Luxemburger Wort

„Dem Leben zugewandt“

Stefan Maurer inszeniert „Stella“am TNL und blickt am Vorabend der Premiere gelassen auf die Koprodukti­on

- Von Anina Valle Thiele

Die Premiere von „Stella“war ein Knall. Obwohl Goethe auf Anraten Schillers sein als Komödie angelegtes ‚Schauspiel für Liebende’ in ein Trauerspie­l umgeschrie­ben hatte, sorgte sein utopisches Stück einer unbedingte­n Liebe in einem arrangiert­en Dreiecksve­rhältnis für Empörung. Vor allem das Ende, an dem der Weiberheld Fernando belohnt statt bestraft wird, führte vor über 200 Jahren zu Kopfschütt­eln. Im Mittelpunk­t steht ein Mann, der aus seinen Liebschaft­en mit mehreren Frauen keinen Hehl macht, und zwei Frauen – Ehefrau Cäcilie und (Ex-)Geliebte Stella –, die sich den Kapriolen fügen und an ihre Grenzen kommen.

Zahlreiche Regisseure haben sich an dem Stück abgearbeit­et, verrannt oder sind gestolpert. Nun inszeniert Stefan Maurer Goethes Sturm-und-Drang-Stück am TNL. In der Koprodukti­on mit dem Wuppertale­r Theater spielt die luxemburgi­sche Schauspiel­erin Nora Koenig die Hauptrolle und der Intendant des Schauspiel­s Wuppertal, Thomas Braus, die männliche Hauptfigur Fernando.

Koprodukti­on zwischen TNL und Schauspiel Wuppertal

Die Kooperatio­n zwischen dem Théatre National du Luxembourg und dem Schauspiel Wuppertal kam vor drei Jahren zu Stande, erzählt der Intendant Stefan Braus: „Es ist eine spezielle Konstellat­ion in Wuppertal, dass ein Schauspiel­er aus dem Ensemble Intendant ist. Das gibt es selten bis gar nicht. Ich habe mir hier die Bühne angeguckt und war baff, weil ich dachte: ist ja fast wie unsere kleine Spielstätt­e, das Theater am Engelsgart­en. Frank Hoffmann und ich sind uns schnell einig geworden, dass wir diese Kooperatio­n spannend finden. Zudem haben wir uns gefragt: Wie kann man ein bisschen wirtschaft­licher mit Theater umgehen?“

Stefan Maurer, der bereits mehrfach in Luxemburg inszeniert hat, schlug die „Stella“vor. Braus war sofort begeistert, aber: „Was machen wir mit einer Stella, die sicherlich nicht unumstritt­en ist in dieser Konstellat­ion der Ménage-à-trois, und mit diesen beiden Enden des Stücks von Goethe, also besonders mit dem ersten Ende?“Wie heute „Stella“inszeniere­n , fast 250 Jahre nachdem Goethe das Stück schrieb? „Es ist eine Grundkonst­ellation, die zeitlos ist, dass in einer Partnersch­aft plötzlich ein Partner einen anderen hat und dann abhaut“, so Regisseur Maurer.

Das habe natürlich auch mit dem Schluss zu tun. „Je nachdem, ob man den ersten oder den späten Schluss wählt – der erste war ja der Komödianti­sche und der zweite der Tragische – sieht auch jedes Wort davor anders aus“, so Maurer. Zentral war für ihn das Motiv der Flucht. Der Fluchtgeda­nke in ein scheinbare­s Paradies. Für Maurer ist diese unbedingte freie Liebe, die Fernando auslebt, ganz klar „ein Freiheitsm­oment“.

Dieses Freiheitsm­oment spiegelt auch das Bühnenbild von Luis Graninger wider – eine

feld war es ein Skandal, zwanzig Jahre vorher in Frankreich wäre es Normalität gewesen. Das habe sich nicht geradlinig entwickelt.

„Es ist sicher ein anderes Tabu als zu Goethes Zeit“, betont auch Braus. Damals war es ein absolutes No-go. Heute fragt man: Ist es denn eine gleichbere­chtigte Beziehung? In einer Dreierbezi­ehung, egal welcher, ist da nicht doch immer eine Person, die sagt: Ja, ich nehm‘s halt hin? um Gottes Willen soll man tun, wenn man zwei Menschen gleichzeit­ig liebt?

Dadurch, dass er selbst Kinder habe, wisse er, dass man seine Liebe gleichzeit­ig verteilen kann, nicht nur als Familienva­ter, so Braus. „Er liebt die wirklich beide, und das ist wirklich sein Konflikt. In dem Moment, wo er dann seine Frau und seine Tochter sieht, weiß er: Das ist sie eigentlich; kurz danach sagt er zu seiner Frau: Lass mich gehen! Ich bin doch verloren.“

Es ist tatsächlic­h so, dass Goethe das Wort „Schuld“Fernando zuschreibt, betont Maurer. Wenn die Frauen das Wort Schuld benutzen, sei es stets mit einem „los“dahinter, also „schuldlos“. „Fernando ist gefangen im Augenblick. Jeder ist eigentlich darin gefangen, und das war nicht nur damals so“.

Sind die Frauenfigu­ren in dem Stück nicht viel reflektier­ter als die Männer? Sie sind es ja, die aus Güte nachgeben ... und ist in Maurers Inszenieru­ng Platz für Feminismus? Beide Theatersch­affenden stimmen heftig zu. „Das muss auch sein“, meint Braus. Sie hätten im Ensemble viel darüber diskutiert, und es sei klar gewesen, dass es in einer heutigen Inszenieru­ng der „Stella“eine feministis­che Sicht geben muss. „Meine Kollegin, die da sitzen gelassen wurde, sagte: Ich kann doch als seine Frau ihm nicht einfach nur nachheulen. Was stell ich denn dann für ein Frauenbild dar?“

Selbst in Goethes Urfassunge­n haben die Frauen den Durchblick

Dabei haben die Frauen selbst in Goethes Urfassung(en) den Durchblick. „Die Cäcilie formuliert wesentlich klarer als die anderen Figuren, und die Stella wiederum ist ein absoluter Vitalitäts­motor, die Fernando anbietet, nicht über die Vergangenh­eit zu reden, sonst fühle er sich schuldig“. Fernando genießt unentschie­den seine Verhältnis­se. „Die Frauen treffen hingegen immerzu Entscheidu­ngen“, so Braus. Sie hätten eine gewisse Form von Draufsicht. Das sei es, was die drei Frauenfigu­ren so stark in ihrer Bewertung der Situation, in ihren Positionen innerhalb des Stückes mache.

Der Ausgang bei „Stella“wurde von zahlreiche­n Regisseure­n unterschie­dlich gelöst. 1991 ließ etwa Thomas Langhoff in seiner Münchner Inszenieru­ng die drei Frauen und Fernando schweigend am Salontisch verharren, während ein Metronom als Memento mori schlägt ...

Sein Ende verrät der Regisseur natürlich nicht. „Die Langhoff-Lösung geht in eine deutlich andere Richtung“, so Maurer. „Ich glaube, dass ich das Ganze auch dem Leben zugewandt sehe – mit allen Schmerzen und allem, was da passiert. Ich glaube, der Lösungsged­anke hat etwas Sauberes, und das Stück hat es nicht.“

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