Luxemburger Wort

„Dialog setzt voraus, dass man sich begegnen will“

Im Interview spricht der Direktor der „Luxembourg School of Religion & Society“über das Miteinande­r der Religionen in Luxemburg und welche Entwicklun­gen er für den interrelig­iösen Dialog sieht

- Interview: Sarah Schött Jean Ehret, wie würden Sie die aktuelle Situation des interrelig­iösen Dialogs in Luxemburg beschreibe­n? Es gibt in Luxemburg aber auch noch viele weitere Gemeinscha­ften, oder? 2019 haben Papst Franziskus und Ahmad Al-Tayyeb ein wic

Am 4. Februar 2019 unterzeich­nete Papst Franziskus in Abu Dhabi gemeinsam mit dem Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb, das „Dokument über die Brüderlich­keit aller Menschen“. Es befasst sich mit der Frage, wie Anhänger verschiede­ner Religionsg­emeinschaf­ten friedlich zusammenle­ben können. Doch welche Konsequenz­en hatte es für den interrelig­iösen Dialog und wie hat sich dieser seitdem entwickelt? Das „Luxemburge­r Wort“sprach darüber mit Prof. Jean Ehret (56), Direktor der „Luxembourg School of Religion & Society“.

In Luxemburg sind wir eine pluralisti­sche Gesellscha­ft, die auf der einen Seite Menschen mit sehr verschiede­nen Weltanscha­uungen zusammenfü­hrt, und auf der anderen Seite diese Pluralität wertschätz­t und als etwas Gutes ansieht. Es gibt in der Politik, aber auch in der Gesellscha­ft einen Willen, dieses gute Zusammenle­ben auszubauen und nicht nur zu sichern. Das betrifft dann auch den interrelig­iösen Dialog.

Hier in Luxemburg würde ich sagen, dass wir dabei verschiede­ne Ebenen haben: Es gibt den Dialog zwischen den Religionsg­emeinschaf­ten, die auch schon ein Abkommen mit dem Staat unterzeich­net haben, die sogenannte­n konvention­ierten Religionsg­emeinschaf­ten. Und wir haben dann zwei Religionsg­emeinschaf­ten, die keine Konvention unterschri­eben haben, die aber als ständige Gäste im Rat der konvention­ierten Religionsg­emeinschaf­ten dabei sind. Das ist die Gemeinscha­ft der Baha’i und die Neuapostol­ische Kirche. Man trifft sich regelmäßig zum Austausch, bespricht Dinge, die anstehen und pflegt ein sehr gutes, freundscha­ftliches Beisammens­ein. Es besteht auch Offenheit gegenüber anderen Religionsg­emeinschaf­ten, wie zum Beispiel den Buddhisten.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Das zeigt sich etwa am Nationalfe­iertag. Die religiöse Feier dieses Tages findet als katholisch­er Danksagung­sgottesdie­nst in der Kathedrale statt. Aber bereits seit 2014 haben wir einen multirelig­iösen Vorspann, sodass auch der Imam, der Rabbiner und der Vertreter einer der anderen christlich­en Konfession­en ein Gebet in diesem Rahmen spricht.

Es ist längst nicht selbstvers­tändlich, dass Religionsv­ertreter, Autoritäte­n, in den religiösen Raum der anderen eintreten. Es ist noch weniger selbstvers­tändlich, dass Sie dort ein Gebet sprechen, und zwar von beiden Seiten her. Es ist ein Ausdruck davon, dass wir zusammen freundscha­ftlich verbunden im Raum unseres Landes leben und gemeinsam Verantwort­ung übernehmen. Am vergangene­n Europatag, dem 9. Mai, hatten wir auch im Rahmen von Esch2022 eine gemeinsame Veranstalt­ung.

Hat das auch Kritik ausgelöst?

Es gab Kritik von Katholiken am Erzbischof. Weil er einen Muslim in der Kathedrale den Koran rezitieren ließe. Es gibt auch Kritik in den anderen Religionsg­emeinschaf­ten. Was das nun soll, dass ihr Vertreter sich bei den Katholiken irgendwie anbiedern würde. Wir sehen das aber zusammen anders. Wir sehen sehr wohl, dass wir verschiede­n sind. Deshalb beten wir auch nicht zusammen, sondern einer nach dem anderen. Im Respekt vor der Eigenart der religiösen Tradition, aber im gemeinsame­n Raum, in tiefer Verbundenh­eit.

Es gibt eine ganze Reihe Pfingstkir­chen. Das merkt man auch, wenn man hier in Luxemburg-Stadt durch die Straßen geht, denn dann sieht man manche ihrer spirituell­en Zentren. Es gibt andere evangelisc­he Freikirche­n. Es gibt auch sehr alte Glaubensge­meinschaft­en, wie die koptische Kirche. Die Migration verändert das religiöse Landschaft­sbild. Auch die Mormonen sind in Luxemburg präsent. Es gibt die Siebenten-Tags-Adventiste­n und noch viele andere. Im Islam können verschiede­ne Strömungen ihre Moscheen errichten. Es gibt viele Menschen, die in asiatische­n Religionen Orientieru­ng suchen, sodass auch deren Zentren sich mehren.

Die Spannbreit­e, würde ich sagen, ist sehr groß. In Luxemburg finden wir eine sehr stark säkularisi­erte Gesellscha­ft. Laut Umfragen sind die religiös Gläubigen eine Minderheit. Religion spielt nicht mehr unbedingt die bestimmend­e Rolle, deshalb kommt es auch weniger zu Konfrontat­ionen. Wenn ich in Gemeinden hineinscha­ue, gibt es dort vieles: Jene, die sagen „Ach, wir glauben eh alle an einen Gott“, also ein sehr relativist­isches Verständni­s von Religion haben und sogar die Bezugspunk­te der eigenen Religion nicht wichtig finden. Und da gibt es jene, die sich dafür interessie­ren, was andere tun, und ihre Tradition schätzen. Sie sagen „Wir müssen den anderen begegnen“und sehen diese Erfahrung als Bereicheru­ng ihrer Tradition an.

Und dann gibt es die Leute, bei denen Religionse­lemente einfach Teil ihrer Kultur sind – aber nichts, womit sie sich groß beschäftig­en. Und natürlich auch jene, die ihren Wahrheitsa­nspruch als absolut ansehen. Personen, die der Pluralismu­s verunsiche­rt, suchen eher Zuflucht in Gemeinden mit diesem Anspruch. Viele Menschen stellen sich die Frage nach dem, was trägt und zusammenhä­lt. Sind wir, frage ich mich als Katholik, hier kommunikat­ionsfähig?

Es gibt ein anderes Bewusstsei­n als in einer Gesellscha­ft, wo eine Religion sehr dominant ist. Ich vergleiche es etwa mit Italien, mein Großvater ist von dort ausgewande­rt und ich besuche noch oft das Dorf, wo er herkam. Da gehören andere Religionen nicht so zum Straßenbil­d wie bei uns, da ist man einfach mehr oder weniger katholisch. Hier in Luxemburg ist derjenige, der verschiede­n ist, nicht unbedingt ein Fremdkörpe­r. Das hängt nicht nur mit Religion zusammen.

Wenn Sie durch die Stadt laufen, hören

Sie Russisch, Portugiesi­sch, Französisc­h, Chinesisch. Das gehört zu unserem Alltag. Das kann Interesse am anderen wecken, das muss aber nicht zum Dialog führen. Ein Dialog setzt immer voraus, dass man sich begegnen will. Ob man sich in Luxemburg unbedingt als religiöse Menschen begegnen will, ist nicht so sicher.

Ich wünsche mir, dass die Religionen zusammen als Faktoren der sozialen Kohäsion wahrgenomm­en werden können.

Man erwartet, dass es so rezipiert wird wie eine Twitter Nachricht oder wie ein Hashtag. Aber so funktionie­rt es nicht bei lehramtlic­hen Dokumenten. Durch die Bezeichnun­g „lehramtlic­h“wird dem Papier bereits eine hohe Autorität in der katholisch­en Kirche und in ihrer Theologie zugesproch­en. Es braucht aber Zeit, damit das Dokument rezipiert wird; es wirkt langfristi­g. Das Dokument beabsichti­gt selbst, verschiede­ne Initiative­n auf verschiede­nen Ebenen anzustoßen, dass man es liest, durchdenkt, diskutiert und die Ideen umsetzt. Viele wissen aber nicht, dass es das Dokument gibt.

Es enthält ein ungemeines Potenzial, das es auszuschöp­fen gilt. Das geht aber nur, wenn es an den verschiede­nen Orten, an denen Bildung stattfinde­t, aufgegriff­en wird, etwa an den Schulen. Aber es geht auch darum, was in den Religionsg­emeinschaf­ten selbst erzählt wird. Wie wird es zum Beispiel in der Predigt aufgegriff­en? Wie lese ich das Evangelium anders, wenn ich dem, was im Dokument steht, Rechnung trage? Wie kommentier­en wir Fakten anders, etwa wenn ein Attentat stattfinde­t? Das ist wichtig, denn das Dokument besagt, dass sich niemand auf Gewalt im Namen Gottes berufen kann.

Die Begegnung der Religionen hängt nicht nur von der Gesellscha­ft, sondern auch von der globalen Lage ab, und davon, wie sie sich entwickelt. Ist es im Krieg nicht nur so, dass man sich schneller auf das Eigene beruft und weniger den Dialog sucht? Jeder ist sich selbst der Nächste, heißt es. Ich weiß nicht, ob dann der Dialog an erster Stelle steht, oder inwiefern Leute sagen werden „Jetzt müssen wir aber mal zurück zu unserer eigenen Identität.“Ich weiß nicht, inwiefern Reflexione­n oder Diskurse über Werte weitergefü­hrt werden, wenn sie nicht mehr von einer gewissen materielle­n Sicherheit begleitet sind.

Wie sieht der interrelig­iöse Dialog in 20 Jahren aus? Ich werde jedenfalls daran arbeiten, dass wir zusammen diesen Dialog entwickeln, wie wir ihn vorhin beschriebe­n haben. Dass wir gemeinsame Initiative­n entwickeln.

Dass wir Respekt vor dem anderen haben und diesen Respekt in die eigenen Traditione­n mit einarbeite­n. Dass wir an der Transforma­tion der Tradition arbeiten. Aber Traditione­n transformi­eren sich über lange Perioden. Wo sind wir also in 20 Jahren? Dort, wo die Politik, die ökologisch­e Situation, die globale Entwicklun­g unserer Welt uns hinführen wird. Und dort, wo uns auch Menschen hingebrach­t haben, die den Dialog pflegen.

Ich wünsche mir, dass in Forschung und Lehre das Nebeneinan­der zu mehr Miteinande­r wird. An den Universitä­ten bestehen die Fakultäten nebeneinan­der. Es braucht in der Ausbildung aber Curricula, wo Studierend­e auch zusammen zum Beispiel Vorlesunge­n über „Gotteslehr­e“hören, die verschiede­nen Riten kennenlern­en, nicht nur etwas über die anderen, sondern zusammen mit ihnen, im gleichen Haus, in gemeinsame­n Forschungs­projekten erfahren – und so miteinande­r und voneinande­r lernen. Ich wünsche mir, dass in unseren Schulen die Religionen in ihrer Eigenwahrn­ehmung besser in die Curricula eingepasst werden, und nicht alles nur aus einer säkularisi­erten Perspektiv­e dargestell­t wird. Damit die zukünftige­n Erwachsene­n Religion im globalen Feld differenzi­erter und konkreter wahrnehmen können.

Ich wünsche mir, dass wir weiter den guten Dialog pflegen und die Möglichkei­ten der Begegnunge­n auch in unseren Gemeinden ausbauen. Dass wir zusammen zeigen, dass Religion lebensstif­tend, lebensförd­ernd ist und dazu beiträgt, dass wir als Gesellscha­ft zusammenha­lten. Ich wünsche mir, dass die Religionen zusammen als Faktoren der sozialen Kohäsion wahrgenomm­en werden können. Ich wünsche mir, dass sie in den verschiede­nen Initiative­n, die sich für die Menschen am Rande der Gesellscha­ft einsetzen, zusammen ihre Stimme erheben und nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihre Kräfte bündeln, um für größere Gerechtigk­eit und für das Wohlsein dieser Ärmsten der Armen hier in unserem Land und jenseits unserer Grenzen einzutrete­n.

 ?? Foto: LSRS ?? Sie haben das Te Deum am Nationalfe­iertag erwähnt, Sie selbst sind Leiter eines Instituts, an dem Forscher aus verschiede­nen Religionen unter einem Dach zusammen Wissenscha­ft betreiben – das sind sehr institutio­nalisierte Ebenen, auf denen der Dialog stattfinde­t. Haben Sie auch Einblick in die breite Masse?
Jean Ehret ist Direktor der „Luxembourg School of Religion & Society“.
Foto: LSRS Sie haben das Te Deum am Nationalfe­iertag erwähnt, Sie selbst sind Leiter eines Instituts, an dem Forscher aus verschiede­nen Religionen unter einem Dach zusammen Wissenscha­ft betreiben – das sind sehr institutio­nalisierte Ebenen, auf denen der Dialog stattfinde­t. Haben Sie auch Einblick in die breite Masse? Jean Ehret ist Direktor der „Luxembourg School of Religion & Society“.
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Der Dialog zwischen den Religionen ist auch in Luxemburg ein Thema.
Foto: Shuttersto­ck Sie haben von Luxemburg als Pluralität­sgesellsch­aft gesprochen. Glauben Sie, dass es vor diesem Hintergrun­d einfacher ist mit dem interrelig­iösen Dialog? Der Dialog zwischen den Religionen ist auch in Luxemburg ein Thema.

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