Ein Leben wie ein 400–Meter-Lauf
Ein Nachruf auf den verstorbenen Rekordläufer und früheren FLA-Präsidenten Mil Jung
Die Luxemburger Leichtathletikszene trauert. Emile Jung, der stets Mil genannt wurde, ist am 12. Februar nach einem erfüllten Leben im Alter von 73 Jahren verstorben. Dass ein Leben erfüllt gewesen ist, schreibt man eigentlich über jemanden, der im Alter jenseits der 80 Lebensjahre das Zeitliche gesegnet hat. Für Jung, den Rast- und Ruhelosen, den begnadeten Redner, der stets unter Spannung zu stehen schien, ist das Prädikat „erfüllt“aber angebracht.
Eine ausgemachte intellektuelle Neugier zeichnete den gelernten Französisch-Lehrer, der als Student bei einer Gruppe der JEC (Jeunesse étudiante catholique) mit Leidenschaft Theater spielte, in seiner beruflichen Karriere aus. Dies als Professor, als hoher Beamter im Bildungsministerium und bis zu seiner Pensionierung als Direktor des staatlichen Service information et presse (SIP).
Begnadete Sommersaison 1969
Fast sinnbildlich für seinen Impuls, stets das Neue zu suchen, nie zu lange auf einem bestimmten Posten zu verharren, dort aber dauerhafte Impulse zu setzen, steht die relativ kurze, aber glanzvolle Karriere des Leichtathleten Jung.
Bei der hauptstädtischen Spora entpuppte er sich schnell als der „geborene“400–Meter-Läufer. Diese Strecke ist gewissermaßen eine hybride Distanz, nicht Sprint, aber auch noch nicht Mittelstrecke. Im Unterschied zu den längeren Strecken spielt Taktik bei den Viertelmeilern kaum eine Rolle. Wie im Sprint geht es darum, vom ersten Meter an mit vollem Einsatz zu laufen, mit der nicht gerade angenehmen Gewissheit, dass die letzten 100 m sehr wehtun werden.
Jung hat diese Quälerei für Luxemburger Verhältnisse fast bis zur Perfektion beherrscht. An seinem weiterhin gültigen nationalen Rekord von 47''4, aufgestellt am 16. August 1969 in Font-Romeu (F) haben sich Generationen von 400-m-Spezialisten die Zähne ausgebissen. Überhaupt war 1969 das Jahr, in dem Jung groß rausgekommen ist. In jener Sommersaison hat der SporaAthlet den Luxemburger 400-m-Rekord gleich dreimal verbessert – zweimal davon bei Meetings im Ausland. Anfang Juni unterbot er die Bestmarke bei einer Studentenveranstaltung in Turin (auf 48''1), Ende Juli im hauptstädtischen Stadion (auf 47''8) und dann eben in Font-Romeu.
Jüngster FLA-Präsident
Das Thema Olympische Spiele wurde nie konkret für Jung, es blieb bei der Selektion für die EM 1969 in Athen. Zum einen ließen seine Leistungen nach (persönliche Bestzeit im Jahr 1970: 48''0), außerdem waren die Kriterien des Luxemburger Olympischen Komitees für München 1972 so streng, dass Ende 1970 kein einziger Leichtathlet unter den „Probables“figurierte.
Jung hatte seine aktive Karriere damals bereits weitestgehend hinter sich gelassen. Er erdreistete sich sogar, im Verbandsorgan „Athlétisme“die Kaderpolitik des damaligen COL so drastisch zu kritisieren, dass der FLA-Verbandsvorstand es für angebracht hielt, darauf hinzuweisen, dieser Meinungsartikel gebe keineswegs die Ansicht des Comité-directeur wieder. Schon bald integrierte Jung ebendieses und wurde im Januar 1979 Präsident – mit erst 29 Jahren.
Während seines fast elfjährigen FLA-Vorsitzes signierte er das Editorial, abwechselnd mit seinem Generalsekretär Emile Thoma, beide meinungsstark, beide kompromisslose Verfechter der olympischen Sportart Nummer eins. Gewissermaßen als Kirsche auf der Torte des „Athlétisme“konnte Jung Jean-Pierre Kraemer (genannt Japp) als Mitarbeiter des Verbandsorgans gewinnen, als Autor einer Chronik, die – selbstverständlich auf Französisch – die Ästhetik der Sportart Leichtathletik zelebrierte.
Bei einem 400-m-Lauf lassen die Kräfte auf der Zielgeraden nach. Vor der Zeit ist nun Mil Jung hingeschieden, nach Jahren, in denen seine Kraft, vor allem die geistige, zuletzt abgenommen hat. Die Erinnerung an einen der Großen der Luxemburger Leichtathletik wird bleiben.