Schulen und Betriebe zusammenbringen
Auf der einen Seite werden die Erwartungen, die Menschen an ihren Arbeitgeber stellen, höher. Auf der anderen Seite klagen die Unternehmen über einen „skills gap“bei den Bewerbern. „Fähigkeitslücke“– schöner neuer Begriff, der so viel bedeutet wie „unfähig für die Stelle zu sein, für die man sich beworben hat“. Wenn Jugendliche heute mit dem Computer aufwachsen, gleichzeitig aber ein eklatanter Mangel an ITSpezialisten besteht, wie kann das erklärt werden? Offenbar wird an den Schulen kaum Interesse daran geweckt. Neben vielen engagierten Lehrern gibt es eben auch etliche unambitionierte, die kein Interesse an einer Thematik wecken können, sondern Schülern tatsächlich die Lust an bestimmten Fachgebieten verleiden. Aber selbst wenn man in der Schulzeit vielleicht kein Interesse an Mathematik hatte – was oft weniger an unsympathischen Zahlen als am unsympathischen Lehrer liegt – lässt sich später vieles wieder geradebiegen. Nie waren die Möglichkeiten, sich zu bilden und fortzubilden, so groß und so einfach wie heute. Für Schulen heißt das: Warum nicht öfter Betriebe in die Schule einladen, um Berufe vorzustellen? Und für die Unternehmen: den Mitarbeitern Ausund Weiterbildung sowie Entwicklungsmöglichkeiten bieten.
Hauptsache ein Job, das war einmal. Gleichzeitig suchen alle Branchen in Luxemburg Mitarbeiter, auch Berufseinsteiger. Die CFLGruppe – der größte Arbeitgeber des Landes – hat vor Kurzem eine Kampagne gestartet, um „massiv“neue Mitarbeiter zu gewinnen und damit die kommende Pensionierungswelle auszugleichen.
Allein im Bereich des Personenverkehrs auf Schiene und Straße sind in diesem Jahr bei der CFL mehr als 300 Stellen zu besetzen; insgesamt sind für 2023, so CFL-Sprecher Tom Ewert, 500 Neueinstellungen geplant. Fast jede zweite Stelle gehört zu den klassischen Eisenbahnberufen wie Zugbegleiter und Lokführer, Logistik-Jobs im Frachtgeschäft gehören aber genauso zu den aktuell offenen Stellen wie solche in der Rechts- oder Finanzabteilung der Bahn.
Für eine von drei zu besetzenden Stellen werden Ingenieure oder Informatiker gesucht. Die einen werden in vielen Teilen der Industrie ebenso gebraucht – und die anderen in nahezu allen Wirtschaftssektoren. Obwohl doch vor allem junge Leute eigentlich „digital natives“sind, gibt es einen eklatanten Mangel an IT-Spezialisten.
Neben der Rentenwelle, die ansteht, verschärft auch das stete Wachstum der Luxemburger Wirtschaft den Personalbedarf. 454 000 Menschen arbeiteten 2021 in Luxemburg. 470 000 waren es Ende 2022. Gleichzeitig waren 10 925 freie Stellen gemeldet, für die Luxemburger Unternehmen Bewerber suchten. Ende 2019 waren es 6 400, fünf Jahre davor 3 200.
Dem Handwerk gehen die Handwerker aus
Wo sind Stellen im Handwerk frei? Welche Profile werden dort gesucht? Nahezu alle Niveaus und in allen Bereichen, so die Antwort. Laut einer aktuellen Studie der CdM fehlen den Handwerksbetrieben im Land etwa 3 800 Arbeitskräfte, darunter viele Installateure und Elektriker.
Inzwischen führt der Weggang vieler neu ausgebildeter Menschen dazu, dass manche Betriebe dazu tendieren, seltener ganze Ausbildungen anzubieten, sondern nur noch in bestimmten Tätigkeiten für bestimmte Aufgaben schulen.
Vom Betriebswirt bis zur Reinigungskraft
„Seitens der Adem publizieren wir jeden Monat eine Liste der Berufe, für die wir die meisten Stellenangebote von den Unternehmen gemeldet bekommen“, erklärt Silke Brüggebors von der Arbeitsagentur Adem. Laut den Daten werden im Land 1 900 Informatiker gesucht, 1 600 Buchhalter, 1 100 Wirtschaftsprüfer, je etwa tausend Personen werden als
Küchenpersonal gesucht wie auch als Kreditsachbearbeiter von Banken.
Warum es für Unternehmen schwer ist, Stellen zu besetzen, hat vielfältige Gründe. „Leider ist es heute so, dass für viele offene Stellen einfach keine Bewerber auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind“, sagt Brüggebors. „Auch seitens der Adem stellen wir fest, dass wir in einigen Berufsgruppen, wie zum Beispiel im IT- oder Gesundheitsbereich, gar keine oder nur sehr wenige Arbeitsuchende gemeldet haben, die wir vermitteln können.“Erschwerend komme hinzu, dass die Anforderungen der Unternehmen immer häufiger nicht mit den Kompetenzen der Bewerber übereinstimmten, sei es in puncto Sprachen, IT-Kenntnisse oder fachspezifisches Knowhow.
Ansprüche an Arbeitgeber steigen
Ein neueres Phänomen, hauptsächlich seit der Corona-Krise, ist, dass sich die Einstellung zur Arbeit grundlegend verändert, fügt Brüggebors hinzu. „Eine ausgeglichene Work-Life-Balance und flexible Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel auch die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten, haben für viele Beschäftigten einen weit höheren Stellenwert als noch vor zwei, drei Jahren.“Die Unternehmen müssten hierauf reagieren.
Bestehende Berufe ändern sich, neue Berufe entstehen, weil durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung neue Kompetenzen erforderlich sind. „Sowohl für Berufsanfänger, Arbeitsuchende, aber auch für Arbeitnehmer, die eine Beschäftigung haben, bedeutet dies, dass sie sich ständig weiterbilden und unter Umständen auch bereit sein müssen, auf andere Berufe umzuschulen“, sagt Brüggebors.
Die Adem hat kürzlich zehn verschiedene Wirtschaftssektoren unter die Lupe genommen und untersucht, welche Berufe in Zukunft gefragt und welche Kompetenzen hierfür erforderlich sein werden. „Nicht zuletzt auf dieser Grundlage bietet die Adem bereits heute gezielt berufsspezifische Weiterbildungen oder Umschulungen für Arbeitsuchende an. Auch Weiterbildungen in Schlüsselkompetenzen, wie IT-Kenntnisse und Sprachen, aber auch in den Soft Skills, wie zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit, kritisches Denken oder auch Teamfähigkeit, stehen auf dem Weiterbildungsprogramm der Adem. Gerade diese Fähigkeiten gewönnen in einem sich rasant wandelnden Arbeitsmarkt zunehmend an Bedeutung, sagt Brüggebors.
Jobaussichten für Berufseinsteiger
Muriel Morbé ist Direktorin für Weiterbildung bei der Handelskammer. Ihr zufolge ist das Missverhältnis zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage „in allen Wirtschaftssektoren und auf allen Qualifikationsniveaus festzustellen“– auch im Handel, der sich wegen seiner Vielfältigkeit unterschiedlichste Berufe hat. Bekleidungsfachverkäufer werden hier genauso gesucht wie Mechaniker. Auch in Lagerhaltung und Logistik sowie im Verkauf wird Personal gesucht, so Morbé.
Es fehlt auch immer öfter Personal für eher „niedrig qualifizierte“Tätigkeiten, vor allem, wenn Mehrsprachigkeit verlangt wird.
„Unter dem Einfluss der Transformation der Wirtschaft und der Sektoren ist der Mangel an Arbeitskräften zu einer Hauptsorge der Unternehmen geworden“, sagt Morbé. Von insgesamt 1 785 Lehrverträgen wurden 2022 immerhin 990 im Handelssektor unterzeichnet. Diese Zahlen seien aber mit Vorsicht zu betrachten: „Während dieser Sektor früher aus Leidenschaft und/oder Berufung gewählt wurde, kann er heute für einige Auszubildende eine Wahl aus Mangel an Alternativen sein“, meint Morbé.
Für viele offene Stellen sind einfach keine Bewerber auf dem Arbeitsmarkt vorhanden.