„Oppositionelle, Patriotin, Pazifistin“
Wegen eines angeblichen Fake-Posts über die russische Armee ist die sibirische Journalistin Maria Ponomarenko zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden
Auch Heldinnen haben Nerven. Das Fenster der Zelle, in der Maria Ponomarenko in Untersuchungshaft saß, waren zugeklebt. Maria bekam Platzangst, nach zwei Monaten schnitt sie sich die Venen auf, verbrachte über eine Woche in einer psychiatrischen Klinik. „Weil ich persönliche Kleider, Geschirr und Shampoo verlangt habe, hat man mir gewaltsam ein angebliches Beruhigungsmittel gespritzt … an die drei Tage danach kann ich mich nicht mehr erinnern“, erzählte sie später.
Am Mittwoch wurde Maria Ponomarenko, Journalistin des Portals RusNews und Friedensaktivistin, von einem Gericht im sibirischen Barnaul zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Anlass für den Schuldspruch war ein Post der 44Jährigen im Telegramkanal „Zensury njet“über die Bombardierung des Schauspielhauses in der südostukrainischen Stadt Mariupol Mitte März.
Der Text ist gelöscht, laut dem Portal Bumaga aber hieß es darin, Mariupoler Kinder, Frauen und Männer hätten den Russen nichts Böses angetan, vor dem Gebäude des Theaters habe die Aufschrift „Kinder“gestanden. Die Anklage beschuldigte Ponomarenko, per Telegram die Falschinformation verbreitet zu haben, die russische Luftwaffe hätte das Theater in Mariupol angegriffen, während offizielle Quellen, darunter das Verteidigungsministerium, das dementierten.
Ein Musterfall
Ponomarenko, die zwei halbwüchsige Töchter hat, wurde im April in Sankt Petersburg festgenommen. Das Verfahren gegen sie geriet zum Musterfall. Die Sibirierin hatte ihren Post über Mariupol am 17. März 2022 verfasst, 13 Tage nachdem das berüchtigte „Fake-Gesetz“erlassen worden war. Es stellte „die wissentliche Verbreitung von Falschinformationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte“unter Strafe.
Nach Angaben ihres Rechtsanwaltes Dmitri Schitow konnte Ponomarenko wissentlich gar keine Falschinformationen verbreiten: Sie habe ihren Post geschrieben, als die russischen Behörden noch zur Zerstörung
des Mariupoler Theaters schwiegen und der Autorin nur Informationen aus ukrainischen Portalen zur Verfügung standen.
Aber für die praktische russische Rechtsprechung zählen solche Details nicht: Feindinformationen sind jetzt gleich Fake-Informationen. Schon am 25. Februar 2022 hatte die russische Zensurbehörde Roskomnadsor bekannt gegeben, dass vaterländische Medien bei der Berichterstattung über die Kampfhandlungen nur staatliche Quellen verwenden dürfen. Das Aus für jede unabhängige Kriegsberichterstattung, fast alle Oppositionsmedien stellten ihre Tätigkeit in Russland ein, ihre Redaktionen emigrierten zum größten Teil.
Ein toxisches Thema
Die Bombardierung des Theaters in Mariupol ist in Russland ebenfalls zum toxischen Thema geworden. Hier gelten alle ukrainischen Angaben als Propagandalügen, in dem Schauspielhaus hätten hunderte Menschen, darunter viele Kinder, Zuflucht vor dem Beschuss gesucht und seien bei seinem Einsturz ums Leben gekommen. Auch die Untersuchungsberichte von Amnesty International und OSZE, die zu dem Schluss kamen, die russische Seite habe das Theater bombardiert und zerstört, gelten als hinterhältige Winkelzüge westlicher Informationskrieger.
Für Russland annehmbar ist nur die Version der prorussischen Donbass-Rebellen vom Juli, im Theater habe man gerade 14 Tote gefunden, die Zivilisten hätten das Gebäude rechtzeitig verlassen, explodiert seien Sprengstoffkisten der ukrainischen Soldaten, die sich dort verschanzt hielten.
Der Gedanke an eigene Kriegsverbrechen ist für die linientreue russische Öffentlichkeit zur kriminellen Ungehörigkeit geworden. „Wer unseren Soldaten in den Rücken spuckt, sie als Besatzer betrachtet, gleicht einem Verräter“, erklärte der Regisseur Wladimir Bortko dem Staatsfernsehen. Pazifisten gelten als Volksfeinde. Laut dem Bürgerrechtsportal OWD Info wurden bisher 187 Strafverfahren wegen „Fakes“über die Armee oder ihrer „Diskreditierung“eröffnet, 22 Friedensaktivisten zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Maria Ponomarenko aber erklärte in ihrem Schlusswort am Dienstag vor Gericht, Vaterlandsliebe dürfe nicht bedeuten, dass man Verbrechen gutheißt. „Ein Angriff auf deinen Nachbarn, das ist ein Verbrechen, auch nach unserem Strafgesetzbuch.“Die Angeklagte trug einen Davidstern aus Papier mit der Aufschrift: „Oppositionelle, Patriotin, Pazifistin“. Und sie versicherte, sie müsse ihre Strafe wohl kaum absitzen, auch wenn sie wegen guter Führung früher frei käme. Denn vorher werde es große Veränderungen geben. „Kein totalitäres Regime ist jemals stabiler, als vor seinem Zusammenbruch.“Auch in einem Berufungsverfahren hat Maria wohl kaum Chancen auf Freispruch.