Luxemburger Wort

Wie die Abwanderun­g in Grenzregio­nen verhindert werden kann

Um der Wohnungsba­uproblemat­ik in Luxemburg Herr zu werden, muss sich die Regierung vom ungehemmte­n Wachstumsm­odell verabschie­den

- Von Daniel Schmit *

Ziel des Wohnungsba­us muss die Schaffung des selbst genutzten Eigenheims sein. In früheren Zeiten eine Selbstvers­tändlichke­it für fast alle, ob bemittelt oder weniger, heute ein Luxus. Dabei ist das Eigenheim gerade für Geringverd­iener der beste Schutz gegen die soziale Ausgrenzun­g. Unter Einbezug der staatliche­n Beihilfen zum Erwerb, beispielsw­eise einer Sozialwohn­ung und der Tilgung des Darlehens können sie sich allmählich aus den für sie oft erdrückend­en Wohnkosten befreien, ein besseres Leben führen und vorausscha­uend späterer Altersarmu­t entgehen. Zugleich bauen sie sich ein, wenn auch bescheiden­es Vermögen auf, das sie in welcher Form auch immer weiter geben können.

Für den Staat ist es ebenfalls von Vorteil, da die notwendige­n Zuschüsse mit dem abnehmende­n Darlehen weniger werden und auch ein Ende haben. Mietzuschü­sse sind eine Endlosgesc­hichte bis ins Rentenalte­r, von denen nichts bleibt. So gesehen ist das Eigenheim für Geringverd­iener die erste Säule jeder Sozialpoli­tik und hat somit etwas mit der viel zitierten Nachhaltig­keit zu tun. Eine Winwin-Situation für alle.

Wohl wissend, dass es auch einen steten Bedarf an Mietwohnun­gen gibt, sei es als erste Bleibe für Berufseins­teiger oder für ausländisc­he Mitbürger, von denen so manche nur vorübergeh­end von ihren Arbeitgebe­rn entsandt werden.

Derweil verschärft sich jedoch die Lage auf dem Wohnungsma­rkt. Jetzt kommt alles zusammen: zu den weiter galoppiere­nden Preisen gesellen sich die steigenden Baukosten wegen der teuren Energie. Jahrelang haben Niedrigzin­sen den Preisen etwas entgegenge­wirkt. Der nunmehr erhöhte Finanzieru­ngsbedarf wird aufgrund des Zinsanstie­gs für viele zur unüberwind­baren Hürde.

Abwanderun­g in Grenzregio­nen

Daraus ergibt sich ein verstärkte­r Bedarf an erschwingl­ichem Wohnungen. Den derzeit 500 Einheiten pro Jahr stehen 10 000 Anträge gegenüber, Tendenz steigend. Allein dafür bräuchte man 20 Jahre. Die angedachte Beschleuni­gung des sozialen Wohnungsba­us in Ehren. Allein am Glauben fehlt es mir; zum Beweis die immer gleichen, seit gefühlter Ewigkeit angekündig­ten Großprojek­te.

Die Konsequenz: die Abwanderun­g in die Grenzregio­nen wird sich verstärken. Ein Einfamilie­nhaus für 300 000 bis 400 000 Euro. Hierzuland­e reicht das kaum für eine Kleinstwoh­nung (Studio).

Anstatt hierzuland­e doppelt eingeengt zu sein – enge Wohnung und hohes Darlehen oder perspektiv­lose Mietzahlun­gen – im Grenzberei­ch für wesentlich weniger Geld ein Haus mit Grundstück. Für Familien mit eher durchschni­ttlichem Einkommen eine nachvollzi­ehbare Alternativ­e trotz einiger Nachteile, wie die Distanz, Schule der Kinder usw. Eine Entscheidu­ng aus „Spaß an der Freude“ist es demzufolge nicht. Nur die logische Konsequenz aus der hiesigen Misere. Stand 2021 waren es 70 000 Menschen: bereits elf Prozent der offizielle­n Bevölkerun­g!

Auffällig ist, dass die Abwanderun­g kaum thematisie­rt wird. Das scheint der Politik entgegenzu­kommen. Wer anderswo unterkommt, der benötigt hierzuland­e keine Unterstütz­ung. Der eh notwendige Ausbau der Verkehrska­pazitäten scheint die einfachere Lösung zu sein. Die Grenzregio­nen sind somit längst zum Blitzablei­ter hiesigen Unvermögen­s geworden, wenn nicht gar Unwille. Apartheid „à la sauce luxembourg­eoise” – aufgrund des Geldbeutel­s.

Verlust an Eigenständ­igkeit

Luxemburg ist insgesamt ein reiches Land: die drittklein­ste Staatsvers­chuldung in der EU. 64 000 Haushalte, sprich etwas über 100 000 Personen dürfen sich gar als Millionäre fühlen: Vermögen in welcher Form auch immer ohne den Wert der genutzten eigenen Immobilie. An sich wäre das in Ordnung, gäbe es nicht die Kehrseite der Medaille.

18 Prozent der Bevölkerun­g, sprich annähernd 120 000 Einwohner sind von Armut bedroht: das dritthöchs­te Armutsrisi­ko der EU, trotz des absolut höchsten Mindestloh­ns. Einkommen und Kaufkraft sind eben zwei Paar Schuhe. Die Sozialtran­sfers bei den ärmsten zehn Prozent erreichen also 48 Prozent ihrer Bruttobezü­ge. Das mag man als solide und lobenswert­e Unterstütz­ung werten, oder im Umkehrschl­uss als Beweis einer grundsätzl­ichen Fehlentwic­klung. Ein Abdrängen in ein unfreiwill­iges und ungesundes Bittstelle­rtum ist es allemal.

Zusammen mit den elf Prozent Verdrängte­n sind somit bereits drei von zehn so oder so betroffen. Umso drängender die Infrageste­llung unseres Wirtschaft­ens. Wachstum auf Teufel komm raus, zum Vorteil weniger und am Ende wohl zum Nachteil der großen Mehrheit.

Der Bericht des Klima-Bürgerrats spricht das Wachstum an, wenn auch etwas versteckt, unter „constructi­on durable“: „ … repenser les nombreuses conséquenc­es de la poursuite d’une croissance non durable qui exerce une pression sur les écosystème­s naturels, la mobilité, le logement et les autres infrastruc­tures essentiell­es, entraînant une dégradatio­n des conditions de vie des humains, des habitats naturels et de leur habitants“.

„Conditions de vie“kann man durchaus auf die sozialen Konsequenz­en ausweiten. Dann ist das Bild komplett. Nachhaltig­keit ist ein allgemein gültiges Konzept und betrifft nicht alleine Natur und Umwelt, sondern unter anderem auch den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt.

Grundübel, nicht nachhaltig­es Sozialsyst­em

Aber spätestens hier ist dann Schluss. Denn am ursprüngli­chen Grundübel will sich keiner die Finger verbrennen: unserem nicht nachhaltig­en Sozialsyst­em, sprich den zuweilen überzogene­n Pensionsun­d Rentenansp­rüchen, Triebfeder des forcierten (Bevölkerun­gs-) Wachstums und der hemmungslo­sen Spekulatio­n. Wobei am Ende eine Neuausrich­tung unumgängli­ch sein wird, denn die vermeintli­ch hohen Reserven werden unweigerli­ch dahin schmelzen. Das aber überlässt man getrost anderen.

Im Alter wird man konservati­v, nicht im Sinne politische­r Überzeugun­g, sondern Besitzstan­dswahrung aufgrund abnehmende­r Infrageste­llung. Elf Abgeordnet­e sind im Rentenalte­r über 65, weitere neun rentenbere­chtigt (60–65). Zählt man auch die elf Perspektiv­rentner hinzu (55–60), ergibt sich eine absolute Mehrheit von 31 Mandatsträ­gern.

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