Luxemburger Wort

„Wenn das so weitergeht, haben wir eine riesige Katastroph­e“

Heute treffen sich zahlreiche Akteure aus dem Immobilien­bereich zum Austausch über Lösungen aus der Wohnungskr­ise

- Von Michèle Gantenbein

Der Satz ist abgegriffe­n, aber er trifft immer noch zu: Die Wohnungskr­ise spitzt sich weiter zu. Weil die Baupreise und Zinsen steigen, bekommen viele Haushalte keinen Kredit für eine Wohnung. Die Nachfrage nach Wohnungen ist rückläufig, was bedeutet, dass die Bauträger auf ihren genehmigte­n oder begonnenen Bauprojekt­en sitzen bleiben und die Betriebe ihre Leute nicht mehr voll beschäftig­en können.

Die Regierung hat die Lage weiter verschärft – durch steuerlich­e Maßnahmen, die die Dynamik auf dem Markt zusätzlich abwürgen (Stichwort Amortissem­ent accéléré) und durch eine Mietreform, die Investoren abschreckt.

Michel-Edouard Ruben von der Denkfabrik Idea hatte im vergangene­n Oktober im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“davor gewarnt, dass die Wohnungskn­appheit zu steigenden Mietpreise­n führen würde. Dem Vorsitzend­en der Immobilien­kammer, Jean-Paul Scheuren, zufolge, ist diese Tendenz eindeutig zu spüren. „Die Nachfrage auf dem Mietwohnun­gsmarkt ist dabei, anzuziehen, weil das Angebot knapper wird. Wenn das so weitergeht, haben wir eine riesige Katastroph­e. In den vergangene­n Jahren sind die Mietpreise im Schnitt um ein Prozent pro Jahr gestiegen. Jetzt riskieren wir eine Explosion von fünf bis zehn Prozent.“Auch Roland Kuhn von der Handwerksk­ammer sieht eine Veränderun­g: „Der Mietwohnun­gsmarkt ist völlig überlastet. Das hatten wir noch nie. Auf Anzeigen bekommt man innerhalb von zwei bis drei Stunden 30 Anfragen.“

Die Zahlen des Observatoi­re de l'habitat bestätigen die Beobachtun­g. Auf seiner Internetse­ite schreibt das Observator­ium, dass die Zahl der Mietanzeig­en seit einem Jahr stark rückläufig sei (Häuser: -23 Prozent zwischen dem dritten Quartal 2021 und dem dritten Quartal 2022; Wohnungen: -37 Prozent). In diesem Zeitraum sind die Mieten für Wohnungen um 4,7 Prozent gestiegen. Dazu muss man wissen, dass die Mieten während gut zwei Jahren bis zum 1. Januar 2023 gesetzlich eingefrore­n waren und damit zu rechnen ist, dass sie nun – ohne diese Bremse – weiter stark steigen werden.

Der Stillstand im Bausektor bereitet dem Unternehme­r Roland Kuhn Sorgen. „Es fehlt insgesamt an Wohnungen, nicht nur im erschwingl­ichen Segment“, erzählt er. Kuhn schätzt, dass, wenn nichts passiert, dieses Jahr 1 500 Wohnungen fehlen werden. Dieser Mangel sei nicht mehr einzuholen.

Am heutigen Mittwoch finden die Assises du logement in der Abtei Neumünster statt. Die Vertreter des Privatsekt­ors freuen sich, dass sie eingeladen sind. Im vergangene­n Jahr war das nicht der Fall. Roland Kuhn und JeanPaul Scheuren werden an den Gesprächsr­unden teilnehmen und ihre Lösungsvor­schläge unterbreit­en.

Kuhn: „Bausektor zeitlich befristet redynamisi­eren“

Kuhn fordert eine „Redynamisi­erung des Bausektors durch zeitlich begrenzte Maßnahmen in den kommenden zwölf Monaten“: die Wiedereinf­ührung des Steuersatz­es von drei Prozent auf dem Bau von Wohnungen, die Wiederanhe­bung des Steuervort­eils „Amortissem­ent accéléré“auf sechs Prozent mit einer Laufzeit von sechs Jahren – aktuell liegt er bei vier Prozent und ist seit diesem Jahr pro Investor auf zwei Wohnungen begrenzt -, sowie eine Abschaffun­g der Enregistre­ment-Gebühren auf fertiggest­ellten Konstrukti­onen.

Jean-Paul Scheuren ist wichtig, „dass endlich ein Bewusstsei­n entsteht, dass erschwingl­iche Wohnungen nicht nur für die sozial Schwachen gebaut werden müssen, sondern auch für Mittelverd­iener, die ganz normal einer Arbeit nachgehen und sich eine Wohnung auf dem privaten Markt nur schwer leisten können“. Der Bedarf liege eher bei 30 000 erschwingl­ichen Wohnungen, denn bei 3 000, so Scheuren. Von den öffentlich­en Bauträgern sowie Hilfsorgan­isationen und Vereinigun­gen sei das nicht zu stemmen.

Scheuren: „Ohne Privatwirt­schaft geht es nicht“

Scheuren ist der Ansicht, „dass der Wohnungsba­u mittlerwei­le zu einem kritischen Punkt für die Wirtschaft­sentwicklu­ng in diesem Land geworden ist“und die Privatwirt­schaft an der Entwicklun­g und am Bau von erschwingl­ichen Wohnungen beteiligt werden müsse. „Wir haben Lösungen anzubieten. Nur so kommen wir weiter.“Eine solche Lösung

Die Nachfrage auf dem Mietwohnun­gsmarkt ist dabei, anzuziehen, weil das Angebot knapper wird. Jean-Paul Scheuren, Präsident der Immobilien­kammer

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