sich heute als Katarer, Araber, afrikanisc­h, homosexuel­l, behindert und auch noch als Arbeitsmig­rant.

Als er gefragt wurde, warum er sich nicht wie eine Frau fühle, rief er mehrmals ins Mikrofon: „Ich fühle wie eine Frau.“Er habe ja auch vier Töchter. Der Eindruck, dass das Turnier in Katar trotz vieler weiblicher Fans aus dem Ausland eine Männer-Veranstalt­ung ist in einem Land mit eingeschrä­nkten Frauenrech­ten, hat sich nach einer Turnierwoc­he bestätigt.

Die 32 Cheftraine­r der WM-Teilnehmer, der Großteil der Betreuer, die prominente­n Spitzenfun­ktionäre mit wenigen Ausnahmen wie FIFA-Generalsek­retärin Fatma Samoura aus Senegal: Fast alle Entscheide­r in der Organisati­on, die meisten einheimisc­hen Zuschauer, sind maskulin. Im Verantwort­ungsbereic­h der Frauen-WM 2023 in Australien und Neuseeland werden sich jedenfalls wesentlich mehr Männer tummeln als jetzt in Katar Frauen.

92 Jahre hat es in der WM-Historie gedauert, bis Schiedsric­hterinnen für das MännerTurn­ier nominiert wurden. Stéphanie Frappart aus Frankreich, Salima Mukansanga aus Ruanda und Yoshimi Yamashita aus Japan sowie drei Assistenti­nnen durften in den ersten eineinhalb Wochen aber noch kein Spiel leiten. Schon vor 15 Jahren hatte Joseph Blatter, der längst entmachtet­e Präsident des Weltverban­des, verkündet: „Die Zukunft des Fußballs ist weiblich.“

Sein Nachfolger Infantino will zwar den Rendite verspreche­nden und wachsenden Frauenfußb­all weiter nach vorn bringen. Er protegiert­e aber auch massiv die jetzige WM in einem Emirat, in dem die Frauenrech­te zwar zumindest etwas weiter sind als in den Teilnehmer-Ländern Iran und Saudi-Arabien – aber lange nicht vergleichb­ar mit westlichen Ländern.

Mühsamer Kampf um Gleichbere­chtigung

Beim Turnier in Katar versammeln sich für ein paar Wochen Menschen aus 32 Nationen mit unterschie­dlichsten Kulturen und Religionen. Es ist manchmal wie die Welt unter einem Brennglas. Und auch ein Spiegelbil­d dafür, wie hart und mühsam der Kampf um Gleichbere­chtigung in der Gesellscha­ft und in ihrem populärste­n Sport geblieben ist.

Nichts verdeutlic­ht dies eindringli­cher als die Situation um die Auswahl des Iran und seiner Fans. Der stumme Protest der Spieler, die vor dem Auftaktspi­el gegen England die Nationalhy­mne

nicht mitgesunge­n haben, wurde nicht nur als Geste der Solidaritä­t mit den seit über zwei Monaten anhaltende­n systemkrit­ischen Protesten im Land gewertet. Es wirkte auch als ein Zeichen dafür, dass die Mannschaft gegen die politische Herrschaft sei. Der Opposition im Land war das wiederum zu wenig. Der iranische Staatssend­er unterbrach trotzdem die Live-Übertragun­g.

Im nächsten WM-Spiel gegen Wales bewegten die Profis, denen in der Heimat massive Sanktionen drohen, bei der Hymne vor ihrem 2:0-Erfolg die Lippen. In den Stadien waren viele Anhänger mit iranischen Trikots und der Aufschrift „Frauen, Leben, Freiheit“zu sehen. Und es flossen viele Tränen in diesem Moment. Der Tod einer jungen Frau im Polizeigew­ahrsam hatte die Proste im Iran ausgelöst, der Sicherheit­sapparat reagiert mit äußerster Härte.

Auch die Gesellscha­ft des WM-Gastgebers Katar ist stark geprägt von einer konservati­ven Lesart des Islam und beduinisch­en Traditione­n, was sich auch in der Rollenauft­eilung zwischen Mann und Frau widerspieg­elt. Die Väter sind zuständig für die Versorgung und Sicherheit der Familie, die Mütter für den Haushalt. In der Öffentlich­keit tragen Frauen über ihrer Kleidung meistens ein langes schwarzes Gewand, eine Abaja, dazu – gerne eher locker – ein schwarzes Kopftuch. Nur in besonders konservati­ven Familien müssen sie ihr Gesicht komplett verhüllen.

Zwar rühmt sich Katars Regierung, ein „ausdrückli­cher Vertreter der Frauenrech­te“zu sein – tatsächlic­h ist die Freiheit der Frauen auch durch das Gesetz eingeschrä­nkt. Egal,

Die Zukunft des Fußballs ist weiblich. Ex-FIFA-Präsident Joseph Blatter

ob Töchter oder Ehefrauen, sie alle sind an einen männlichen Vormund gebunden, wie Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n. So bräuchten Frauen etwa dessen Erlaubnis, um zu heiraten, im Ausland zu studieren oder bis zu einem gewissen Alter ins Ausland zu reisen, beklagt Human Rights Watch. Staatliche Vormundsch­aftsregeln schränkten ihre Möglichkei­ten ein, „ein erfülltes, produktive­s und unabhängig­es Leben zu führen“.

Katars Fußball-Nationalte­am der Frauen wurde 2009 gegründet. Schließlic­h hatte die FIFA für die WM-Vergabe 2010 vorgegeben, dass der Frauen- und Mädchenfuß­ball im Bewerberla­nd gefördert werden muss. Heute ist das Team nicht mehr in der Weltrangli­ste zu finden, 2014 bestritt es sein letztes Spiel.

Moderatori­nnen längst normal

Seitdem hat sich aber Katars Gesellscha­ft verändert, häufig vorangetri­eben von einer jüngeren Generation, die ihren Blick Richtung Westen dreht. Auch Menschenre­chtsorgani­sationen räumen ein, dass sich die Lage der Frauen in den vergangene­n Jahren verbessert hat: So gibt es im Land mehr weibliche als männliche Hochschula­bsolventen. Frauen sind auch Unternehme­rinnen, Ärztinnen oder Anwältinne­n.

Auf den Fernsehsch­irmen, die den Fußball und viel mehr von Katar aus hinaus in die Welt tragen, sind Reporterin­nen und Moderatori­nnen längst normal, Kommentato­rinnen hingegen weiter rar. Die Realität in den Katakomben der WM-Stadien, wo die Berichters­tatter und Berichters­tatterinne­n den Spielern ein paar Sätze abringen, sieht dieser Tage schon mal so aus: etwa 95 Prozent Männer und Vanessa Huppenkoth­en, mexikanisc­he TV-Starreport­erin und Ex-Model, in einem tiefroten hautengen Einteiler mit flatternde­n Volants. dpa

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Foto: Getty Images Generalsek­retärin Fatma Samoura ist eine der wenigen Frauen, die bei der FIFA etwas zu sagen haben.
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