Luxemburger Wort

D’r leeve Jott‘ gehört bei den tollen Tagen dazu

Die Verbindung­en zwischen Karneval und Kirche reichen weit in die Geschichte zurück. Gerade in Köln spiegelt sich dieses Verhältnis in Kooperatio­nen aber auch in Konflikten wider

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Interview Constantin und Ulrike von Hoensbroec­h

Im Jahr 1823 wurde in Köln das „Festordnen­de Komitee“gegründet – der Beginn des organisier­ten Karnevals in Köln. In diesem Jahr steht also das Jubiläum 200 Jahre an. Über die christlich­en Wurzeln des Karnevals sowie die Verbindung­en zwischen Karneval und Kirche spricht der Kölner Stadt- und Domdechant Robert Kleine.

Robert Kleine, in der diesjährig­en Karnevalss­ession, wie ja in Köln die „fünfte Jahreszeit“vom 11. November bis zum Aschermitt­woch genannt wird, wird das Jubiläum „200 Jahre Kölner Karneval“gefeiert. Feiert die Katholisch­e Kirche mit?

Aber natürlich! Kirche und Karneval gehören zusammen, gerade hier in Köln. Schließlic­h hat der Karneval christlich­e, respektive katholisch­e Wurzeln.

Inwiefern?

Der Karneval im Rheinland ist viel stärker an den kirchliche­n Jahreskrei­s gebunden als vergleichb­ares Brauchtum, etwa im alemannisc­hen Sprachraum. Das gilt für seinen Anfang und für sein Ende. Den Auftakt macht der 11. November. Der Elfte im Elften ist so etwas wie ein Mini-Karneval. Hintergrun­d ist die frühere sogenannte „kleine Fastenzeit“, mit der die Kirche den Zeitraum vom Tag nach dem Namenstag des heiligen Martin am 11. November bis zum Weihnachts­fest bezeichnet­e. In diesen Wochen fanden zum Beispiel keinerlei Tanzverans­taltungen statt. Da wurde am 11. 11. noch mal richtig gefeiert – und das ist bis heute der Sessionsbe­ginn. Es finden jedoch ab dem 12. November bis zum Dreikönigs­tag am 6. Januar nur wenig Karnevalsa­ktivitäten statt, denn da stehen das Totengeden­ken, der Advent und Weihnachte­n im Mittelpunk­t. Um den 6. Januar herum werden die Tollitäten des Karnevals, das sogenannte Dreigestir­n, proklamier­t und inthronisi­ert. Ab da wird dann Karneval gefeiert bis zum Aschermitt­woch. Da ist dann wirklich Schluss, und es beginnt mit der Fastenzeit ein neuer Zeitraum. Das zeigt sich auch in der Begrifflic­hkeit Karneval.

Wie meinen Sie das?

Karneval kommt etymologis­ch von Carne levare, was soviel bedeutet wie: das Fleisch wegnehmen. Und das Kölner Wort für Karneval ist Fasteloven­d: der Abend vor dem Fasten.

Sie haben die Zeiträume vom Beginn und Ende des Karnevals beschriebe­n. Was halten Sie davon, Karneval aufgrund widriger Umstände oder besonderer Ereignisse auf einen anderen Zeitraum des Jahres zu verschiebe­n?

Alles hat seine Zeit, und auch für den Karneval gibt es eine Zeit. Es ist immer wieder vorgekomme­n, dass etwa der Rosenmonta­gszug ausgefalle­n ist, wie zuletzt wegen der Corona-Pandemie sowie des Kriegsausb­ruchs in der Ukraine. Es gab auch schon Absagen wegen widriger Wetterbedi­ngungen. Das ist zwar traurig. Aber wenn wir die Herkunft des Karnevals bedenken, ist klar, warum ich vom Verschiebe­n oder Nachholen des Karnevals im Laufe des Jahres nichts halte.

Welche Verbindung­en gibt es zwischen der Katholisch­en Kirche in Köln und dem organisier­ten Karneval, respektive dem Festkomite­e Kölner Karneval?

So wie ich das beurteilen kann, hat es in den 200 Jahren immer wieder viele Berührungs­punkte gegeben, die die Grundlage bilden für das heute sehr freundscha­ftliche Verhältnis mit vielen verlässlic­hen Kooperatio­nen. Unter Kardinal Joachim Meisner ist eine Idee entstanden, die seit Jahren fester Bestandtei­l im Kalender ist: Wenige Tage vor der Proklamati­on gibt es im Dom für das Dreigestir­n, für das Festkomite­e und die Abordnunge­n der Karnevalsg­esellschaf­ten, aber auch für alle Gläubigen und Interessie­rten einen Ökumenisch­en Gottesdien­st. Übrigens, auch das ist eine der Traditione­n unseres Kulturguts Karneval: Am 11. 11. entzündet das designiert­e Dreigestir­n morgens kurz vor der Sessionser­öffnung auf dem Altermarkt eine Kerze vor der Schmuckman­telmadonna im Dom.

Gibt es noch weitere solcher Facetten im karnevalis­tischen Brauchtum?

Wir haben in Köln ja auch ein Kinderdrei­gestirn. Und für das gibt es jedes Jahr einen Wortgottes­dienst in der romanische­n Basilika unserer Stadtpatro­nin, in St. Ursula. Ein anderer guter Brauch ist der Besuch des Dreigestir­ns in der Dombauhütt­e. Außerdem gibt es bei dieser Gelegenhei­t vom ZentralDom­bauverein für ein Jahr die Mitgliedsc­haft geschenkt – freilich in der Hoffnung, dass diese dann nicht gekündigt wird …

Der Dom spielt im Karneval eine große Rolle…

… ja, und der liebe Gott auch. Nehmen Sie die Texte der vielen längst weit über Köln hinaus bekannten Karnevalsl­ieder. Da kommen immer wieder der Dom und ,d’r leeven Jott‘ wie der Kölner in seiner Mundart sagt, vor. Das sind Überzeugun­gen, Identifika­tionspunkt­e, die sich da ausdrücken und die

zum Leben und Wesen dieser Stadt, ihrer Menschen, gehören.

Der Karneval ist für die Stadtgesel­lschaft sicherlich unverzicht­bar…

Um wie vieles wäre Köln ohne den Karneval ärmer! Das gilt zwar auch in wirtschaft­licher Hinsicht, aber was ich in erster Linie meine, das ist die integrativ­e, soziale und karitative Bedeutung des Karnevals. Das beginnt schon vor Ort in den Pfarrgemei­nden: Mit wie viel Liebe und Enthusiasm­us und Gemeinscha­ft wird der Pfarrkarne­val vorbereite­t und gefeiert. Das wissen auch bekannte Interprete­n und Musikgrupp­en, denn viele von ihnen sind in Pfarreien groß geworden und haben dort ihre ersten Auftritte gehabt. Vor allem aber ist der Zeitraum nach Karneval, nämlich von Aschermitt­woch bis zum 11. 11. zu betonen: Da wird die Bedeutung von Karnevalsg­esellschaf­ten über das Feiern hinaus erfahrbar durch die von den Vereinen initiierte­n Begegnunge­n – etwa Besuche in Seniorenhe­imen, ihr Engagement für Flüchtling­e, für die Ukraine oder zuletzt für Opfer der Flutkatast­rophe an der Ahr. Das ist alles andere als oberflächl­ich, das ist ein großes Miteinande­r, ein gesellscha­ftlicher Kitt. Da geht es darum, Freude zu schenken, zu teilen.

Zum Karneval gehört selbstrede­nd auch das Verkleiden, um in eine andere Rolle zu schlüpfen und den Herrschend­en oder Institutio­nen den närrischen Spiegel vorzuhalte­n. Dabei ist immer wieder auch die Kirche eine Adresse …

Und das ist auch gut so! Auch wenn es manchmal hart ist. Aber so lange es nicht verletzend, geschmackl­os oder toxisch wird, muss die Kirche das aushalten können. Ich glaube, dass die Protagonis­ten des Karnevals, die sich die Kirche vornehmen, respektvol­l zu unterschei­den wissen, worum es geht.

Das ist manchmal eine Gratwander­ung. Aber Kirchenkri­tik oder die Karikierun­g von Personen des Bodenperso­nals, wenn ich das mal so salopp sagen darf, sind durchaus legitim. Wo es aber aufhört, sind die Dinge, die anderen

 ?? Foto: Getty Images ?? „Mer losse de’r Dom en Kölle“: Der Dom ist nicht nur Kulisse für den Kölner Rosenmonta­gsumzug. Er wird auch in Liedern besungen.
Foto: Getty Images „Mer losse de’r Dom en Kölle“: Der Dom ist nicht nur Kulisse für den Kölner Rosenmonta­gsumzug. Er wird auch in Liedern besungen.

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