„Kölscher Karneval ist für mich das Liedgut und das Anarchische“
Schriftsteller Guy Helminger über die Faszination am Kölner Karneval
Was es mit dem kölschen Liedgut auf sich hat, wieso er Hunderte von Liedern (mit-)singen kann und weshalb er sich am Karneval in Köln jedes Jahr wieder ins bunte Treiben wirft, erklärt der Autor Guy Helminger im Wort-Interview.
Guy Helminger, Du* bist ja anscheinend ein leidenschaftlicher Karnevalist. Erst seitdem Du ,Imi‘ in Köln bist, oder hast Du schon in Luxemburg Karneval gefeiert? Es gibt ja große ‚Kavalkaden‘, etwa in Petingen, Esch/Alzette, Remich oder Diekirch, und auch Karnevalsvereine wie etwa in Vianden … Oder hattest Du in Luxemburg nichts mit Karneval am Hut?
Ja, ich liebe den Karneval. In Luxemburg hatte ich damit als Kind natürlich sehr viel am Hut. Ich habe noch Fotos aus Zeitungen, wo ich verkleidet rumlaufe, und das fand ich immer absolut toll. In der Pubertät ist das mit dem Karneval eingeschlafen. Später dann, gerade in der Punkzeit, wollte ich damit gar nichts zu tun haben. Es kam nach und nach wieder. So in den 1990ern ist es stärker geworden.
Ist der Karneval vielleicht auch etwas, das die Rheinländer mit den Luxemburgern im Frohsinn verbindet – gegen die „Preußen“, und damit meine ich das historische Preußen und seine Besatzungszeit, nicht die verunglimpfende Bezeichnung für alle Deutschen.
Ich sehe ja oft Verbindungen zwischen Köln und Luxemburg, aber was den Karneval anbelangt, bin ich mir nicht sicher. Den Luxemburger Karneval habe ich nur als Kind mitgekriegt, danach habe ich ihn nie wieder in Luxemburg gefeiert. Mir scheint aber, gerade, was die Umzüge angeht, der Luxemburger Karneval doch irgendwie braver zu sein. Im Kölner gibt es so viele Dimensionen ... Vielleicht tue ich den Luxemburgern da Unrecht. Aber es gibt ja hier in Köln eine sehr starke politische Komponente. Gibt es das so in Luxemburg?
Schmeckt Dir Kölsch? Bist Du in einem Karnevalsverein? Wie viele Orden hast Du schon?
(Lacht herzlich) Also Kölsch find ich lecker. Ich bin in keinem Karnevalsverein, und ich habe auch keine Karnevalsorden.
Was ist sonst so faszinierend am Karneval in Köln? Der Rausch der Freiheit? Von einem Literaten würde man ja nicht unbedingt erwarten, dass er sich ins bunte Treiben wirft. Dem haftet ja auch zum Teil etwas sehr Prolliges an; am Karneval fallen ja alle Hemmungen … Auf der anderen Seite hat der Karneval ja auch in der Literatur eine Tradition – man denke an Goethes Faust II …
Natürlich hat es was Rauschhaftes, aber für mich ist Karneval eben nicht: da fallen die Hemmungen, da säuft man. Das ist eine periphere Komponente, das ist nicht Karneval. Das hast Du auch bei Hochzeiten, bei Geburtstagen. Für mich ist Karneval das Zusammen-Singen, also dieses Liedgut, das es hier in Köln gibt – das sind tausende Lieder. Ein Lied wird angestimmt und 99 Prozent der Leute wissen, was jetzt kommt und singen mit. Das finde ich wirklich unfassbar. Also das ist für mich wirklich Karneval schlechthin. Die andere Sache, die ich eben sehr mag, ist dieses Anarchische, also, dass man alles auf den Kopf stellt, dass es die herkömmliche Ordnung so nicht mehr gibt, sondern alles ein bisschen gesprengt wird.
Ist das so oft im Karneval beschworene soziale Grenzen überschreitende Miteinander „in unserm Veedel“mehr ein Mythos, an dem sich die Kölner berauschen oder gibt es das wirklich? Führt also das gemeinsame Saufen, Singen und Tanzen zur (Völker-) Verständigung?
Es ist wie bei all diesen Dingen. Es ist temporär. Man muss jetzt nicht meinen, dass die Kölner bessere Menschen wären, weil sie Karneval haben. Aber ich glaube tatsächlich, dass in dem Moment, wo man so zusammen singt, es einen temporären Zusammenhalt gibt, der plötzlich entsteht, und alle sind gerührt und liegen sich in den Armen. Das ist schon etwas, was eine starke soziale Komponente über die Emotionen hat. Ob das dann nicht am Aschermittwoch schon wieder vergessen ist, ist was ganz anderes. Aber ich glaube schon, dass es etwas sehr, sehr Verbindendes hat, vor allem über das Singen und die Musik.
Wie hast Du zum Karneval gefunden? Hast Du entsprechende Lieder wie „Ma hat ma Glück, ma hat ma Pech, Mahatma Gandhi ...“auch bewusst gelernt? Ist das nicht etwas bekloppt, solche Gassenhauer zu grölen?
Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen Kölscher Musik und Ballermann-Musik. Und diese komplett unsinnigen Dinger, die singe ich gar nicht mit. In den Kölschen Kneipen, in denen ich Karneval
Von den 400 Auftritten, die das Dreigestirn und die „Korps“haben, dienen bestimmt 80 Prozent karitativen Zwecken. Diesen Aspekt muss man auch sehen. Guy Helminger
feiere, laufen die auch nicht. Was läuft sind Songs wie „En unserem Veedel“, in dem das soziale Miteinander wiederbelebt wird. Oder das Lied „Mer losse d'r Dom en Kölle“, das mit der Stadtsanierung zu tun hat, „Dat Wasser vun Kölle es jot“hat was damit zu tun, dass das Wasser in Köln sehr schlecht war, oder „Unsere Stammbaum“hat damit zu tun, dass man gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit natürlich ein Lied gemacht hat: „Nein, wir gehören alle zusammen. Wir sind alle irgendwann hierhergekommen.“
Das heißt, es gibt sehr oft so eine soziale oder eine gesellschaftsorientierte Komponente in diesen Liedern – natürlich gibt es auch ganz einfach lustige Sachen dabei.
Das klingt schön und auch plausibel, auf der anderen Seite gibt es ja auch die verstaubten Büttenreden 'alter weißer Männer' mit leicht bekleideten Funkemariechen, Komikern wie Guido Cantz und Ballermann. Das ist ja trotzdem auch Karneval … Ist das die Seite vom Karneval, die Dich weniger interessiert?
Ich würde auch diesen offiziellen Karneval ein bisschen differenzierter sehen wollen … Ich bin da nie involviert gewesen, eine Zeit lang hatte der etwas Staubiges, ja. Aber wenn Du Dir heute verschiedene Redner anguckst – die sind extrem frech, und da sind schon gute Sachen dabei. Aber das ist nicht das, was mich wirklich interessiert.
Was das Dreigestirn betrifft oder die ganzen „Korps“, auch Funken genannt – da muss man auch sehen, was für einen karitativen Zweck die erfüllen. Von den 400 Auftritten, die die haben, dienen bestimmt 80 Prozent karitativen Zwecken. Da gehen die zu Obdachlosenheimen, zu Altenheimen und geben wahnsinnig viel Geld dafür aus. Diesen Aspekt muss man auch sehen.
Auf der anderen Seite kann man auch viel kritisieren. Es sind Männerbünde, wo Frauen keinen Zugang haben, aber dafür haben sich natürlich jetzt Frauenbünde gegründet. Ich bin zum Beispiel dafür, dass das Dreigestirn sich abwechselt, dass das mal aus drei Frauen besteht und dann wieder aus drei Männern.
Was die Sitzungen angeht: Man hat ja mittlerweile die Prinzensitzungen, die Stunksitzungen, eine eigene Sitzung von (der Fernsehmoderatorin und Komikerin, A.d.R.) Carolin Kebekus – es sind viele Alternativen geschaffen worden. Und das ist genauso mit der Musik, die sich durchaus verändert hat, man denke nur an Brings (A. d. R.: eine kölsche Band). Also, es wurde schon immer mehr entstaubt.
Welche Verkleidung hast Du denn dieses Jahr ausgewählt? Auf dem Foto siehst Du aus wie eine Frau … war das eine bewusste Entscheidung? Wie lange im Voraus überlegst Du Dir Dein Kostüm?
Bei mir ist das immer irgendwie zusammengewürfelt. Man kann ja nicht jedes Jahr das Gleiche tragen. Mal sehe ich so ein bisschen cyberpunkmäßig aus, einmal eher piratenmäßig. Ich ziehe einfach Dinge an, die ich sonst nicht anziehe, setzte mir eine Perücke auf, weil ich keine Haare mehr hab …
Es ist für mich kein Zurschaustellen der eigenen Person, sondern es ist einfach das Feiern, ich freu mich darauf. Wenn ich in den Tagen vor Weiberfastnacht Auto fahre, höre ich mir die neuen Lieder dauernd an und kann die Lieder dann auch, wenn es drauf ankommt. Ich kann bestimmt Hunderte mitsingen.
Wo feierst Du denn in der Regel und wie lange brauchst Du dann im Regelfall, um Dich von Deinem Karnevalkater zu erholen …?
(Lacht sich wieder kaputt) Ich habe meine festen Tage. Donnerstag bin ich immer in meiner Stammkneipe. Freitag – das hängt davon ab, also da hab ich auch schon Ruhetage gemacht, da gehen wir oft irgendeinen „Zoch“gucken. Ich war auch sehr oft bei
„Bei Oma Kleinmann“. Das ist so ein richtig traditioneller Laden, wo eben nur diese Kölsche Musik läuft. Ansonsten geh ich dieses Jahr Samstag in den „Weißen Holunder“, das ist auch ne Traditionskneipe. Am Montag geht’s dann auf den großen Rosenmontagszoch, wenn ich noch kann.
Es sind Männerbünde, wo Frauen keinen Zugang haben, aber dafür haben sich natürlich jetzt Frauenbünde gegründet. Guy Helminger
Na dann: Alaaf! Oder: Helau …?
Hier Helau zu sagen – darauf steht Gefängnis. In Köln natürlich: „Kölle Alaaf!“