Einigung im Brexit-Streit in greifbarer Nähe
Die Diskussion über das „Nordirland-Protokoll“lähmt seit Monaten die Bildung einer Regionalregierung in Belfast. Nun hat der britische Premier Rishi Sunak einen Lösungsvorschlag vorgelegt
Wenn Rishi Sunak plötzlich ins Flugzeug nach Nordirland steigt, dann weiß man, dass etwas im Gang ist. Am Donnerstagabend reiste der britische Premierminister unerwartet nach Belfast; er traf sich dort mit Politikern aus allen größeren Parteien, um sie über die Fortschritte in den Gesprächen über das Nordirland-Protokoll zu informieren. Seit vielen Wochen hat man aus Regierungskreisen gehört, dass die Verhandlungen mit der EU Fortschritte gemacht haben – jetzt sind die Gespräche offenbar im Endspurt.
Ein politischer Graben
Zwar ist der Deal noch nicht geschlossen, aber die ersten Reaktionen nach den Treffen mit den nordirischen Politikern waren positiv. „In vielen Bereichen sind Fortschritte erzielt worden, aber es gibt noch immer Bereiche, in denen mehr Arbeit nötig sein wird“, sagte Jeffrey Donaldson, Vorsitzender der Democratic Unionist Party (DUP), im Anschluss an sein Treffen mit Sunak am Freitag. Er gab sich hoffnungsvoll, dass bald ein akzeptabler Deal geschlossen werden könne. Der DUP kommt eine entscheidende Rolle zu: Ohne ihr OK ist jeder Lösungsvorschlag ein Rohrkrepierer.
Der seit zwei Jahren andauernde Streit dreht sich um den wirtschaftlichen Status, den Nordirland nach dem Brexit einnimmt. Seit Großbritannien nicht mehr Teil der EU ist, schreibt das Nordirland-Protokoll
Grenzkontrollen vor: Ein Großteil der Waren, die von Großbritannien nach Nordirland geliefert werden, müssen kontrolliert werden, es sind zusätzliche Formulare nötig.
Das sorgt für viel Frust bei Unternehmern. Auf unionistischer Seite, also bei jenem Bevölkerungsteil, der Nordirland als britische Provinz beibehalten will, geht zudem die Sorge um, dass die wirtschaftliche Abkopplung von Großbritannien auch einen politischen Graben öffnen wird – und dass Nordirland näher an die Republik Irland heranwächst.
Aus Protest gegen das Protokoll hat sich die DUP – die größte unionistische Partei – auf die Hinterbeine gestellt: Seit vergangenem Frühling weigert sie sich, Minister in die Regierung in Belfast zu entsenden. Dieser Boykott verhindert die Bildung einer Regierung, denn in Nordirland gilt das Prinzip der Gewaltenteilung. So ist die Politik in der Provinz seit einem Jahr blockiert.
Sunaks wichtigste Aufgabe in Belfast bestand denn auch darin, die DUP für seinen Lösungsvorschlag zu gewinnen. Die Äußerungen des Vorsitzenden Jeffrey Donaldson sind für Sunak erst einmal ein gutes Zeichen, immerhin hat die DUP Fortschritte eingeräumt. „Dies ist ganz klar ein großer Moment“, sagte Donaldson. Die DUP sind als Hardliner bekannt – dass sich ihr Chef den Deal nicht von vorneherein als inakzeptabel abtut, muss schon als großer Gewinn gewertet werden.
Zur gleichen Zeit, als Sunak nach Belfast reiste, machte sich Außenminister James Cleverley auf nach Brüssel, um sich mit EUKommissionsvize Maros Sefcovic zu treffen und die Fortschritte in den Nordirland-Gesprächen zu bereden. Auch in diesen Gesprächen herrschte offenbar ein positiver Ton vor: Die Unterredung sei „konstruktiv“verlaufen und man habe „gute Fortschritte erzielt“, twitterte Cleverley – die „harte Arbeit“gehe jedoch weiter.
Details schon kommende Woche?
Details zum vorgeschlagenen Deal sind noch nicht bekannt. Aber in Umrissen ist in den vergangenen Wochen bereits durchgeschimmert, worauf er hinausläuft: So sollen etwa Waren, die für Nordirland bestimmt sind, in einer „grünen Spur“von Großbritannien in die Provinz geliefert werden, also ohne Zollkontrollen; demgegenüber müssen Produkte, die danach in die Republik Irland – und damit in die EU – geliefert werden, die „rote Spur“nehmen, wo der bürokratische Aufwand größer ist. Es wird erwartet, dass Sunak seinen Deal bereits Anfang nächster Woche finalisieren könnte.
Sunaks wichtigste Aufgabe in Belfast bestand darin, die DUP für seinen Lösungsvorschlag zu gewinnen.