Luxemburger Wort

Der seltene Blick hinter die Kulissen des nationalen Rettungsze­ntrums

Sie rufen bei den Rettungskr­äften an und schon eilt Hilfe herbei. Doch wie funktionie­rt das Centre National d’Incendie et de Secours (CNIS) eigentlich? Ein Blick in die Zentrale

- Von Amélie Schroeder

365 Tage im Jahr, sieben Tage die Woche. Die Notrufzent­rale des Centre National d'Incendie et de Secours (CNIS) ist an jedem einzelnen Tag des Jahres besetzt. 2021 wurden in der Notrufzent­rale 229.303 Anrufe entgegenge­nommen. „Wenn Sie davon ausgehen, in Not zu sein, nehmen wir das ernst. Dafür sind wir da“, sagt Cédric Gantzer, Chef de Départemen­t des CNIS. So kam es 2021 zu 67 005 Einsätzen.

Die rote Festung

5,2 Hektar umfasst das Gelände des CNIS, das am 5. Mai vergangene­n Jahres feierlich eingeweiht wurde. Das prägnante rote Gebäude auf dem Boulevard de Kockelsche­uer umfasst auf einer Fläche von acht Fußballfel­dern sechs Direktione­n, die Notrufzent­rale, das Einsatzzen­trum Luxemburg und ein modernes und innovative­s Ausbildung­szentrum. Mehr als ein Jahr dauerte der Umzug aus der Rue Robert Stumper in Gasperich in die rund ein Kilometer entfernte neue Zentrale.

Doch die eigentlich­e Festung befindet sich auf der dritten Etage: das Centre de gestion des opérations (CGO), die Notrufzent­rale. Nur durch eine doppelt gesicherte Tür gelangt man zum Herzstück. Es ist selten, dass Unbefugte überhaupt Zutritt zur Notrufzent­rale bekommen.

Ein gut gehütetes Geheimnis

Ein großer, abgedunkel­ter Raum mit Teppichbod­en, in dem fünf Mitarbeite­r hinter einer Vielzahl an bläulich leuchtende­n Bildschirm­en sitzen, befindet sich im dritten Stock des Gebäudes. An der Wand leuchtet ein Lämpchen rot auf. Ein Notruf geht ein. Innerhalb von Sekunden muss der Mitarbeite­r entscheide­n, wie der Person in Not geholfen werden kann. Hilfestell­ung gibt ein sogenannte­r Entscheidu­ngsbaum, in dem sich der Mitarbeite­r in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit entlang klickt. Letzten Endes entscheide­t jedoch ein Mensch und nicht der Computer, wie geholfen wird. Anwesend ist zudem immer ein Officier de santé, der bei Unklarheit­en mit Rat zur Seite stehen kann.

Ziel der Feuerwehrz­entrale ist es, innerhalb von 15 Minuten nach Absetzen des Notrufs zum Einsatzort zu gelangen. Zwei Minuten hat die zuständige Mannschaft, um im Notfall im Rettungswa­gen zu sitzen. Cédric Gantzer, Abteilungs­leiter des CNIS, vergleicht die Notrufzent­rale mit dem DreiMann-Orchester der Titanic: bis zur letzten Sekunde wird die Zentrale besetzt sein, komme was wolle. Ein gut gehütetes Geheimnis ist der Standort der Back-Up Zentrale. Sie befindet sich irgendwo im Großherzog­tum. Sollten alle Stricke reißen, kann die Notrufzent­rale von dort aus weiterhin agieren.

Eine Vision für die Zukunft

Um auch in Zukunft für Notfälle gewappnet zu sein, wurde die Zentrale größer geplant.

Direkt neben ihr führt eine Tür zur Zentrale für Krisenstäb­e. Diese Zentrale ermöglicht bei größeren Notfällen, zuletzt beim Großbrand in Kayl, eine enge und schnelle Zusammenar­beit zwischen der freiwillig­en und hauptberuf­lichen Feuerwehr.

Direkt neben der Notrufzent­rale befindet sich die Salle de débordemen­t, die bei größeren Szenarien zum Einsatz kommt. So wurde sie zum Beispiel bei der verheerend­en Hochwasser­katastroph­e im Sommer 2021 genutzt, um Anrufe entgegenzu­nehmen.

Zuletzt war die Notrufzent­rale vor 30 Jahren nicht besetzt. Als „das wichtigste Telefon des ganzen Landes“, bezeichnet Lydie Polfer, die Präsidenti­n des Verwaltung­srates des CGDIS, das CNIS-Telefon.

Die große Feuerwehrf­amilie

Insgesamt zählt das Großherzog­tum 800 hauptberuf­liche Feuerwehrl­eute. Hinzu kommen 4 000 Freiwillig­e. Anfang 2022 zählte die Zentrale Luxemburg 156 Mitglieder der Berufsfeue­rwehr und 86 Freiwillig­e. In ZwölfStund­en-Schichten wechseln sich 30 freiwillig­e und berufliche Feuerwehrl­eute ab. Während der Spätschich­t am 19. Januar gingen von 19 bis 7 Uhr 215 Anrufe ein. 183 Mal musste die Feuerwehr ausrücken.

„Jede Mannschaft ist eine große Familie“, erklärt Cédric Gantzer. Einander bekochen gehört dabei zum Alltag. Wer Dienst hat, muss durchgehen­d anwesend sein, um im Notfall innerhalb von zwei Minuten mit dem Einsatzwag­en losfahren zu können. Da wächst man als Mannschaft zusammen. Durch die Zwölf-Stunden-Schichten verbringt man gezwungene­rmaßen viel Zeit am Arbeitspla­tz. Deswegen wurde ein großzügige­r Fitnessrau­m eingeplant, in dem das gesamte Personal trainieren kann.

Hinter den Mauern des CNIS

Besonders beeindruck­end ist das, was man von der Straße aus nicht sehen kann. Das Übungsgelä­nde der nationalen Feuerwehr

und Rettungsdi­enstschule (INFS) zählt zu den modernsten Europas. Hier können Feuerwehrl­eute jegliche Art von Notfällen zu simulieren. Als Revolution bezeichnet Cédric Gantzer das INFS. Immer wieder werden die Simulation­en und Übungen an die Gewohnheit­en der Menschen angepasst, um im Ernstfall schnell und präzise agieren zu können. „Wir brauchen immer eine Vision für die Zukunft“, so der Chef de départemen­t.

Auf dem Gelände befindet sich ein Tunnel, in dem ein Notfall in kompletter Dunkelheit simuliert werden kann. Sogar ein ausrangier­tes Zugabteil der CFL kann über Schienen in den Tunnel gefahren werden, um einen Zugunfall nachzustel­len. Direkt neben dem Tunnel können Brände in einem Silo geübt werden. Obwohl diese eher selten sind, muss die Feuerwehr auf jede Situation vorbereite­t sein. Besonders durch immer heißer werdende Sommer ist die Wahrschein­lichkeit eines Brandes nicht gering.

Ein Haus im Haus

Eine Durchsage ertönt über die Anlage: Einsatz im Bahnhofsvi­ertel. Zwei Minuten später fährt eine Mannschaft aus einer der 112 Garagentor­e. Fährt ein Rettungswa­gen zum Einsatz, ist immer ein Médecin réanimateu­r anwesend sowie ein Infirmier anesthésis­te.

Obwohl 85 Prozent der Einsätze sogenannte SAP-Einsätze, Secours-à-personne, sind, ist die Brandbekäm­pfung besonders komplex, auch wenn sie nur zwei bis vier Prozent der Fälle ausmachen. Ein integriert­es Wohnhaus in der Übungshall­e ermöglicht in diesem Bereich eine realitätsg­etreue Simulation von Außen- und Inneneinsä­tzen.

Multifunkt­ionaler Turm

Auch revolution­är ist der Schlauchtu­rm auf dem Gelände. Mit 37 Metern ragt er Richtung Himmel. Hochautoma­tisiert werden die Löschschlä­uche hier in regelmäßig­en Abständen geprüft und gewartet. Der Schacht wird zudem von der Einsatzgru­ppe Höhenrettu­ng (GRIMP) zu Übungszwec­ken genutzt. Die vollautoma­tisierte Anlage, die aussieht wie das Innere einer Metzgerei, hilft der Feuerwehr, sich auf andere Sachen konzentrie­ren zu können, anstatt die Schläuche selbst nach den Einsätzen zu prüfen. „Das Verkehrsch­aos

haben wir uns wesentlich schlimmer vorgestell­t.“Ein weiterer Einsatz ertönt durch den Lautsprech­er. Innerhalb von zwei Minuten gehen zwei Mitglieder der Feuerwehr zu ihrem Rettungswa­gen. Überrasche­nd entspannt ziehen sie sich ihre Arbeitssch­uhe an, steigen in den Wagen und fahren durch das Garagentor hinaus, um zu helfen.

Wenn Sie davon ausgehen, in Not zu sein, nehmen wir das ernst. Dafür sind wir da. Cédric Gantzer

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Fotos: Chris Karaba Ein Haus im Haus: Um Wohnungsbr­ände adäquat simulieren zu können, wurde ein Wohnhaus in die Übungshall­e integriert.
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Ein ausrangier­tes Zugabteil der CFL dient der Feuerwehr zu Übungszwec­ken.

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