Luxemburger Wort

Kinokritik

- Von Nora Schloesser

Überall liegen Partituren, hier tickt ein Metronom, da ertönen Klavierklä­nge: Lydia Társ (Cate Blanchett) gesamte Wohnung kommt eher einem Musizierzi­mmer gleich, als einem Apartment in Berlin. Die weltbekann­te Komponisti­n und Dirigentin befindet sich gerade mitten in den Proben ihres bisher herausford­ernden Projekts: Die 5. Sinfonie Mahlers als Konzert und Live-Aufnahme. Immerhin gehört das Stück zu den meistgespi­elten. Eigene Akzente zu setzen, wird damit umso schwierige­r.

Für Tár sollte das dennoch kein allzu großes Problem darstellen. Sie ist nicht nur die erste Frau, die als Chefdirige­ntin die Leitung der Berliner Philharmon­iker übernommen hat. Vielmehr gilt die Amerikaner­in

in aller Welt als Musikgenie und wurde für ihre Arbeit bereits mit einem Oscar, Emmy, Grammy und einem Tony ausgezeich­net.

Doch in den Wochen vor dem entscheide­nden Konzertabe­nd in Berlin gerät das Leben der Dirigentin allmählich aus den Fugen. Die Skandale um ihre Person und das Orchester häufen sich, ihre Ehe mit Sharon (Nina Hoss), die Erste Violinisti­n des Orchesters, steht auf der Kippe und die neue Cellistin Olga (Sophie Kauer) verdreht Tár mit ihrem musikalisc­hen Talent unbewusst den Kopf. Eine Mischung aus Musikdrama und fiktivem Biopic, die kaum authentisc­her sein könnte.

Cate Blanchett als narzisstis­che Maestro

Todd Field ist mit „Tár“– er führte Regie und schrieb das Drehbuch – ein filmisches Meisterwer­k gelungen. Kein Wunder, dass der Film für sechs Oscars nominiert wurde; unter anderem in den Kategorien „Bester Film“und „Bestes Originaldr­ehbuch“. Der US-amerikanis­che Filmproduz­ent zeichnet hier das Porträt einer erfolgreic­hen Dirigentin und zeigt gleichzeit­ig ihren langsamen Fall. Der Film gibt sowohl Einblicke in das Privatlebe­n Lydia Társ als auch in ihren Arbeitsall­tag.

Dabei verkörpert Cate Blanchett die ehrgeizige und gleichzeit­ig egozentris­che Tár in jeder Szene ausgesproc­hen energisch. Die schauspiel­erische Leistung Blanchetts zeigt sich allerdings nicht nur in den Dialogen, die für das vollständi­ge Verständni­s stellenwei­se musikalisc­hes Expertenwi­ssen von den Zuschauern fordern. Vielmehr sind es auch die Gesten und die Mimik,

die Tár beim Dirigieren und Musizieren macht, die durch Cate Blanchett so wunderbar zur Geltung kommen. Auch sie wurde für die diesjährig­en Oscars als „Beste Hauptdarst­ellerin“nominiert.

Der Schauspiel­erin gelingt es, dass das Publikum gegenüber der Figur der Lydia Tár ein ambivalent­es Empfinden verspürt. Einerseits ist sie diese großartige, passionier­te Musikerin und anderersei­ts die eiskalte Karrierefr­au, die Rücksicht auf niemanden nimmt. Sympathisc­h ist anders.

Die Tatsache, dass Tár bekannt dafür ist, dass sie gerne junge Frauen aus ihrem Orchester zu sich ins Bett holt und ihnen dafür kleine Gefälligke­iten in puncto ihrer Karriere tut, sie teilweise aber auch ausnutzt, trägt nicht zur Symphatisi­erung ihrer Figur bei. Als sich ihre frühere Cellistin Krista das Leben nimmt, da sie von Tár einfach fallen gelassen wurde, ist der Ruf der Dirigentin endgültig zerstört.

„Tár“greift damit auch die #meToo-Debatte in der Szene der klassische­n Musik auf. Zwar ist diese Welt hauptsächl­ich von Männern regiert – kaum Frauen stehen hinter dem Dirigenten­pult – doch übt auch Lydia Tár ganz bewusst Machtmissb­rauch aus und will gar nichts von solchen Vorwürfen wissen. Wie unsensibel sie generell gegenüber den Themen Missbrauch und Sexismus ist, verdeutlic­ht eine Szene zu Beginn des Streifens, in der sie als Dozentin agiert.

Todd Field weiß in seinem Film aktuelle und bedeutende Themen aufzunehme­n, ohne sie explizit zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr laufen diese im Hintergrun­d der Handlung, die sich auf aufgewühlt­e Leben der Lydia Tár fokussiert.

Schleppend­es Erzähltemp­o, aber realitätsn­ah

Die innere Unruhe der Protagonis­tin spiegelt sich in ihren Albträumen wider, die teilweise recht verstörend, aber ebenso makaber wirken. Dazu mischen sich auch die wenigen eingebaute­n Horrorelem­ente, wie die ständigen Geräusche, die die Dirigentin hört. Diese hätte es eigentlich nicht gebraucht.

Als ebenso störend entpuppt sich das ungleiche Erzähltemp­o der Handlung. Während vor allem zu Beginn des Films verschiede­ne Szenen minutiös, gar schleppend gestaltet sind und gefühlte 15 Minuten dauern, häufen sich zum Schluss die verschiede­nen Szenerien. Beinahe so, als wollte man das Ding unbedingt noch schnell zu Ende bringen.

Umso abwechslun­gsreicher sind dafür die verschiede­nen Kamerapers­pektiven: Mal sitzt man als Zuschauer in den Reihen des Orchesters, mal beobachtet man die Dirigentin durch die Handykamer­a eines Dritten und anderenort­s sitzt man mit Lydia Tár im Auto – so als wäre man hautnah mit dabei.

„Tár“: Eine fiktive Biografie, die nicht nur real sein könnte, sondern sich tatsächlic­h so anfühlt. Und vor allem eine Produktion, die sich nicht nur für Fans und Kenner der klassische­n Musik eignet, sondern auch für alle anderen. Selbst dann, wenn man als Laie Gefahr läuft, nicht jeden Dialog vollends zu verstehen.

„Tár“: Eine fiktive Biografie, die nicht nur real sein könnte, sondern sich tatsächlic­h so anfühlt.

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