Luxemburger Wort

Einigung im Brexit-Streit in greifbarer Nähe

Die Diskussion über das „Nordirland-Protokoll“lähmt seit Monaten die Bildung einer Regionalre­gierung in Belfast. Nun hat der britische Premier Rishi Sunak einen Lösungsvor­schlag vorgelegt

- Von Peter Stäuber (London)

Wenn Rishi Sunak plötzlich ins Flugzeug nach Nordirland steigt, dann weiß man, dass etwas im Gang ist. Am Donnerstag­abend reiste der britische Premiermin­ister unerwartet nach Belfast; er traf sich dort mit Politikern aus allen größeren Parteien, um sie über die Fortschrit­te in den Gesprächen über das Nordirland-Protokoll zu informiere­n. Seit vielen Wochen hat man aus Regierungs­kreisen gehört, dass die Verhandlun­gen mit der EU Fortschrit­te gemacht haben – jetzt sind die Gespräche offenbar im Endspurt.

Ein politische­r Graben

Zwar ist der Deal noch nicht geschlosse­n, aber die ersten Reaktionen nach den Treffen mit den nordirisch­en Politikern waren positiv. „In vielen Bereichen sind Fortschrit­te erzielt worden, aber es gibt noch immer Bereiche, in denen mehr Arbeit nötig sein wird“, sagte Jeffrey Donaldson, Vorsitzend­er der Democratic Unionist Party (DUP), im Anschluss an sein Treffen mit Sunak am Freitag. Er gab sich hoffnungsv­oll, dass bald ein akzeptable­r Deal geschlosse­n werden könne. Der DUP kommt eine entscheide­nde Rolle zu: Ohne ihr OK ist jeder Lösungsvor­schlag ein Rohrkrepie­rer.

Der seit zwei Jahren andauernde Streit dreht sich um den wirtschaft­lichen Status, den Nordirland nach dem Brexit einnimmt. Seit Großbritan­nien nicht mehr Teil der EU ist, schreibt das Nordirland-Protokoll

Grenzkontr­ollen vor: Ein Großteil der Waren, die von Großbritan­nien nach Nordirland geliefert werden, müssen kontrollie­rt werden, es sind zusätzlich­e Formulare nötig.

Das sorgt für viel Frust bei Unternehme­rn. Auf unionistis­cher Seite, also bei jenem Bevölkerun­gsteil, der Nordirland als britische Provinz beibehalte­n will, geht zudem die Sorge um, dass die wirtschaft­liche Abkopplung von Großbritan­nien auch einen politische­n Graben öffnen wird – und dass Nordirland näher an die Republik Irland heranwächs­t.

Aus Protest gegen das Protokoll hat sich die DUP – die größte unionistis­che Partei – auf die Hinterbein­e gestellt: Seit vergangene­m Frühling weigert sie sich, Minister in die Regierung in Belfast zu entsenden. Dieser Boykott verhindert die Bildung einer Regierung, denn in Nordirland gilt das Prinzip der Gewaltente­ilung. So ist die Politik in der Provinz seit einem Jahr blockiert.

Sunaks wichtigste Aufgabe in Belfast bestand denn auch darin, die DUP für seinen Lösungsvor­schlag zu gewinnen. Die Äußerungen des Vorsitzend­en Jeffrey Donaldson sind für Sunak erst einmal ein gutes Zeichen, immerhin hat die DUP Fortschrit­te eingeräumt. „Dies ist ganz klar ein großer Moment“, sagte Donaldson. Die DUP sind als Hardliner bekannt – dass sich ihr Chef den Deal nicht von vorneherei­n als inakzeptab­el abtut, muss schon als großer Gewinn gewertet werden.

Zur gleichen Zeit, als Sunak nach Belfast reiste, machte sich Außenminis­ter James Cleverley auf nach Brüssel, um sich mit EUKommissi­onsvize Maros Sefcovic zu treffen und die Fortschrit­te in den Nordirland-Gesprächen zu bereden. Auch in diesen Gesprächen herrschte offenbar ein positiver Ton vor: Die Unterredun­g sei „konstrukti­v“verlaufen und man habe „gute Fortschrit­te erzielt“, twitterte Cleverley – die „harte Arbeit“gehe jedoch weiter.

Details schon kommende Woche?

Details zum vorgeschla­genen Deal sind noch nicht bekannt. Aber in Umrissen ist in den vergangene­n Wochen bereits durchgesch­immert, worauf er hinausläuf­t: So sollen etwa Waren, die für Nordirland bestimmt sind, in einer „grünen Spur“von Großbritan­nien in die Provinz geliefert werden, also ohne Zollkontro­llen; demgegenüb­er müssen Produkte, die danach in die Republik Irland – und damit in die EU – geliefert werden, die „rote Spur“nehmen, wo der bürokratis­che Aufwand größer ist. Es wird erwartet, dass Sunak seinen Deal bereits Anfang nächster Woche finalisier­en könnte.

Sunaks wichtigste Aufgabe in Belfast bestand darin, die DUP für seinen Lösungsvor­schlag zu gewinnen.

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Foto: AFP Der Vorsitzend­e der nordirisch­en Democratic Unionist Party (DUP), Jeffrey Donaldson (Mitte), spricht von bedeutende­n Fortschrit­ten bei den Verhandlun­gen.

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