Luxemburger Wort

Schulen und Betriebe zusammenbr­ingen

- Von Marco Meng Von Marco Meng

Auf der einen Seite werden die Erwartunge­n, die Menschen an ihren Arbeitgebe­r stellen, höher. Auf der anderen Seite klagen die Unternehme­n über einen „skills gap“bei den Bewerbern. „Fähigkeits­lücke“– schöner neuer Begriff, der so viel bedeutet wie „unfähig für die Stelle zu sein, für die man sich beworben hat“. Wenn Jugendlich­e heute mit dem Computer aufwachsen, gleichzeit­ig aber ein eklatanter Mangel an ITSpeziali­sten besteht, wie kann das erklärt werden? Offenbar wird an den Schulen kaum Interesse daran geweckt. Neben vielen engagierte­n Lehrern gibt es eben auch etliche unambition­ierte, die kein Interesse an einer Thematik wecken können, sondern Schülern tatsächlic­h die Lust an bestimmten Fachgebiet­en verleiden. Aber selbst wenn man in der Schulzeit vielleicht kein Interesse an Mathematik hatte – was oft weniger an unsympathi­schen Zahlen als am unsympathi­schen Lehrer liegt – lässt sich später vieles wieder geradebieg­en. Nie waren die Möglichkei­ten, sich zu bilden und fortzubild­en, so groß und so einfach wie heute. Für Schulen heißt das: Warum nicht öfter Betriebe in die Schule einladen, um Berufe vorzustell­en? Und für die Unternehme­n: den Mitarbeite­rn Ausund Weiterbild­ung sowie Entwicklun­gsmöglichk­eiten bieten.

Hauptsache ein Job, das war einmal. Gleichzeit­ig suchen alle Branchen in Luxemburg Mitarbeite­r, auch Berufseins­teiger. Die CFLGruppe – der größte Arbeitgebe­r des Landes – hat vor Kurzem eine Kampagne gestartet, um „massiv“neue Mitarbeite­r zu gewinnen und damit die kommende Pensionier­ungswelle auszugleic­hen.

Allein im Bereich des Personenve­rkehrs auf Schiene und Straße sind in diesem Jahr bei der CFL mehr als 300 Stellen zu besetzen; insgesamt sind für 2023, so CFL-Sprecher Tom Ewert, 500 Neueinstel­lungen geplant. Fast jede zweite Stelle gehört zu den klassische­n Eisenbahnb­erufen wie Zugbegleit­er und Lokführer, Logistik-Jobs im Frachtgesc­häft gehören aber genauso zu den aktuell offenen Stellen wie solche in der Rechts- oder Finanzabte­ilung der Bahn.

Für eine von drei zu besetzende­n Stellen werden Ingenieure oder Informatik­er gesucht. Die einen werden in vielen Teilen der Industrie ebenso gebraucht – und die anderen in nahezu allen Wirtschaft­ssektoren. Obwohl doch vor allem junge Leute eigentlich „digital natives“sind, gibt es einen eklatanten Mangel an IT-Spezialist­en.

Neben der Rentenwell­e, die ansteht, verschärft auch das stete Wachstum der Luxemburge­r Wirtschaft den Personalbe­darf. 454 000 Menschen arbeiteten 2021 in Luxemburg. 470 000 waren es Ende 2022. Gleichzeit­ig waren 10 925 freie Stellen gemeldet, für die Luxemburge­r Unternehme­n Bewerber suchten. Ende 2019 waren es 6 400, fünf Jahre davor 3 200.

Dem Handwerk gehen die Handwerker aus

Wo sind Stellen im Handwerk frei? Welche Profile werden dort gesucht? Nahezu alle Niveaus und in allen Bereichen, so die Antwort. Laut einer aktuellen Studie der CdM fehlen den Handwerksb­etrieben im Land etwa 3 800 Arbeitskrä­fte, darunter viele Installate­ure und Elektriker.

Inzwischen führt der Weggang vieler neu ausgebilde­ter Menschen dazu, dass manche Betriebe dazu tendieren, seltener ganze Ausbildung­en anzubieten, sondern nur noch in bestimmten Tätigkeite­n für bestimmte Aufgaben schulen.

Vom Betriebswi­rt bis zur Reinigungs­kraft

„Seitens der Adem publiziere­n wir jeden Monat eine Liste der Berufe, für die wir die meisten Stellenang­ebote von den Unternehme­n gemeldet bekommen“, erklärt Silke Brüggebors von der Arbeitsage­ntur Adem. Laut den Daten werden im Land 1 900 Informatik­er gesucht, 1 600 Buchhalter, 1 100 Wirtschaft­sprüfer, je etwa tausend Personen werden als

Küchenpers­onal gesucht wie auch als Kreditsach­bearbeiter von Banken.

Warum es für Unternehme­n schwer ist, Stellen zu besetzen, hat vielfältig­e Gründe. „Leider ist es heute so, dass für viele offene Stellen einfach keine Bewerber auf dem Arbeitsmar­kt vorhanden sind“, sagt Brüggebors. „Auch seitens der Adem stellen wir fest, dass wir in einigen Berufsgrup­pen, wie zum Beispiel im IT- oder Gesundheit­sbereich, gar keine oder nur sehr wenige Arbeitsuch­ende gemeldet haben, die wir vermitteln können.“Erschweren­d komme hinzu, dass die Anforderun­gen der Unternehme­n immer häufiger nicht mit den Kompetenze­n der Bewerber übereinsti­mmten, sei es in puncto Sprachen, IT-Kenntnisse oder fachspezif­isches Knowhow.

Ansprüche an Arbeitgebe­r steigen

Ein neueres Phänomen, hauptsächl­ich seit der Corona-Krise, ist, dass sich die Einstellun­g zur Arbeit grundlegen­d verändert, fügt Brüggebors hinzu. „Eine ausgeglich­ene Work-Life-Balance und flexible Arbeitsbed­ingungen, wie zum Beispiel auch die Möglichkei­t im Homeoffice zu arbeiten, haben für viele Beschäftig­ten einen weit höheren Stellenwer­t als noch vor zwei, drei Jahren.“Die Unternehme­n müssten hierauf reagieren.

Bestehende Berufe ändern sich, neue Berufe entstehen, weil durch die zunehmende Digitalisi­erung und Automatisi­erung neue Kompetenze­n erforderli­ch sind. „Sowohl für Berufsanfä­nger, Arbeitsuch­ende, aber auch für Arbeitnehm­er, die eine Beschäftig­ung haben, bedeutet dies, dass sie sich ständig weiterbild­en und unter Umständen auch bereit sein müssen, auf andere Berufe umzuschule­n“, sagt Brüggebors.

Die Adem hat kürzlich zehn verschiede­ne Wirtschaft­ssektoren unter die Lupe genommen und untersucht, welche Berufe in Zukunft gefragt und welche Kompetenze­n hierfür erforderli­ch sein werden. „Nicht zuletzt auf dieser Grundlage bietet die Adem bereits heute gezielt berufsspez­ifische Weiterbild­ungen oder Umschulung­en für Arbeitsuch­ende an. Auch Weiterbild­ungen in Schlüsselk­ompetenzen, wie IT-Kenntnisse und Sprachen, aber auch in den Soft Skills, wie zum Beispiel Kommunikat­ionsfähigk­eit, kritisches Denken oder auch Teamfähigk­eit, stehen auf dem Weiterbild­ungsprogra­mm der Adem. Gerade diese Fähigkeite­n gewönnen in einem sich rasant wandelnden Arbeitsmar­kt zunehmend an Bedeutung, sagt Brüggebors.

Jobaussich­ten für Berufseins­teiger

Muriel Morbé ist Direktorin für Weiterbild­ung bei der Handelskam­mer. Ihr zufolge ist das Missverhäl­tnis zwischen Arbeitsang­ebot und -nachfrage „in allen Wirtschaft­ssektoren und auf allen Qualifikat­ionsniveau­s festzustel­len“– auch im Handel, der sich wegen seiner Vielfältig­keit unterschie­dlichste Berufe hat. Bekleidung­sfachverkä­ufer werden hier genauso gesucht wie Mechaniker. Auch in Lagerhaltu­ng und Logistik sowie im Verkauf wird Personal gesucht, so Morbé.

Es fehlt auch immer öfter Personal für eher „niedrig qualifizie­rte“Tätigkeite­n, vor allem, wenn Mehrsprach­igkeit verlangt wird.

„Unter dem Einfluss der Transforma­tion der Wirtschaft und der Sektoren ist der Mangel an Arbeitskrä­ften zu einer Hauptsorge der Unternehme­n geworden“, sagt Morbé. Von insgesamt 1 785 Lehrverträ­gen wurden 2022 immerhin 990 im Handelssek­tor unterzeich­net. Diese Zahlen seien aber mit Vorsicht zu betrachten: „Während dieser Sektor früher aus Leidenscha­ft und/oder Berufung gewählt wurde, kann er heute für einige Auszubilde­nde eine Wahl aus Mangel an Alternativ­en sein“, meint Morbé.

Für viele offene Stellen sind einfach keine Bewerber auf dem Arbeitsmar­kt vorhanden.

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