Der Kampf um die Migration
Die deutsche Ampel-Regierung modernisiert die Einwanderung mit jeder Menge Gesetzesprojekten – die Union streitet unterdessen, wie konservativ sie sein will
Gestern Mittag passiert genau das, was sie bei der Union unbedingt vermeiden wollten. Der „Spiegel“platziert auf seiner Internet-Seite als Aufmacher, also ganz oben, die Schlagzeile: „Unionsfraktion muss mit Abweichlern im Kampf gegen Ampel-Gesetz rechnen“. Gemeint ist das sogenannte „Chancen-Aufenthaltsgesetz“, das der Bundestag am Freitagmorgen wohl beschließen wird, mit der Mehrheit der drei Regierungsfraktionen. Es soll Migrantinnen und Migranten, die bislang in Deutschland nur geduldet werden, die Chance auf ein Bleiberecht eröffnen – unter klaren Voraussetzungen.
Die Fraktionsspitze der Union hatte die Parole Ablehnung ausgegeben – ohne einen Gedanken an Widerstand in den eigenen Reihen. Am Dienstag aber werden Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, der Chef der Fraktion und der Boss der CSULandesgruppe, eines Anderen belehrt: Knapp zwei Dutzend Fraktionsmitglieder kündigen in einer „Persönlichen Erklärung“an, sie würden sich bei der Abstimmung enthalten – denn sie hielten „die vorgeschlagenen Änderungen“für „sinnvoll und pragmatisch“.
Bis Mittwochmittag bleibt der Konflikt weitgehend unter der Decke. Obwohl es Dienstagnachmittag in der Fraktionssitzung ziemlich kracht. Fast zwei Stunden diskutieren die Ablehner und die Enthalter – und am Ende einigt man sich darauf, dass man nicht einig ist. Ein Gespräch des Sprechers der Enthalter, des Bremers Thomas Röwekamp, am Mittwoch mit Merz und Dobrindt und den Innenund Rechtspolitikern der Fraktion ändert daran nichts.
Geduldete Flüchtlinge im Fokus
Im Zentrum des Streits steht die Frage, wie mit Flüchtlingen zu verfahren ist, die bislang nur geduldet sind, weil ihre Identität nicht zweifelsfrei geklärt ist, und die selbst diese Klärung verhindert oder zumindest nicht befördert haben. Die Fraktionsführung und die Mehrheit der Fraktion halten ein Bleiberecht für diese Menschen für eine „Belohnung“für „Rechtsuntreue.“Die Minderheit findet, „erfolgreiche Integration muss Vorrang haben vor auch in Zukunft dauerhaft erfolgloser Abschiebung“.
Wenn also die Flüchtlinge binnen eines Jahres ihren Lebensunterhalt sicherten, Sprachkenntnisse erwürben, alles zur Identitätsfeststellung täten und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennten: Dann sollten sie das Bleiberecht erhalten. Die Gruppe, um die der Streit entbrannt ist, zählt etwa 270 000 Menschen.
Und genau genommen dreht sich der Krach gar nicht um sie – sondern darum, wie die Migrationspolitik der Union in der Nach-Merkel-Ära aussehen soll. An der Linie der nun Alt-Kanzlerin, die sie in der Union „modern“nennen, hatten sich ab Herbst 2015 die Geister geschieden; im Sommer 2018 wäre daran um ein Haar die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zugrunde gegangen.
Und es ist kein Geheimnis, dass Merz auch deshalb Partei- und Fraktionschef wurde, weil sich viele – Wähler, Parteimitglieder, Abgeordnete – von ihm eine härtere Gangart bei der Migration erhofften. Merz aber, der dazu auch entschlossen schien, merkte rasch, welches Konfliktpotenzial das Thema hat. Und dass es außer denen, die gern zu der Abwehrpolitik der Vor-Merkel-Zeit zurückkehren möchten, auch andere gibt, die den Merkel-Kurs fortführen und aktualisieren wollen. Schon weil sich die Zeiten geändert haben und Migration vielfältig ist – von Asylsuche über Fachkräfteeinwanderung bis Staatsbürgerschaftserwerb.
Eine Linie muss her
Einig ist man sich, dass „eine Position“her muss, andere sagen „eine Linie“, die die Union kenntlich macht. Wie klar sie sich unterscheiden soll von der Regierungspolitik der drei Ampelparteien aber ist heftig umstritten. Und auch, wie viel Polarisierung die Debatte verträgt. CSU-OberBerliner Dobrindt, beispielsweise, setzt auf möglichst scharfe Abgrenzung, gern auch über scharfe Begriffe wie das „Verramschen“der Staatsbürgerschaft oder die „endgültige Aufgabe des Rechtsstaatsprinzips“.
Andere, wie etwa Röwekamp, hätten es lieber sachlich und pragmatisch. „Wenn man Flüchtlinge ohnehin nicht abschieben kann, weil der Rechtsstaat sie davor schützt, dann ist es doch klüger, man gibt ihnen die Chance zu arbeiten und sich zu integrieren, statt ewig von staatlicher Hilfe zu leben.“
Statt einer Position aber und einer dazu passenden Strategie – die alle gern und möglichst schnell wollen – wird die Union am Freitag ihre Spaltung zeigen. Am Donnerstag stößt auch Merkels einstiger Kanzleramtsminister Helge Braun zu den Enthaltern. Das hat etwas Demonstratives. Und ist auch genau so gemeint.
Es ist kein Geheimnis, dass Merz auch deshalb Partei- und Fraktionschef wurde, weil sich viele von ihm eine härtere Gangart bei der Migration erhofften.