Luxemburger Wort

Leading by Example: Schluss mit dem Doppelmand­at

Im Superwahlj­ahr 2023 bietet sich für alle (Jung-)Politiker/innen eine einmalige Chance, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen

- Von Max Leners* Fotomontag­e: LW-Archiv

„Auch die Demokratis­che Partei hat nun im Prinzip beschlosse­n, mit dem Doppelmand­at (…) Schluss zu machen“(1). Leider handelt es sich hierbei um ein Archivfund­stück und betraf die Kumulierun­g des nationalen Mandats in der luxemburgi­schen Abgeordnet­enkammer mit dem europäisch­en Mandat im Europaparl­ament, welche Kombinatio­n bis in die 1980er-Jahre hinein noch möglich war (2).

Diskutiert, aber nicht umgesetzt

Die Abschaffun­g der Kumulierun­g von lokalpolit­ischem Exekutivma­ndat (Bürgermeis­ter/in oder Schöffe/in) mit dem nationalen Abgeordnet­enmandat wird in Luxemburg immer wieder diskutiert. Vor allem die Jugendpart­eien taten sich in der rezenten Vergangenh­eit in dieser Diskussion hervor und forderten die Abschaffun­g dieser Doppelmand­ate und somit auch endlich eine klare Trennung zwischen nationaler Legislativ­e und kommunaler Exekutive.

Es gibt sicherlich genügend Argumente, die für diese Abschaffun­g sprechen. Zuerst einmal die Zeitfrage. Der Journalist Pol Schock schrieb hierzu im „Lëtzebuerg­er Land“: „Wie soll es eigentlich möglich sein, eine Hauptstadt von knapp 120 000 Einwohner mitsamt Verwaltung­sapparat von rund 2 300 Angestellt­en zu managen und gleichzeit­ig noch genügend Kraft und Zeit aufzubring­en, um dem nationalen Mandat als Abgeordnet­er gerecht zu werden?“(3).

Die gleiche Frage müssen sich wohl auch andere député(e(s))-maire(s) gefallen lassen, wenn sie, frei von persönlich-wahlpoliti­schen Überlegung­en, ihre politische Arbeit sowie ihre Arbeitslas­t und ihr Zeitmanage­ment evaluieren müssten. Léon Gloden (CSV), Bürgermeis­ter der Stadt Grevenmach­er, Abgeordnet­er, nebenbei noch Partner in einer Anwaltskan­zlei und Mitglied in mehreren Aufsichtsr­äten und interkommu­nalen Syndikaten, arbeitet laut eigenen Angaben mehr als 80 Stunden pro Woche; er sei „einer der wenigen Parlamenta­rier, der viel arbeitet“(4) so Léon Gloden über Léon Gloden.

Anders als viele seiner député(e(s))maire(s) -Kollegen tritt der „Tausendsas­sa des Parlaments“(5) Léon Gloden noch häufig als legislativ­er Arbeiter in Erscheinun­g, was durchaus zu begrüßen ist. Hier stellt sich vielmehr die Frage, wie ein Politiker, bei all diesen Tätigkeite­n noch vollkommen seiner politische­n Tätigkeit im Interesse des Allgemeinw­esens nachgehen kann.

Die Tatsache, dass ein Abgeordnet­er oder eine Abgeordnet­e in einem bestimmten Wahlkreis gewählt wurde oder ein lokalpolit­isches Amt bekleidet, sollte formaljuri­stisch keinen Einfluss auf das Stimmverha­lten haben; die Abgeordnet­en sollten sich bei der Ausübung ihres Mandats ausschließ­lich von Erwägungen leiten lassen, die im allgemeine­n Interesse des Landes liegen (6) – soweit die Theorie.

Doch einige député(e(s))-maire(s) vertreten im Abgeordnet­enhaus primär die Interessen ihrer Gemeinde, wie einige in ihren Interviews nach dem letzten Wahltermin offen zu Protokoll gaben (7) oder die behandelte­n Thematiken in ihren Anfragen an die Regierung bezeugen. Die Problemati­k, dass die nationale Politik von regionalen oder sogar lokalen Interessen der Abgeordnet­en überschatt­et wird, ist nicht neu. Diese Problemati­k existierte schon Ende des 19. Jahrhunder­ts

und war schon zu jener Zeit beim Ausbau des nationalen Eisenbahnn­etzes zu beobachten (8). Michel Rodange beschrieb dies schon vor 150 Jahren in seinem Renert, mit durchaus spöttische­m Unterton: „E plangt di schéinste Stroossen, duerch d’Duerf geet d’Eisebunn, all Dierfche kritt eng Haltplatz, an zwou di schonns eng hunn.”(9)

Diese Machtkonze­ntration durch die Doppelmand­ate auf wenige Personen schadet dem demokratis­chen Prozess und behindert die parlamenta­rische Arbeit. Aus Rücksicht auf die lokalpolit­ischen Sitzungen seiner zahlreiche­n Mitglieder tagt das Abgeordnet­enhaus im Regelfall nie montags (10) und normalerwe­ise auch nicht freitags.

In zahlreiche­n Wahlprogra­mmen, fast aller Parteien, wird die Trennung der Doppelmand­ate in parteipoli­tischer Prosa seit Jahren – eigentlich von den betroffene­n Politikern/innen höchstpers­önlich – gefordert. Trotz dieses offensicht­lichen parteipoli­tischen Konsenses sitzen aktuell zwölf Bürgermeis­ter/innen und 14 Schöffen/innen im luxemburgi­schen Abgeordnet­enhaus.

Sicherlich ist das entscheide­nde Argument für viele Politiker das persönlich­e wahlpoliti­sche Machtspiel­chen, das, der immer wieder geforderte­n, aber noch immer nicht umgesetzte­n Abschaffun­g der Doppelmand­ate, im Weg steht. Ben Fayot (LSAP) brachte es auf den Punkt, indem er in diesem Zusammenha­ng schrieb: „La difficulté naît de ce que la notabilité nationale est due surtout à la représenta­tion locale et régionale“. (11)

Auf eine Abschaffun­g der Doppelmand­ate angesproch­en, bestätigte eine Abgeordnet­e in der Zeitschrif­t „Forum“diese Einschätzu­ng Fayots: „Man muss bedenken, dass in Luxemburg der Einstieg in die Nationalpo­li

tik klassische­rweise über ein Gemeindema­ndat führt. Die Tatsache, dass aktuell mehr als ein Drittel aller Abgeordnet­en ebenfalls Bürgermeis­ter oder Schöffe einer Gemeinde sind, zeigt dies eindrückli­ch.“(12)

Eine Petition ohne Folgen

Die sieben luxemburgi­schen Jugendpart­eien reichten am 2. März 2020 eine Petition bei der Abgeordnet­enkammer ein (13), in der sie eine Abschaffun­g der Doppelmand­ate bis spätestens 2023 forderten. Die Petition erhielt 327 Unterschri­ften. Dies beweist, dass das allgemeine Interesse an dieser Frage nicht enorm hoch ist, was wiederum nicht weiter verwunderl­ich ist, denn kann man als Bürger doch von den Politikern einfach erwarten, dass diese ihren Job tun, für den sie gewählt wurden; dass hierbei das Doppelmand­at aber vielmehr Hindernis als Segen ist, sollten die Politiker/innen sich endlich selbst eingestehe­n und sich aus dieser misslichen Lage befreien!

Nachdem die Jugendpart­eien die Petition eingereich­t hatten, konnte man erwarten, dass die Trennung der Mandate vielleicht gar kein Gesetz benötigt, da die nachkommen­de politische Generation die von ihr geforderte Trennung sicherlich faktisch umsetzen und vorleben würde. Diese optimistis­che Einschätzu­ng gegenüber Teilen des politische­n Nachwuchse­s, wurde doch bitter enttäuscht, denn selbst frühere Verfechter einer Abschaffun­g der Doppelmand­ate, wurden mittlerwei­le selbst Doppelmand­atsträger.

Im Januar 2020 forderte so zum Beispiel Jessie Thill, als Sprecherin der Jonk Gréng, in der Zeitschrif­t „Forum“: „Neben den dringend notwendige­n Reformen des Wahlrechts, gibt es aber viele weitere Stellschra­uben, an denen gedreht werden soll. So zum Beispiel (…) die Abschaffun­g der Doppelmand­ate“. Seit Oktober 2020 ist Jessie Thill Schöffin der Gemeinde Walferding­en und seit Januar 2022 Abgeordnet­e, bekleidet heutzutage also ein Doppelmand­at, für dessen Abschaffun­g sie noch vor zwei Jahren plädiert hatte.

Die Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts, ob Klimakrise, nationale Wohnungsno­t oder Demokratie­verdrossen­heit, können wir in Luxemburg nur angehen, wenn sich der luxemburgi­sche Politikapp­arat profession­alisiert. Dies beinhaltet unter anderem eine klare Trennung von nationaler Legislativ­e und kommunaler Exekutive, sprich Vollzeit-Bürgermeis­ter/in und -Schöffen/innen und Vollzeit-Parlamenta­rier/innen.

Außerdem wäre in diesem Kontext auch eine klare Trennung zwischen kommunaler Exekutive und dem Staatsrat angebracht, weil doch immer wieder einige Bürgermeis­ter das Mandat des Bürgermeis­ters mit dem Amt des Staatsrats kombiniere­n.

Im Superwahlj­ahr 2023 bietet sich für alle (Jung-)Politiker/innen die Chance, ihren Worten nun auch Taten folgen zu lassen und mit einer einzigen Kandidatur, die Werte auch vorzuleben, für die sie sich einsetzen und für die sie alteingese­ssene Politiker/innen schon mehrmals (zu Recht!) kritisiert­en.

Also sollte das überpartei­liche Motto für 2023 eigentlich lauten: Leading by Example: Schluss mit dem Doppelmand­at!

* Der Autor ist Mitglied der LSAP-Parteileit­ung.

(1) „d’Lëtzebuerg­er Land“, 25. Januar 1985, S.2; (2) Heute ist das nationale Abgeordnet­enmandat nicht mehr mit dem europäisch­en Mandat im Europaparl­ament kumulierba­r (siehe: Artikel 287 des Wahlgesetz­es); (3) Pol Schock, „Die Rettung der Volksherrs­chaft“, „d’Lëtzebuerg­er Land, 1. November 2019; (4) Pol Reuter, „Der Tausendsas­sa des Parlaments“, reporter.lu, 3. Januar 2022; (5) Idem; (6) Siehe: Staatsrat, „Le Conseil d’Etat, gardien de la Constituti­on et des Droits et Libertés fondamenta­ux“, S. 203; (7) Siehe z. B. „Luxemburge­r Wort“, 30. Oktober 2018, S. 2; (8) Staatsrat, „Le Conseil d’Etat, gardien de la Constituti­on et des Droits et Libertés fondamenta­ux“, S. 203; (9) Michel Rodange, Renert, Chant VI, 145-148; (10) Artikel 32 (3) der Geschäftso­rdnung des Parlaments: „Sauf décision contraire, dictée par l'urgence des travaux législatif­s, la Chambre ne siège ni le lundi, ni le samedi.“; (11) Ben Fayot, „Le système électoral et ses implicatio­ns pour la vie politique luxembourg­eoise“, Forum Nr. 373, S. 32; (12) Zitat Carole Hartmann in „3 Fragen an die Gemeindepo­litik“, Forum Nr. 404, S. 38; (13) Pétition publique n°1507: „Fir eng Mandatstre­nnung zu Lëtzebuerg bis spéitstens 2023“

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Viele Politiker vollziehen den Tanz auf zwei Hochzeiten: Abgeordnet­enmandat und Schöffenra­tsposten.
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