Wie die Abwanderung in Grenzregionen verhindert werden kann
Um der Wohnungsbauproblematik in Luxemburg Herr zu werden, muss sich die Regierung vom ungehemmten Wachstumsmodell verabschieden
Ziel des Wohnungsbaus muss die Schaffung des selbst genutzten Eigenheims sein. In früheren Zeiten eine Selbstverständlichkeit für fast alle, ob bemittelt oder weniger, heute ein Luxus. Dabei ist das Eigenheim gerade für Geringverdiener der beste Schutz gegen die soziale Ausgrenzung. Unter Einbezug der staatlichen Beihilfen zum Erwerb, beispielsweise einer Sozialwohnung und der Tilgung des Darlehens können sie sich allmählich aus den für sie oft erdrückenden Wohnkosten befreien, ein besseres Leben führen und vorausschauend späterer Altersarmut entgehen. Zugleich bauen sie sich ein, wenn auch bescheidenes Vermögen auf, das sie in welcher Form auch immer weiter geben können.
Für den Staat ist es ebenfalls von Vorteil, da die notwendigen Zuschüsse mit dem abnehmenden Darlehen weniger werden und auch ein Ende haben. Mietzuschüsse sind eine Endlosgeschichte bis ins Rentenalter, von denen nichts bleibt. So gesehen ist das Eigenheim für Geringverdiener die erste Säule jeder Sozialpolitik und hat somit etwas mit der viel zitierten Nachhaltigkeit zu tun. Eine Winwin-Situation für alle.
Wohl wissend, dass es auch einen steten Bedarf an Mietwohnungen gibt, sei es als erste Bleibe für Berufseinsteiger oder für ausländische Mitbürger, von denen so manche nur vorübergehend von ihren Arbeitgebern entsandt werden.
Derweil verschärft sich jedoch die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Jetzt kommt alles zusammen: zu den weiter galoppierenden Preisen gesellen sich die steigenden Baukosten wegen der teuren Energie. Jahrelang haben Niedrigzinsen den Preisen etwas entgegengewirkt. Der nunmehr erhöhte Finanzierungsbedarf wird aufgrund des Zinsanstiegs für viele zur unüberwindbaren Hürde.
Abwanderung in Grenzregionen
Daraus ergibt sich ein verstärkter Bedarf an erschwinglichem Wohnungen. Den derzeit 500 Einheiten pro Jahr stehen 10 000 Anträge gegenüber, Tendenz steigend. Allein dafür bräuchte man 20 Jahre. Die angedachte Beschleunigung des sozialen Wohnungsbaus in Ehren. Allein am Glauben fehlt es mir; zum Beweis die immer gleichen, seit gefühlter Ewigkeit angekündigten Großprojekte.
Die Konsequenz: die Abwanderung in die Grenzregionen wird sich verstärken. Ein Einfamilienhaus für 300 000 bis 400 000 Euro. Hierzulande reicht das kaum für eine Kleinstwohnung (Studio).
Anstatt hierzulande doppelt eingeengt zu sein – enge Wohnung und hohes Darlehen oder perspektivlose Mietzahlungen – im Grenzbereich für wesentlich weniger Geld ein Haus mit Grundstück. Für Familien mit eher durchschnittlichem Einkommen eine nachvollziehbare Alternative trotz einiger Nachteile, wie die Distanz, Schule der Kinder usw. Eine Entscheidung aus „Spaß an der Freude“ist es demzufolge nicht. Nur die logische Konsequenz aus der hiesigen Misere. Stand 2021 waren es 70 000 Menschen: bereits elf Prozent der offiziellen Bevölkerung!
Auffällig ist, dass die Abwanderung kaum thematisiert wird. Das scheint der Politik entgegenzukommen. Wer anderswo unterkommt, der benötigt hierzulande keine Unterstützung. Der eh notwendige Ausbau der Verkehrskapazitäten scheint die einfachere Lösung zu sein. Die Grenzregionen sind somit längst zum Blitzableiter hiesigen Unvermögens geworden, wenn nicht gar Unwille. Apartheid „à la sauce luxembourgeoise” – aufgrund des Geldbeutels.
Verlust an Eigenständigkeit
Luxemburg ist insgesamt ein reiches Land: die drittkleinste Staatsverschuldung in der EU. 64 000 Haushalte, sprich etwas über 100 000 Personen dürfen sich gar als Millionäre fühlen: Vermögen in welcher Form auch immer ohne den Wert der genutzten eigenen Immobilie. An sich wäre das in Ordnung, gäbe es nicht die Kehrseite der Medaille.
18 Prozent der Bevölkerung, sprich annähernd 120 000 Einwohner sind von Armut bedroht: das dritthöchste Armutsrisiko der EU, trotz des absolut höchsten Mindestlohns. Einkommen und Kaufkraft sind eben zwei Paar Schuhe. Die Sozialtransfers bei den ärmsten zehn Prozent erreichen also 48 Prozent ihrer Bruttobezüge. Das mag man als solide und lobenswerte Unterstützung werten, oder im Umkehrschluss als Beweis einer grundsätzlichen Fehlentwicklung. Ein Abdrängen in ein unfreiwilliges und ungesundes Bittstellertum ist es allemal.
Zusammen mit den elf Prozent Verdrängten sind somit bereits drei von zehn so oder so betroffen. Umso drängender die Infragestellung unseres Wirtschaftens. Wachstum auf Teufel komm raus, zum Vorteil weniger und am Ende wohl zum Nachteil der großen Mehrheit.
Der Bericht des Klima-Bürgerrats spricht das Wachstum an, wenn auch etwas versteckt, unter „construction durable“: „ … repenser les nombreuses conséquences de la poursuite d’une croissance non durable qui exerce une pression sur les écosystèmes naturels, la mobilité, le logement et les autres infrastructures essentielles, entraînant une dégradation des conditions de vie des humains, des habitats naturels et de leur habitants“.
„Conditions de vie“kann man durchaus auf die sozialen Konsequenzen ausweiten. Dann ist das Bild komplett. Nachhaltigkeit ist ein allgemein gültiges Konzept und betrifft nicht alleine Natur und Umwelt, sondern unter anderem auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Grundübel, nicht nachhaltiges Sozialsystem
Aber spätestens hier ist dann Schluss. Denn am ursprünglichen Grundübel will sich keiner die Finger verbrennen: unserem nicht nachhaltigen Sozialsystem, sprich den zuweilen überzogenen Pensionsund Rentenansprüchen, Triebfeder des forcierten (Bevölkerungs-) Wachstums und der hemmungslosen Spekulation. Wobei am Ende eine Neuausrichtung unumgänglich sein wird, denn die vermeintlich hohen Reserven werden unweigerlich dahin schmelzen. Das aber überlässt man getrost anderen.
Im Alter wird man konservativ, nicht im Sinne politischer Überzeugung, sondern Besitzstandswahrung aufgrund abnehmender Infragestellung. Elf Abgeordnete sind im Rentenalter über 65, weitere neun rentenberechtigt (60–65). Zählt man auch die elf Perspektivrentner hinzu (55–60), ergibt sich eine absolute Mehrheit von 31 Mandatsträgern.