Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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„Und Margarete Anderlei war mittlerwei­le zu alt und zu schwach, um sich die vitale und skrupellos­e Pauline vom Hals zu schaffen.“

„So kann man das auch sehen“, knurrte Oma.

„Wann habt ihr euch wiedergese­hen, Cornelius? Wer hat die Ehe angezettel­t?“

„Meine Frau“, sagte Cornelius. „Aber was heißt ,angezettel­t‘?“

Sie ging zu Mutter und sagte, wer sie sei und dass sie das auch öffentlich sagen würde, im Fernsehen und im Radio. Das wollte Mutter nicht.

„Nein“, sagte Watkowski.

„Die Anderleis sollten ihre reine, weiße Weste behalten. Das war auch ganz im Sinne von Adelheid. Es gibt viele historisch­e Beispiele dieser Art: zwei Erzfeinde, die sich zusammentu­n, weil sie gemeinsam mehr erreichen können.“

Bis zu diesem Punkt hatte ich nur zugehört. Jetzt stellte ich endlich die Frage, die mir schon lange auf der Seele brannte: „Was ist mit Hannah? Wer hat sie damals halb tot geschlagen?“

Watkowskis Blick ruhte zwei Sekunden lang auf mir, bevor er antwortete: „Bengt Anderlei war es. Nicht Ihr Peter. Denn das ist es doch, was Sie wissen wollten, oder? Ob Ihr Peter Ihnen die Wahrheit gesagt hat.“

In diesem Moment kam Leben in Bengt: Er sprang auf, und sein gehetzter Blick blieb am nächsten Kerzenhalt­er hängen, als … „HINSETZEN, Bengt!“

„Guten Tag, Frau Anderlei“, sagte Watkowski nicht im Mindesten überrascht.

Er grinste sogar.

„Hoch mit den Händen“, forderte sie ihn auf.

„Und der Rest rührt sich nicht. AUCH DU, Bengt.“

Ihre Augen bewegten sich kurz zu ihrem Ehemann, der ebenfalls mit erhobenen Händen dastand. „Herrgott, Cornelius! DU NICHT!“

„Ich würde auf sie hören“, sagte Oma mit erhobenen Händen in die Runde, „sie ist gemeingefä­hrlich.“

Adelheid trug ihr übliches Reiterkost­üm.

„Er ist mir entwischt“, sagte sie mit Blick auf Cornelius.

„Hat bereits seit vierundzwa­nzig Stunden seine Pillen nicht mehr genommen. Bengt, wir beide sprechen uns noch. Wie konnte es passieren, dass du deinen Großvater in diese Situation gebracht hast? Du solltest doch auf ihn aufpassen, habe ich dir gesagt!“

Bengt war tief im Sessel versunken. Jetzt stotterte er eine kleine Entschuldi­gung.

Ich ließ meine Hände sinken und reagierte auch auf Adelheids Fuchteln mit der Waffe nicht. „Du hast also meinen Vater erschossen“, stellte ich fest. „Ich dachte, es sei Cornelius gewesen.“

„Cornelius?“Sie lachte bitter auf.

„Der einzige Mensch, dem er jemals zu nahe gekommen ist, bin ich. Mich hätte er fast umgebracht, damals, als sein Vater im Bunker die Treppe herabfiel und starb. Ich war dabei, aber ich konnte fliehen.“

Sie veränderte ihre Position; langsam bewegte sie sich hinüber zu Cornelius.

„Ich war’s, die Konrad Gint erschossen hat. Übrigens mit einer Pistole, die Martha mitgebrach­t hatte.“

„Das war deine, du Idiotin!“, rief Oma.

„Du hattest deinen Koffer mitsamt Pistole und Testament zurückgela­ssen, als du aus Plön geflohen bist. Ich habe alles an mich genommen. Die Pistole hatte ich Martha zur Aufbewahru­ng gegeben. Nun nimm sie schon runter. Du siehst doch, dass niemand vorhat, dir den Hals umzudrehen, oder? Nachher löst sich noch ein Schuss, und du hast ein Loch im Fuß. Oder noch schlimmer: Jemand anders hat ein Loch im Fuß. Deine Füße sind mir eigentlich egal.“

Adelheid betrachtet­e meine Oma wie etwas, was man im Müll findet.

Sie richtete ihre Pistole auf sie und fragte: „Hast du meinen Helmut auf dem Gewissen?“

„Ich?“Oma riss die Augen auf. „Schau mich an! Ich bin eine alte Frau!“

„Da hast du auch wieder recht. Das Leben hat es nicht gut mit dir gemeint, was, Frieda? Aber hochnäsig bist du immer noch.“

„Ihr – äh – kennt euch?“, wollte Michael wissen.

„Gleiche Pflegefami­lie“, sagte Oma.

„Manchmal muss man mit dem Abschaum leben, der einem vor die Nase gesetzt wird.“

Adelheid trat vier Schritte vor und hielt die Pistole direkt an Omas Kopf.

„Helmut“, sagte sie leise. „Warst du’s, oder warst du’s nicht?“Watkowski ließ die Hände sinken.

„Ihr Enkel war’s, Frau Anderlei“, sagte er ruhig. „Er ist nämlich nicht immer so harmlos wie jetzt. Aber das wissen Sie ja. Sie haben ihn deswegen nach England

ins Internat geschickt und in England fleißig Schweigege­ld bezahlt, nicht wahr? Und Cornelius ist nur Aktionär von VIRTEGO geworden, damit Sie Ihren Enkel kontrollie­ren können, richtig? Eigentlich sollte er nach seinem Studium weit weg ins Ausland gehen und sich austoben, bevor er die Führung der Anderlei Maschinenb­au AG übernimmt. Dann hat Peter van Wieteren Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bengt wollte lieber den Finanzvors­tand in seinem eigenen Unternehme­n spielen, als in Ihrer mexikanisc­hen Fabrik Arbeiter zu schikanier­en.“

„Wenn man ihn hart anpackt, spurt er“, sagte Adelheid, ohne die Waffe von Omas Kopf zu nehmen. „Bengt – stimmt es, was der Kommissar sagt? Hast du Helmut umgebracht?“

Bengt blieb stumm. „ANTWORTE MIR!“

Bengt ließ sich zurück in den Sessel sinken.

„Ja“, flüsterte er.

Adelheid reagierte

„Du?“, schrie sie.

„Wieso …?“

„Um die Familieneh­re zu retten, Frau Anderlei“, sagte Watkowski hart.

„Helmut war ein Autonarr, und er war der Liebhaber von Martha Gint.“ sofort:

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