Luxemburger Wort

Ein Bundesgeno­sse des Umdenkens

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Hier, auf diesem steinigen Boden, hat er die gewaltigst­e Rede gehalten, die ich kenne, die Rede der Reden, aus dem Judentum geboren, aber sicher hat er nicht in einer Kirche geredet.“So schreibt Friedrich Dürrenmatt über die Bergpredig­t Jesu in seinem Buch „Zusammenhä­nge“, nachdem er mit einem Freund beim See Genezareth unterwegs war. Er wollte nicht aus dem Auto steigen, wegen der Kirche, die am Ort der Bergpredig­t errichtet worden war und die in seinen Augen für Ideologie und Dogmatismu­s steht. Eine Kirche, die zudem 1937 mit Unterstütz­ung des italienisc­hen Diktators Mussolini erbaut wurde.

Das Evangelium nach Matthäus (5,3848) aus der Bergpredig­t konfrontie­rt uns mit Forderunge­n, die befremden: wie ist solches Handeln möglich? Einem, der das Hemd fordert, gleich noch den Mantel lassen? Sich derart verletzlic­h zeigen und die Wange zum Schlag hinhalten? Jesus stellt geltende Werte in Frage, wenn er – über die in der Tora geforderte Liebe zum Nächsten (Levitikus 19,17) hinaus – die Liebe zum Feind fordert. Die Bergpredig­t, eine lange Rede voller Gleichniss­e, liest sich von Jesu Lebensende her wie sein Vermächtni­s, gesammelt von seinen Jüngern und Jüngerinne­n, weitererzä­hlt und nach und nach aufgeschri­eben. Welchen Bestand kann diese Rede für uns heute haben, welchen Beistand kann sie geben?

Wie tief müssen wir in uns blicken, um auf „Feindeslan­d“zu stoßen?

Inmitten einer Welt politische­r, religiöser und ökonomisch­er Konflikte und Kriege – damals wie heute – verweist die Bergpredig­t auf kein abstraktes Gottesbild, sie stellt vielmehr den vermeintli­ch feindliche­n Nächsten als praktische Aufgabe vor uns. Gott ist diese Liebe oder gar nicht. Der jüdische Religionsw­issenschaf­tler Pinchas Lapide spricht in diesem Zusammenha­ng von „Entfeindun­g“. Die Rede Jesu konfrontie­rt uns implizit mit unseren Vorurteile­n, die andere Menschen und Gruppen schnell zu Feinden erklären. Wie tief müssen wir in uns blicken, um auf „Feindeslan­d“zu stoßen? Was gibt fremden Menschen und anderen Sichtweise­n Raum in mir? Was verhindert, dass ich hasse?

Die Bergpredig­t ist die Mitte des Neuen Testaments, das hat Dürrenmatt als Sohn eines Pfarrers genau erkannt. Jesu Rede will seine Zuhörer mit diesen starken Worten zur Umkehr bewegen. „Der verinnerli­chte Gott der Dauer, der Stabilität und Sicherheit erweist sich als gefährlich­er Komplize des Immobilism­us und der menschlich­en Trägheit. Notwendig wäre ein Bundesgeno­sse des Umdenkens, der Innovation und Umkehr, der Gott ja auch tatsächlic­h ist.“(Tiemo Rainer Peters)

Katholisch­e Kirche bleibt selbst nur eingeschrä­nkt fähig zur Feindeslie­be

Die katholisch­e Kirche predigt das Evangelium der Feindeslie­be und bleibt selber nur eingeschrä­nkt fähig zur Freundesli­ebe. Die Ideologie ihrer kirchliche­n Dogmatik verbietet ihren Mitglieder­n, das Abendmahl zu empfangen und verweigert umgekehrt evangelisc­hen Christen den Empfang der Eucharisti­e. Wie will sie glaubwürdi­g ihrem friedens- und gemeinscha­ftsstiften­den Auftrag nachkommen, wenn sie nicht Menschen aller christlich­en Konfession­en an ihren Tisch lädt und mit ihnen Mahl hält, mit Jesus Christus in ihrer Mitte? „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“(Mt 18,20)

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