Kerzenschein und Kaminfeuer
Frankreich bereitet sich auf gezielte Stromabschaltungen im Winter vor. Durch den schlechten Zustand der Atomreaktoren dürfte es an Elektrizität fehlen
Noch ist der Kreis auf dem Smartphone in freundlichem Lindgrün gehalten. Doch im Januar könnte die App EcoWatt des französischen Stromnetzbetreibers RTE auf Gelb oder Rot wechseln. Das rote Signal bedeutet höchste Alarmstufe: Die Nachfrage nach Elektrizität übersteigt dann das Angebot. Die Folge wären geplante Stromabschaltungen. Die Regierung spricht inzwischen offen über dieses Worst-Case-Szenario, bei dem Wohnungen dunkel bleiben, Schulen schließen und der Zugverkehr stillsteht. Ministerpräsidentin Élisabeth Borne gab gestern ein Rundschreiben an die Präfekten in den 100 Départements des Landes heraus, in dem steht, wie im Falle solcher kontrollierter Blackouts zu verfahren ist.
Nur der Notruf soll noch funktionieren
Die Abschaltungen sollen maximal zwei Stunden am Tag dauern und nur zu den Stoßzeiten erfolgen, also zwischen 8 Uhr und 13 Uhr sowie zwischen 18 Uhr und 20 Uhr. Zumindest abends müssten also die Kerzen herausgeholt und das Kaminfeuer angezündet werden – wenn es denn eines gibt. Ob wirklich ein Stadtviertel oder eine Gemeinde im Dunkeln
versinkt, wird erst am Vorabend endgültig entschieden. Klar ist allerdings schon jetzt, dass kein ganzes Département betroffen sein wird. „Das ist eine Konfiguration wie ein Leopardenfell“, heißt es aus Regierungskreisen. Abgeschaltet wird also nur auf nicht zusammen hängenden Flächen, die immerhin bis zu sechs Millionen Einwohner umfassen können.
Ausgenommen von der drastischen Maßnahme sollen Feuerwehr, Polizei und Krankenhäuser, aber auch einige Industriebetriebe sein. Wer an eine Stromleitung angeschlossen ist, die beispielsweise ein Krankenhaus versorgt, ist ebenfalls nicht betroffen. Insgesamt dürften so 40 Prozent der Bevölkerung verschont bleiben, lautet das Kalkül.
Diejenigen, denen der geplante Blackout droht, müssen allerdings gewaltige Einschnitte hinnehmen. Denn die Schulen sollen geschlossen werden, da sie nicht zu den prioritären Einrichtungen gehören. Auch die Züge können in den betroffenen Gebieten nicht mehr fahren, da Bahnschranken und Signalanlagen ohne Strom nicht funktionieren. Da die Ampeln ebenfalls ausfallen dürften, sollen Autofahrerinnen und Autofahrer aufgefordert werden, zu Hause zu bleiben. Homeoffice wird dort allerdings nicht möglich
sein, da es kein Internet und Telefon gibt. Einzige Ausnahme soll der Notruf 112 sein, der bei der Abschaltung einer Antenne über andere verfügbare Antennen läuft.
Erhöhtes Risiko ab Januar
RTE hatte bereits vor zwei Wochen davor gewarnt, dass für Januar ein „erhöhtes“Risiko für Engpässe bestehe. Grund dafür sind die 20 der 56 Atomreaktoren des Landes, die derzeit wegen Wartung oder Korrosionsproblemen abgeschaltet sind. Die laufenden Reaktoren produzieren rund 35 Gigawatt Strom täglich, doch für den 1. Januar sind laut RTE mindestens 40 Gigawatt nötig. Frankreich, eigentlich eine Stromexportnation, werde im Winter sehr viel Strom importieren müssen, kündigte RTE-Chef Xavier Piechaczyk an. Zu den Ländern, die aushelfen müssen, gehört auch Deutschland, das im Gegenzug französisches Gas geliefert bekommt.
Da die Atomkraft in Frankreich rund 70 Prozent der Elektrizität erzeugt, fallen die Mängel der meist über 40 Jahre alten Anlagen besonders ins Gewicht. Jahrzehntelang freute sich das Land an dem billigen Strom aus seinen Atomkraftwerken, der auch den
Die Schulen sollen geschlossen werden, da sie nicht zu den prioritären Einrichtungen gehören.
Ausbau der Erneuerbaren verzögerte. Nur rund 20 Prozent der Energie stammen aus Wind- oder Sonnenenergie. Präsident Emmanuel Macron will nun nachlegen, indem er beispielsweise die Offshore-Windenergie ausbaut.
Doch das heißt nicht, dass er die Atomkraft abschreibt: Bis 2035 sollen sechs neue Druckwasserreaktoren (EPR) gebaut werden. Einer davon entsteht bereits in Flamanville am Ärmelkanal. 2012 sollte die Anlage fertig sein – doch es wird immer noch an ihr gebaut.