„Repressionen sind bei Jugendlichen kontraproduktiv“
Strafrechtsprofessor Stefan Braum zum geplanten Jugendstrafrecht und warum die Justiz Widerstand leistet
Luxemburg ist das einzige Land in der EU, das noch keine Trennung zwischen Jugendschutz und Jugendstrafrecht vollzogen hat. Seit mehr als 30 Jahren wird an einer Reform gearbeitet, zahlreiche Ansätze verliefen im Sand, die Fronten blieben verhärtet. Heftiger Widerstand aus der Justiz regt sich auch jetzt gegen die Reform, die Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) und Kinder- und Jugendminister Claude Meisch (DP) im vergangenen April einbrachten.
Es soll ein eigenes Jugendstrafrecht eingeführt werden und der Jugendschutz wird auf Justiz und Office National de l’Enfance (ONE) verteilt. Mit Prof. Dr. Stefan Braum, Strafrechtler der Universität Luxemburg, sprachen wir darüber, wie Jugendstrafrecht künftig funktionieren soll und was schwierig an der Reform ist, die Luxemburg in Einklang mit internationalem und europäischem Recht, wie der UN-Konvention zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, bringen soll.
Jugendliche als Rechtssubjekte behandeln
Wesentlich ist der Paradigmenwechsel, dass Jugendliche künftig als Rechtssubjekte zu behandeln sind. „Das erfordert einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel. Die Justiz versteht sich bisher als eine Art Hüter einer gewissen Ordnung, wie man sich die Lebensphase Jugend vorstellt: Jugendliche werden vor Gericht nicht primär als junge Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen, die Grundrechte haben, sondern als ein Bezugspunkt für erzieherische Maßnahmen“, erklärt Braum. „Die Kritik der Justiz bezieht sich auf verschiedene Details und es kommt immer derselbe Gedanke zum Vorschein: Dass man der Justiz etwas wegnimmt, nämlich für den Schutz von Jugend und Gesellschaft zu sorgen.“
Die Generalstaatsanwaltschaft macht dabei geltend, dass es doch bislang gut funktioniert habe. Belegen lässt sich das nicht. Andere Länder, wie auch Deutschland, Frankreich und Belgien, haben Informationen generell über den Umfang jugendlicher Straftaten und die Art der Sanktionen und es gibt umfassende kriminologische und empirische – also auf Erfahrung basierende – Studien über das Funktionieren des Jugendstrafrechts.
Luxemburg hat diese Daten und Analysen nicht, sondern führt nur Justiz-Statistiken. „Man müsste beispielsweise ableiten, wie viele Rückfall-Straftaten es von welchen Tätern gibt, wo die Täter herkommen, was ihre Taten sind, wie die Entwicklung über die Jahre hinweg bezogen auf die Gesamtbevölkerung und den Anteil der Jugendlichen im Land ist“, sagt Braum.
Dann ließen sich – oft falsche – Thesen, dass die Jugendkriminalität ansteigt oder dass sich bestimmte Formen der Gewaltkriminalität stärker ausbreiten, wie Jugendgangs, an Daten messen. „Oft sind es Annahmen, die auf einzelnen Medienberichten beruhen. Sie werden als Bedrohungsszenario wahrgenommen, auf das Justiz und Strafverfolgung vermeintlich nicht hinreichend vorbereitet sind. Diese Art der Diskussion gibt es in allen größeren Ländern, überall dort, wo Gewalt von Jugendlichen sich zeigt.“
Auf den Plan gerufen werde dann die Innenund Sicherheitspolitik und die einfache Antwort ist: Strafrecht und Repression durch harte Sanktionen. Braum argumentiert: „Wenn stärkeres abweichendes Verhalten Jugendlicher in einer Gesellschaft festgestellt wird, wäre eher der Umkehrschluss zu ziehen, dass ein repressives Konzept, das bislang eher dem luxemburgischen Kriminaljustizsystem entspricht, eben nicht fruchtet.“
Ein weiteres Ziel des Gesetzes ist es, wissen zu wollen, wie das Jugendstrafrecht wirkt, also eine permanente Evaluation der Reaktionsmuster der Justiz und auch der Instanzen, die mit dem Jugendschutz zu tun haben. Das ist ungewohnt und verunsichert.
Abweichendes Verhalten Jugendlicher reicht von Weglaufen von zu Hause, Schule schwänzen, bis hin zu Straftaten, wie Diebstahl, Körperverletzung oder Verkehrsdelikte, später Rausch- und Alkoholdelikte, die dann ab einem gewissen Alter auch strafrechtlich relevant sind. Studien dazu gibt es seit den 1970er-Jahren. Braum verweist darauf, dass es ein vorübergehendes Phänomen ist, das mit der Lebensphase Jugend zusammenhängt und ganz unterschiedliche Gründe hat: Es kann aus einer Unsicherheit entspringen, aus unklaren ökonomischen oder familiären Verhältnissen, aus Rebellion, aus der Suche nach Identität oder um sich testen zu wollen. Strafdrohung oder mit einem ganzen Justizapparat zu reagieren, hat darauf überhaupt keinen Einfluss.
Jugendliche haben eigene Wertekriterien
„Jugendliche ticken nach ihren eigenen Wertekriterien, die sie anders und gerade abweichend von denen der Gesellschaft definieren. Gerade das macht sie aus. Kriminologische Studien belegen, dass die Nicht-Intervention in dieser Lebensphase dazu führt, dass das von der Norm abweichende Verhalten zeitlich begrenzt bleibt. Und umgekehrt: Wo das Strafrecht repressiv zugreift und ein Jugendlicher als abweichend etikettiert ist, besteht die Gefahr, dass er sich in diesem Umfeld soziali