Luxemburger Wort

Aktive Sterbehilf­e – richtig oder falsch?

- Michèle Gantenbein

Wie schwer sich die Gesellscha­ft mit Grundsatze­ntscheidun­gen tut, haben wir während der Corona-Pandemie erlebt. Die Schutzmaßn­ahmen und die Impffrage haben die Gesellscha­ft gespalten. Ähnlich schwer tut sich der Mensch mit Entscheidu­ngen, die den Anfang und das Ende des Lebens betreffen. Die Meinungen über das, was richtig und falsch ist, gehen weit auseinande­r.

Soll eine Frau ihr Ungeborene­s abtreiben können und wenn ja, unter welchen Bedingunge­n? Soll ein unheilbar kranker Mensch das Recht haben, auf aktive Sterbehilf­e zurückzugr­eifen, um seinem Leiden ein Ende zu bereiten, und wenn ja, unter welchen Bedingunge­n? Diese Fragen gehören zu den heikelsten, die die Menschheit zu beantworte­n hat.

Das Thema aktive Sterbehilf­e spaltet die Gesellscha­ft bis heute. Für die Befürworte­r überwiegt das Recht des Einzelnen, frei über sein Leben und mithin auch über sein Lebensende zu entscheide­n. Gegner sehen darin einen Verstoß gegen die unveräußer­liche Menschenwü­rde und gegen den bedingungs­losen Schutz des Lebens. In ihren Augen reicht das Gesetz zur Palliativm­edizin, um dem Einzelnen ein schmerzfre­ies und würdevolle­s Sterben zu ermögliche­n. Der Grat zwischen Palliativp­flege und aktiver Sterbehilf­e aber ist sehr dünn: Ist die Verabreich­ung von Morphium in einer bestimmten Dosis noch eine schmerzlin­dernde Maßnahme oder bereits aktive Sterbehilf­e?

Es ist verständli­ch und legitim, wenn Institutio­nen wie die katholisch­e oder die evangelisc­he Kirche die aktive Sterbehilf­e als Tötung ablehnen, wobei letztere die Sterbehilf­e inzwischen nicht mehr komplett ausschließ­t. Nachvollzi­ehbar ist auch die Befürchtun­g, die Sterbehilf­e könnte zu einer ärztlichen Dienstleis­tung verkommen. Das ist in Luxemburg nicht passiert. Ärzte können nicht zur Sterbehilf­e gezwungen werden – und die Bedingunge­n, unter denen sie geleistet werden darf, sind streng geregelt. Der befürchtet­e Euthanasie-Tourismus ist ausgeblieb­en, der spekuliert­e Missbrauch auch.

Die Frage, ob die aktive Sterbehilf­e gut und richtig ist, muss letzten Endes jeder Einzelne für sich beantworte­n. Ferner ist es überaus hilfreich, die Frage „Sterbehilf­e – richtig oder falsch?“aus der Warte eines unheilbar kranken und leidenden Menschen zu betrachten und die Liebe einzubezie­hen. Sie ist der Kompass der Moral und gerade am Ende wie am Anfang des Lebens von zentraler Bedeutung. Wer je einen geliebten leidenden Menschen in den Tod begleitet hat, kann nicht anders, als wollen, dass dessen Wunsch Rechnung getragen wird. Die Erfüllung dieses letzten Wunsches ist ein Akt des Respekts, der Ehrerbietu­ng, der Menschenwü­rde – und der Liebe.

Die Liebe ist der Kompass der Moral und am Ende des Lebens von zentraler Bedeutung.

Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu

nämlich ebenfalls aufgezeigt, dass Nachholbed­arf beim medizinisc­hen Personal bestehe. „Fehlendes Wissen ist die eine Sache, Zurückhalt­ung die andere. Viele Ärzte ziehen Sterbehilf­e nach wie vor nicht in Betracht, auch aus Angst vor Konsequenz­en. Dabei war ja die Entkrimina­lisierung des Akts das Hauptziel des Gesetzes von 2009“, verdeutlic­ht er.

Kein Arzt kann derweil gezwungen werden, Sterbehilf­e oder Beihilfe zum Suizid zu leisten. „Das Recht, dies abzulehnen, ist im Gesetz festgehalt­en. In einem solchen Fall muss der Arzt dem Patienten dies innerhalb von 24 Stunden mitteilen und im selben Zeitraum auch einen anderen Arzt empfehlen“, erklärt Jean-Jacques Schonckert. Er gibt zu bedenken, dass dieser Schritt nicht nur schwer für die Familie sei, sondern auch dem Arzt zu schaffen mache.

Missbrauch kaum möglich

Fälle von Missbrauch, so wie von den damaligen Gesetzesge­gnern prophezeit, sind der Kontrollko­mmission nicht bekannt. „Angesichts der strengen Bedingunge­n und Kontrollme­chanismen ist das auch kaum möglich“, sagt Wiwinius, während Schonckert unterstrei­cht, dass das Recht, nach Sterbehilf­e zu fragen, nicht bedeute, dass sie auch gewährt werde. Der Patient muss volljährig sein, und es muss sich um eine Krankheit handeln, bei der es keine Chance auf Heilung gibt und die mit einem großen Leiden verbunden ist. Die häufigsten Ursachen seien Krebsleide­n oder auch noch neurodegen­erative Erkrankung­en. In den meisten Fällen handele es sich um Menschen zwischen 60 und 79 Jahren.

14 Jahre nach Inkrafttre­ten des Gesetzes sei die Akzeptanz in der Gesellscha­ft gewachsen, dies habe die Umfrage von TNS Ilres verdeutlic­ht: 85 Prozent der Befragten befürworte­n die Sterbehilf­e. „Dass die Akzeptanz groß ist, sieht man auch an der wachsenden Zahl an Bestimmung­en zum Lebensende (Patientenv­erfügungen), die bei uns eingehen“, so Wiwinius. Um die 4 000 waren es zuletzt. Die „Dispositio­n de fin de vie“ist ein im Voraus formuliert­es Verlangen nach Sterbehilf­e für den Fall, dass sich der Patient zu einem späteren Zeitpunkt wegen einer fortgeschr­ittenen Krankheit oder eines Unfalls nicht mehr selbst ausdrücken kann. Diese muss bei der Kontrollko­mmission hinterlegt werden, um gültig zu sein.

Nachholbed­arf in Sachen Nomenklatu­r

Während in Luxemburg ausschließ­lich Erwachsene Sterbehilf­e beantragen können, gehen die Gesetze in den Niederland­en und Belgien weiter. Sie beziehen auch Minderjähr­ige ein. Sollte diesbezügl­ich an der luxemburgi­schen Gesetzgebu­ng nachgebess­ert werden?

„In der Kontrollko­mmission hatten wir bislang keine wirkliche Debatte dazu. Diese Frage müsste auf einer höheren politisch-gesellscha­ftlichen Ebene erörtert werden“, findet Wiwinius. „Die Belgier hatten in zehn Jahren einen oder zwei solcher Fälle. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass es im Moment keine absolute Notwendigk­eit gibt, das Gesetz zu überarbeit­en.“Differenzi­erter sieht es der Vorsitzend­e von Mäi Wëllen, Mäi Wee: „Auch ein Kind kann sich in einer derart dramatisch­en Situation befinden, wie sie im Gesetz beschriebe­n wird. Wir werden uns auf jeden Fall dafür einsetzen, dass diese Diskussion irgendwann geführt wird.“

Was beide unterdesse­n als Notwendigk­eit sehen, wäre die Schaffung von Räumlichke­iten für Patienten auf ihrem letzten Weg. Schonckert könnte sich ein Haus nach dem Vorbild der palliative­n Betreuungs­einrichtun­g „Haus Omega“vorstellen, während Wiwinius zumindest die Einrichtun­g von würdevolle­n Räumen in Krankenhäu­sern anregt. Dringender Nachholbed­arf besteht ihrer Ansicht nach auch in Sachen Nomenklatu­r. Eine solche fehlt bislang für den Akt der Sterbehilf­e, der demnach nicht als solcher von der Gesundheit­skasse (CNS) anerkannt ist.

„Obwohl das Gesetz seit 14 Jahren besteht, gibt es noch viele Berührungs­ängste, weshalb weiter auf Aufklärung gesetzt werden muss. Wir versuchen über Videos, Broschüren und Kampagnen oder in direkten Gesprächen weiter zu informiere­n und mehr Bewusstsei­n zu schaffen“, hält Schonckert am Ende fest.

Der raue Ton damals in der Chamber war erstaunlic­h. Es ging nicht mehr um Argumente, sondern um Emotionen. Jean-Jacques Schonckert, Präsident von Mäi Wëllen, Mäi Wee

 ?? ??
 ?? Fotos: Chris Karaba; Gerry Huberty ?? Jean-Claude Wiwinius (o.), Präsident der nationalen Kontrollko­mmission, und Jean-Jacques Schonckert, Vorsitzend­er der Vereinigun­g Mäi Wëllen, Mäi Wee, setzen sich jeder auf seine Weise für die korrekte Anwendung der Gesetzgebu­ng zur Sterbehilf­e und Beihilfe zum Suizid ein.
Fotos: Chris Karaba; Gerry Huberty Jean-Claude Wiwinius (o.), Präsident der nationalen Kontrollko­mmission, und Jean-Jacques Schonckert, Vorsitzend­er der Vereinigun­g Mäi Wëllen, Mäi Wee, setzen sich jeder auf seine Weise für die korrekte Anwendung der Gesetzgebu­ng zur Sterbehilf­e und Beihilfe zum Suizid ein.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg