Die Lust am Arbeiten wieder herstellen
Freitags nur noch bis 12 Uhr, Homeoffice als Regel, nur noch flexible Arbeitszeiten – viele Personalleiter wollen keine jungen Menschen mehr einstellen, weil die „zu viele“Forderungen stellen. Sie beobachten zunehmend: Das „Konzept“Lohnarbeit mit einer 40-Stunden-Woche findet immer weniger Akzeptanz; die meisten wünschen sich eine Vier-Tage-Woche, mehr Urlaub, weniger Arbeit pro Tag und/oder mehr Geld. Viele junge Menschen sehen die Arbeit mittlerweile gar als „Lebensverschwendung“– nach dem Motto: „Warum soll ich mich totarbeiten, eine Eigentumswohnung kann ich mir eh nicht leisten und genug Rente wird es für uns alle bald nicht mehr geben.“Eine deutsche Umfrage zeigt: Die Bindung an die Arbeit nimmt vor allem bei jungen Arbeitnehmern ab: So sagen 58 Prozent der unter 25-Jährigen, dass sie sich ein Leben ohne Beruf nicht vorstellen könnten – 2020 waren es noch 69 Prozent. In Frankreich berichten die Jean-Jaurès-Stiftung und das Ifop-Institut von einer „épidemie de flemme“. Generell habe sich ein Teil der Erwerbstätigen, „insbesondere der jüngeren Arbeitnehmern“nach und nach von der Arbeit entfremdet. Die Corona-Pandemie habe den Lebensstil nachhaltig verändert und die Franzosen dazu veranlasst, der Freizeit eine größere Bedeutung einzuräumen. Allgemein sei der Wert „Arbeit“in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen: Vor 30 Jahren sagten 60 Prozent der Franzosen, dass Arbeit „sehr wichtig“in ihrem Leben sei. Heute sind es nur noch 24 Prozent.
Das ist ein dramatischer Einbruch, und im Rest der westlichen Welt sieht es nicht viel besser aus. Die Tendenz ist vor allem in wohlhabenden Ländern zu beobachten, weil dort die Sozialsysteme besonders gut entwickelt sind. Eine Lohnkürzung um 15 oder 20 Prozent kommt meist nur ab einem bestimmten Lebensstandard in Betracht. Für viele Unternehmen besteht die Herausforderung darin, die individuellen Anforderungen der einen und der anderen unter einen Hut zu bringen, und diese Ansprüche mit den finanziellen Bedürfnissen des Unternehmens im Gleichgewicht zu halten. Die Einführung von Homeoffice ist unumgänglich geworden. In einigen angespannten Sektoren muss das Problem des Lohnniveaus gelöst werden, um den Beruf attraktiver zu machen. Für die Politik steht ebenfalls viel auf dem Spiel. Die Finanzierung unseres hohen Lebensstandards und der Sozialsysteme erfordert eine anhaltende starke Wirtschaftstätigkeit und damit motivierte Arbeitskräfte. Die Menschen werden in Zukunft wohl eher länger arbeiten müssen und das bei einem zunehmenden globalen Wettbewerb um junge Akademiker. Weltweit gibt es immer mehr ausgebildete Menschen; in den sogenannten Brics-Staaten sowie in anderen Schwellen- und Entwicklungsländern sind viele junge Menschen bereit, deutlich mehr zu leisten und mehr Verantwortung zu übernehmen. Es wird also immer dringender, dass die Lust am Arbeiten, auch hierzulande, wieder hergestellt wird.
Der Wert „Arbeit“ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen.
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siert – im schlimmsten Fall im Strafvollzug, wo er weiteres kriminelles Verhalten erst erlernt und sich der Weg in die Kriminalität verstetigt“, mahnt Braum.
„Wenn der Staat gerade in dieser zerbrechlichen Lebensphase mit Repressionen reagiert, bewirkt er kontraproduktiv gerade das, was er vermeintlich verhindern will.“Man sollte sich also wirksame Maßnahmen der Prävention überlegen – einen präventiven Ansatz im Jugendstrafrecht, aber auch allgemein einen der sozialen Prävention im Jugendschutz.
Strafrecht durch andere Maßnahmen umgehen
„Durchgesetzt hat sich die sogenannte Diversionsbewegung, die sich auch im Gesetzentwurf wiederfindet: Die Grundidee ist, auf Strafrecht zu verzichten, es zu umgehen, und den Jugendlichen in seinem sozialen Umfeld abzuholen, zu schauen, was dort verändert werden muss, um ihn zu befähigen, sein Leben im Einklang mit den sozialen Normen zu entwickeln“, beschreibt Braum. „Heute wird es dadurch ergänzt, dass man alternative Strafen verhängt, wie soziale oder gemeinnützige Arbeit, Formen der Mediation und des Täter-Opfer-Ausgleichs. Das ist eine andere Annäherung – Jugendlichen mit Verständnis entgegentreten, gleichzeitig aber auch Normen deutlich machen, indem die Konsequenzen des Verhaltens getragen werden müssen.“
Für die Justiz heißt das, mit mehr Alternativen zu klassischen Strafen reagieren können und anstelle des klassischen Strafverfahrens eher zu schauen, wie man Täter und Opfer an einen Tisch bekommt: Wie gelingt es, das Opfer mit einzubeziehen, wie gelingt es, Täter und Opfer miteinander auszugleichen, wie schafft man es, jenseits der klassischen Zuweisung pädagogisch auf die Täter einzuwirken? „Durch Kommunikation und Gespräch – das ist der Kern des Jugendstrafverfahrens“, sagt Braum.
Die Rollen des Richters und der Staatsanwaltschaft werden dadurch anspruchsvoller. „Das ist ein wichtiger Punkt der Reform: Es wird mehr verlangt als Beweise sammeln, eine Straftat zurechnen und auf eine Sanktion plädieren – es braucht pädagogisch geschulte Richter und Staatsanwälte und mithin verlangt es auch auf Wissen um Jugendliche und deren abweichendes Verhalten spezialisierte Justizorgane.“
Die Justiz hat hier die berechtigte Befürchtung, dass sie keinen mehr finden wird, der das machen will. „Das ist der andere Punkt, woher diese Widerstände kommen: Der Entwurf verlangt eine Reform der Institutionen, sonst wird es nicht funktionieren“, warnt Braum. „Man sollte so ehrlich sein zu sagen: Wenn ich reformieren will, reicht der schönste Gesetzentwurf nicht, dann muss ich an die Struktur der Gerichtsbarkeit gehen. Hat man das der Justiz so erklärt? Ich glaube eher nicht“, meint Braum. „Daher kommen auch diese Missverständnisse. Wenn man sieht, dass die Justiz quasi um ihre Kompetenzen kämpft, ist das am Ende gar nicht die Frage. Sondern: Wie schaffe ich einen Justizapparat, der organisatorisch so aufgestellt ist, dass er das Gesetz umsetzen kann?“
Eine eigene Jugendgerichtsbarkeit aufbauen
Gebraucht werde eine eigene Jugendkammer und eine Jugendstaatsanwaltschaft. „In den Nachbarländern gibt es ganze Vereinigungen für Jugendgerichtshilfe, die für Aus- und Fortbildungen
von Jugendrichtern und -staatsanwälten sorgen: Sie müssen die Diversionsmechanismen kennen, sie müssen wissen, wie Mediation funktioniert, sie müssen ein bisschen pädagogische Ahnung haben, wie ein Jugendlicher tickt, sie müssen in der Lage sein, mit dem SCAS (Service central d'assistance sociale der Staatsanwaltschaft, A.d.R.) oder dem ONE im Sinne eines sozialpädagogischen Ansatzes zusammenzuarbeiten. Die politisch Verantwortlichen müssen das mitdenken.“
Problematisch ist laut Braum auch, dass die Beziehung zwischen der für den Jugendschutz zuständigen Jugendgerichtshilfe – SCAS und ONE – und der Justiz nicht klar ist. Die Staatsanwaltschaft soll den SCAS für soziale Untersuchungen über die Hintergründe des jugendlichen Delinquenten heranziehen können, mit dem Ziel zu untersuchen, ob und inwiefern Diversionsmaßnahmen angemessen sind und umgesetzt werden können. „Das gibt es im Ausland nicht, dort ist die sogenannte Jugendgerichtshilfe, die im Umfeld des Jugendlichen ermittelt, unabhängig von der Justiz. Sie muss von den Jugendlichen wahrgenommen werden als etwas, was nichts mit der Staatsautorität zu tun hat. Das ist ganz wichtig“, betont Braum.
Die Justiz bemängelt hier, sie habe keine Möglichkeit mehr, auf die Jugendgerichtshilfe zuzugreifen. „Das stimmt nicht“, sagt Braum. „Man kann jederzeit Jugendgerichtshelfer als Zeugen oder Sachverständige heranziehen. Zudem sehen die Gesetzentwürfe viele wirksame und nicht nur künstliche Brücken zwischen der Staatsanwaltschaft und dem ONE vor. Genau das ist im Sinne einer modernen Konzeption von Jugendschutz und Jugendstrafrecht.“