Aktive Sterbehilfe – richtig oder falsch?
Wie schwer sich die Gesellschaft mit Grundsatzentscheidungen tut, haben wir während der Corona-Pandemie erlebt. Die Schutzmaßnahmen und die Impffrage haben die Gesellschaft gespalten. Ähnlich schwer tut sich der Mensch mit Entscheidungen, die den Anfang und das Ende des Lebens betreffen. Die Meinungen über das, was richtig und falsch ist, gehen weit auseinander.
Soll eine Frau ihr Ungeborenes abtreiben können und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Soll ein unheilbar kranker Mensch das Recht haben, auf aktive Sterbehilfe zurückzugreifen, um seinem Leiden ein Ende zu bereiten, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Diese Fragen gehören zu den heikelsten, die die Menschheit zu beantworten hat.
Das Thema aktive Sterbehilfe spaltet die Gesellschaft bis heute. Für die Befürworter überwiegt das Recht des Einzelnen, frei über sein Leben und mithin auch über sein Lebensende zu entscheiden. Gegner sehen darin einen Verstoß gegen die unveräußerliche Menschenwürde und gegen den bedingungslosen Schutz des Lebens. In ihren Augen reicht das Gesetz zur Palliativmedizin, um dem Einzelnen ein schmerzfreies und würdevolles Sterben zu ermöglichen. Der Grat zwischen Palliativpflege und aktiver Sterbehilfe aber ist sehr dünn: Ist die Verabreichung von Morphium in einer bestimmten Dosis noch eine schmerzlindernde Maßnahme oder bereits aktive Sterbehilfe?
Es ist verständlich und legitim, wenn Institutionen wie die katholische oder die evangelische Kirche die aktive Sterbehilfe als Tötung ablehnen, wobei letztere die Sterbehilfe inzwischen nicht mehr komplett ausschließt. Nachvollziehbar ist auch die Befürchtung, die Sterbehilfe könnte zu einer ärztlichen Dienstleistung verkommen. Das ist in Luxemburg nicht passiert. Ärzte können nicht zur Sterbehilfe gezwungen werden – und die Bedingungen, unter denen sie geleistet werden darf, sind streng geregelt. Der befürchtete Euthanasie-Tourismus ist ausgeblieben, der spekulierte Missbrauch auch.
Die Frage, ob die aktive Sterbehilfe gut und richtig ist, muss letzten Endes jeder Einzelne für sich beantworten. Ferner ist es überaus hilfreich, die Frage „Sterbehilfe – richtig oder falsch?“aus der Warte eines unheilbar kranken und leidenden Menschen zu betrachten und die Liebe einzubeziehen. Sie ist der Kompass der Moral und gerade am Ende wie am Anfang des Lebens von zentraler Bedeutung. Wer je einen geliebten leidenden Menschen in den Tod begleitet hat, kann nicht anders, als wollen, dass dessen Wunsch Rechnung getragen wird. Die Erfüllung dieses letzten Wunsches ist ein Akt des Respekts, der Ehrerbietung, der Menschenwürde – und der Liebe.
Die Liebe ist der Kompass der Moral und am Ende des Lebens von zentraler Bedeutung.
Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu
nämlich ebenfalls aufgezeigt, dass Nachholbedarf beim medizinischen Personal bestehe. „Fehlendes Wissen ist die eine Sache, Zurückhaltung die andere. Viele Ärzte ziehen Sterbehilfe nach wie vor nicht in Betracht, auch aus Angst vor Konsequenzen. Dabei war ja die Entkriminalisierung des Akts das Hauptziel des Gesetzes von 2009“, verdeutlicht er.
Kein Arzt kann derweil gezwungen werden, Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid zu leisten. „Das Recht, dies abzulehnen, ist im Gesetz festgehalten. In einem solchen Fall muss der Arzt dem Patienten dies innerhalb von 24 Stunden mitteilen und im selben Zeitraum auch einen anderen Arzt empfehlen“, erklärt Jean-Jacques Schonckert. Er gibt zu bedenken, dass dieser Schritt nicht nur schwer für die Familie sei, sondern auch dem Arzt zu schaffen mache.
Missbrauch kaum möglich
Fälle von Missbrauch, so wie von den damaligen Gesetzesgegnern prophezeit, sind der Kontrollkommission nicht bekannt. „Angesichts der strengen Bedingungen und Kontrollmechanismen ist das auch kaum möglich“, sagt Wiwinius, während Schonckert unterstreicht, dass das Recht, nach Sterbehilfe zu fragen, nicht bedeute, dass sie auch gewährt werde. Der Patient muss volljährig sein, und es muss sich um eine Krankheit handeln, bei der es keine Chance auf Heilung gibt und die mit einem großen Leiden verbunden ist. Die häufigsten Ursachen seien Krebsleiden oder auch noch neurodegenerative Erkrankungen. In den meisten Fällen handele es sich um Menschen zwischen 60 und 79 Jahren.
14 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes sei die Akzeptanz in der Gesellschaft gewachsen, dies habe die Umfrage von TNS Ilres verdeutlicht: 85 Prozent der Befragten befürworten die Sterbehilfe. „Dass die Akzeptanz groß ist, sieht man auch an der wachsenden Zahl an Bestimmungen zum Lebensende (Patientenverfügungen), die bei uns eingehen“, so Wiwinius. Um die 4 000 waren es zuletzt. Die „Disposition de fin de vie“ist ein im Voraus formuliertes Verlangen nach Sterbehilfe für den Fall, dass sich der Patient zu einem späteren Zeitpunkt wegen einer fortgeschrittenen Krankheit oder eines Unfalls nicht mehr selbst ausdrücken kann. Diese muss bei der Kontrollkommission hinterlegt werden, um gültig zu sein.
Nachholbedarf in Sachen Nomenklatur
Während in Luxemburg ausschließlich Erwachsene Sterbehilfe beantragen können, gehen die Gesetze in den Niederlanden und Belgien weiter. Sie beziehen auch Minderjährige ein. Sollte diesbezüglich an der luxemburgischen Gesetzgebung nachgebessert werden?
„In der Kontrollkommission hatten wir bislang keine wirkliche Debatte dazu. Diese Frage müsste auf einer höheren politisch-gesellschaftlichen Ebene erörtert werden“, findet Wiwinius. „Die Belgier hatten in zehn Jahren einen oder zwei solcher Fälle. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass es im Moment keine absolute Notwendigkeit gibt, das Gesetz zu überarbeiten.“Differenzierter sieht es der Vorsitzende von Mäi Wëllen, Mäi Wee: „Auch ein Kind kann sich in einer derart dramatischen Situation befinden, wie sie im Gesetz beschrieben wird. Wir werden uns auf jeden Fall dafür einsetzen, dass diese Diskussion irgendwann geführt wird.“
Was beide unterdessen als Notwendigkeit sehen, wäre die Schaffung von Räumlichkeiten für Patienten auf ihrem letzten Weg. Schonckert könnte sich ein Haus nach dem Vorbild der palliativen Betreuungseinrichtung „Haus Omega“vorstellen, während Wiwinius zumindest die Einrichtung von würdevollen Räumen in Krankenhäusern anregt. Dringender Nachholbedarf besteht ihrer Ansicht nach auch in Sachen Nomenklatur. Eine solche fehlt bislang für den Akt der Sterbehilfe, der demnach nicht als solcher von der Gesundheitskasse (CNS) anerkannt ist.
„Obwohl das Gesetz seit 14 Jahren besteht, gibt es noch viele Berührungsängste, weshalb weiter auf Aufklärung gesetzt werden muss. Wir versuchen über Videos, Broschüren und Kampagnen oder in direkten Gesprächen weiter zu informieren und mehr Bewusstsein zu schaffen“, hält Schonckert am Ende fest.
Der raue Ton damals in der Chamber war erstaunlich. Es ging nicht mehr um Argumente, sondern um Emotionen. Jean-Jacques Schonckert, Präsident von Mäi Wëllen, Mäi Wee