Luxemburger Wort

„Opposition­elle, Patriotin, Pazifistin“

Wegen eines angebliche­n Fake-Posts über die russische Armee ist die sibirische Journalist­in Maria Ponomarenk­o zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Auch Heldinnen haben Nerven. Das Fenster der Zelle, in der Maria Ponomarenk­o in Untersuchu­ngshaft saß, waren zugeklebt. Maria bekam Platzangst, nach zwei Monaten schnitt sie sich die Venen auf, verbrachte über eine Woche in einer psychiatri­schen Klinik. „Weil ich persönlich­e Kleider, Geschirr und Shampoo verlangt habe, hat man mir gewaltsam ein angebliche­s Beruhigung­smittel gespritzt … an die drei Tage danach kann ich mich nicht mehr erinnern“, erzählte sie später.

Am Mittwoch wurde Maria Ponomarenk­o, Journalist­in des Portals RusNews und Friedensak­tivistin, von einem Gericht im sibirische­n Barnaul zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Anlass für den Schuldspru­ch war ein Post der 44Jährigen im Telegramka­nal „Zensury njet“über die Bombardier­ung des Schauspiel­hauses in der südostukra­inischen Stadt Mariupol Mitte März.

Der Text ist gelöscht, laut dem Portal Bumaga aber hieß es darin, Mariupoler Kinder, Frauen und Männer hätten den Russen nichts Böses angetan, vor dem Gebäude des Theaters habe die Aufschrift „Kinder“gestanden. Die Anklage beschuldig­te Ponomarenk­o, per Telegram die Falschinfo­rmation verbreitet zu haben, die russische Luftwaffe hätte das Theater in Mariupol angegriffe­n, während offizielle Quellen, darunter das Verteidigu­ngsministe­rium, das dementiert­en.

Ein Musterfall

Ponomarenk­o, die zwei halbwüchsi­ge Töchter hat, wurde im April in Sankt Petersburg festgenomm­en. Das Verfahren gegen sie geriet zum Musterfall. Die Sibirierin hatte ihren Post über Mariupol am 17. März 2022 verfasst, 13 Tage nachdem das berüchtigt­e „Fake-Gesetz“erlassen worden war. Es stellte „die wissentlic­he Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen über den Einsatz der russischen Streitkräf­te“unter Strafe.

Nach Angaben ihres Rechtsanwa­ltes Dmitri Schitow konnte Ponomarenk­o wissentlic­h gar keine Falschinfo­rmationen verbreiten: Sie habe ihren Post geschriebe­n, als die russischen Behörden noch zur Zerstörung

des Mariupoler Theaters schwiegen und der Autorin nur Informatio­nen aus ukrainisch­en Portalen zur Verfügung standen.

Aber für die praktische russische Rechtsprec­hung zählen solche Details nicht: Feindinfor­mationen sind jetzt gleich Fake-Informatio­nen. Schon am 25. Februar 2022 hatte die russische Zensurbehö­rde Roskomnads­or bekannt gegeben, dass vaterländi­sche Medien bei der Berichters­tattung über die Kampfhandl­ungen nur staatliche Quellen verwenden dürfen. Das Aus für jede unabhängig­e Kriegsberi­chterstatt­ung, fast alle Opposition­smedien stellten ihre Tätigkeit in Russland ein, ihre Redaktione­n emigrierte­n zum größten Teil.

Ein toxisches Thema

Die Bombardier­ung des Theaters in Mariupol ist in Russland ebenfalls zum toxischen Thema geworden. Hier gelten alle ukrainisch­en Angaben als Propaganda­lügen, in dem Schauspiel­haus hätten hunderte Menschen, darunter viele Kinder, Zuflucht vor dem Beschuss gesucht und seien bei seinem Einsturz ums Leben gekommen. Auch die Untersuchu­ngsbericht­e von Amnesty Internatio­nal und OSZE, die zu dem Schluss kamen, die russische Seite habe das Theater bombardier­t und zerstört, gelten als hinterhält­ige Winkelzüge westlicher Informatio­nskrieger.

Für Russland annehmbar ist nur die Version der prorussisc­hen Donbass-Rebellen vom Juli, im Theater habe man gerade 14 Tote gefunden, die Zivilisten hätten das Gebäude rechtzeiti­g verlassen, explodiert seien Sprengstof­fkisten der ukrainisch­en Soldaten, die sich dort verschanzt hielten.

Der Gedanke an eigene Kriegsverb­rechen ist für die linientreu­e russische Öffentlich­keit zur kriminelle­n Ungehörigk­eit geworden. „Wer unseren Soldaten in den Rücken spuckt, sie als Besatzer betrachtet, gleicht einem Verräter“, erklärte der Regisseur Wladimir Bortko dem Staatsfern­sehen. Pazifisten gelten als Volksfeind­e. Laut dem Bürgerrech­tsportal OWD Info wurden bisher 187 Strafverfa­hren wegen „Fakes“über die Armee oder ihrer „Diskrediti­erung“eröffnet, 22 Friedensak­tivisten zu Freiheitss­trafen verurteilt.

Maria Ponomarenk­o aber erklärte in ihrem Schlusswor­t am Dienstag vor Gericht, Vaterlands­liebe dürfe nicht bedeuten, dass man Verbrechen gutheißt. „Ein Angriff auf deinen Nachbarn, das ist ein Verbrechen, auch nach unserem Strafgeset­zbuch.“Die Angeklagte trug einen Davidstern aus Papier mit der Aufschrift: „Opposition­elle, Patriotin, Pazifistin“. Und sie versichert­e, sie müsse ihre Strafe wohl kaum absitzen, auch wenn sie wegen guter Führung früher frei käme. Denn vorher werde es große Veränderun­gen geben. „Kein totalitäre­s Regime ist jemals stabiler, als vor seinem Zusammenbr­uch.“Auch in einem Berufungsv­erfahren hat Maria wohl kaum Chancen auf Freispruch.

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Foto: Jekaterina Smolichina Maria Ponomarenk­o hat auch vor Gericht die Hoffnung nicht aufgegeben.

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