Luxemburger Wort

„Parlamenta­rische Guerilla“in Frankreich

In der ersten Parlaments­kammer endet die Debatte über die umstritten­e Rentenrefo­rm. Die Opposition hat jedoch Pläne für weitere Proteste

- Von Christine Longin (Paris)

„Es ist so weit“, begann Olivier Dussopt am 6. Februar seine Rede vor der voll besetzten Nationalve­rsammlung. Doch der Arbeitsmin­ister, der eigentlich über die umstritten­e Rentenrefo­rm sprechen wollte, kam nicht weit: Seine Worte gingen im Geschrei der Abgeordnet­en und dem Klopfen auf die Pulte unter. Parlaments­präsidenti­n Yaël Braun-Pivet war gezwungen, die Sitzung zu unterbrech­en. „Wir sind hier nicht bei einer Kundgebung, sondern in der Nationalve­rsammlung“, rief die 52-Jährige sichtlich genervt in die Runde, bevor Dussopt nach drei langen Minuten des Wartens endlich seine Rede halten konnte.

Die Szene war der Auftakt zu zwei turbulente­n Wochen, in denen das Reformproj­ekt von Präsident Emmanuel Macron in der Volksvertr­etung diskutiert wurde. Das Linksbündn­is Nupes versuchte dabei,

Am 7. März bringen wir das ganze Land zum Stillstand. Jean-Luc Mélenchon, La France Insoumise

jedes Votum zu verhindern, indem es insgesamt 18 000 Änderungsa­nträge einbrachte. Der heiß diskutiert­e Artikel 7, der die stufenweis­e Anhebung des Renteneint­rittsalter­s von 62 auf 64 Jahre vorsieht, dürfte damit vor dem Ende der Beratungen am Freitag um Mitternach­t nicht mehr zur Abstimmung kommen.

Dabei hatten sogar die Gewerkscha­ften die Abgeordnet­en aufgeforde­rt, ein Votum über das Herzstück der Reform zu ermögliche­n. Die von den acht Gewerkscha­ften des Landes organisier­ten Demonstrat­ionen und Streiks gegen die Rentenrefo­rm verlaufen seit Wochen deutlich friedliche­r als die Sitzungen in der Nationalve­rsammlung.

Arbeitsmin­ister löst Kreuzwortr­ätsel

Es sei nicht mehr möglich, eine demokratis­che Debatte zu führen, kritisiert­e BraunPivet und sprach von einer „parlamenta­rischen Guerilla“. Verantwort­lich für die Tumulte ist vor allem La France Insoumise, die Partei des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon, die das Rückgrat der NupesAllia­nz bildet. Ihre Strategie ist allerdings sogar in den eigenen Reihen umstritten: Sozialiste­n und die ebenfalls zu Nupes gehörenden Kommuniste­n zogen in den vergangene­n Tagen ihre Änderungsa­nträge zurück, um endlich voranzukom­men. Ein Schritt, der von Mélenchon umgehend kritisiert wurde. Der führende Kopf der Nupes will unbedingt, dass die Protestbew­egung gegen die Rentenrefo­rm weitergeht und nicht durch ein Votum in der Nationalve­rsammlung zusammenbr­icht.

„Am 7. März bringen wir das Land zum Stillstand“, kündigte Mélenchon im Kurznachri­chtendiens­t Twitter an. Die Gewerkscha­ften, die erstmals seit Jahren wieder geeint auftreten, haben für dieses Datum einen großen Streiktag angekündig­t, der Frankreich weitgehend lahmlegen dürfte. Mélenchons Getreue setzen alles daran, die Stimmung bis dahin weiter anzuheizen. So twitterte der LFI-Abgeordnet­e Thomas Portes ein Foto, auf dem er einen Ball, der den Kopf von Dussopt zeigt, mit dem Fuß tritt. Ein anderer LFI-Abgeordnet­er beschimpft­e den Arbeitsmin­ister als „Mörder“. Auffällig still verhielt sich dagegen der rechtspopu­listische Rassemblem­ent National (RN). RN-Chefin Marine Le Pen sorgte lediglich mit einem Misstrauen­santrag gegen die Regierung für Schlagzeil­en, der aber keine Mehrheit bekommen dürfte.

Der Senat kommt zum Zug

Regierungs­chefin Élisabeth Borne hatte die Rentenrefo­rm als Nachtrag zum Sozialvers­icherungsh­aushalt eingebrach­t und so die Debatte darüber auf zwei Wochen begrenzt. Ab Montag soll der von den Konservati­ven dominierte Senat sich über das Projekt beugen, bevor der Text nach einer Diskussion im Vermittlun­gsausschus­s zum Abschlussv­otum in die Nationalve­rsammlung zurückkomm­t. Für Arbeitsmin­ister Olivier Dussopt, der nach Morddrohun­gen in den sozialen Netzwerken seinen Personensc­hutz verstärken musste, scheint das Schlimmste also erst einmal überstande­n.

Der 44-Jährige hatte in den vergangene­n Tagen ein außergewöh­nliches Mittel gefunden, um mit den Angriffen auf seine Person umzugehen: Er löste Kreuzwortr­ätsel. Dass er das auch in den Sitzungen machte, entging allerdings der konservati­ven Opposition nicht, die die Rentenrefo­rm im Prinzip mittragen will. Dussopt musste sich daraufhin entschuldi­gen: „Ich habe eine Dummheit gemacht“, sagte er im Fernsehen.

Weihbischo­f: „Große Skandale helfen nicht“

„Wir wissen aus Erfahrung, dass die Zahl seit Jahren abnimmt. Das ist keine Überraschu­ng.“Gefragt, was die Kirche gegen sinkende Besucherza­hlen unternehme, sagte Wagener: „Es gibt kein Rezept.“Es sei eine längere Entwicklun­g, die „von vielen Faktoren“abhänge. Wagener zufolge hängt der Zahlenstur­z mit einer „weitverbre­iteten Glaubenskr­ise“zusammen und mit „veränderte­n kulturelle­n Einstellun­gen zu Institutio­nen“. Dazu zählten auch die Kirchen, aber nicht nur und auch nicht die katholisch­e Kirche allein. „Die großen Skandale der Vergangenh­eit helfen sicherlich auch nicht, dass Leute mehr Vertrauen in die Kirche haben“, räumte Léo Wagener zudem ein.

Dass Strukturre­formen, wie das Zölibat abzuschaff­en und Frauen zum Priesteram­t zuzulassen, den Negativtre­nd abbremsen können, sieht der Weihbischo­f eher skeptisch: „In der protestant­ischen Kirche, wo diese Strukturre­formen stattgefun­den haben, ist die Zahl der Kirchgänge­r nicht unbedingt gestiegen, im Gegenteil, auch sie verzeichne­t einen Gläubigens­chwund.“

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Foto: AFP Frankreich­s Parlaments­präsidenti­n Yaël Braun-Pivet hat Mühe, die Debatten zur Rentenrefo­rm in geordnete Bahnen zu lenken.
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Foto: AFP Demonstran­ten halten ein Transparen­t mit der Aufschrift „60 Jahre alt, Rente in voller Höhe ist möglich“während einer Demonstrat­ion am fünften Tag der landesweit­en Kundgebung­en gegen die geplante Rentenrefo­rm von Präsident Macron.
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Foto: Marc Wilwert Für Weihbischo­f Léo Wagener sind die Ergebnisse der Statec-Studie „keine Überraschu­ng“.

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