Putins Atomwaffenrede an die Nation
Russlands Präsident will den New-Start-Vertrag mit den USA über nukleare Abrüstung aussetzen
Zum großen Schlag holte Wladimir Putin am Ende der Ansprache aus: Die NATO verlange, dass Moskau im Rahmen des New-Start-Vertrages über die Begrenzung strategischer Atomwaffen wieder westliche Inspektionen russischer Kernwaffenanlagen zulasse.
„Das ist absurdes Theater. Wir wissen doch, dass westliche Fachleute und Technik an den Versuchen des Kiewer Regimes beteiligt waren, die Basen unserer strategischen Luftwaffe anzugreifen.“Umgekehrt aber ließen die USA keine vollwertigen Inspektionen der russischen Seite bei sich zu. Deshalb, erklärte Putin, setze er die Teilnahme am New Start-Vertrag aus.
Dass Putin am Dienstag den letzten großen Abrüstungsvertrag zwischen Russland und den USA auf Eis gelegt hat, war mehr als nur die Schlusspointe seiner jährlichen Rede an Staatsduma und Föderationsrat. Das erst 2021 auf fünf Jahre verlängerte Vertragswerk beschränkt die Zahl atomarer Sprengköpfe der USA und Russland auf 1 550 sowie auf 800 Trägersysteme und war fast 32 Jahre in Kraft.
Jetzt stellt Putin ein neues Wettrüsten in Aussicht, allerdings mit Vorbehalt: Er habe das Verteidigungsministerium angewiesen, alles für Atomtests vorzubereiten, diese werde man aber erst durchführen, wenn die Amerikaner nukleare Sprengsätze erprobten. Russland sei bereit, den Vertrag neu zu verhandeln. „Doch vorher müssen wir uns Klarheit verschaffen, was Länder wie Frankreich oder Großbritannien vorhaben und wie wir ihre strategischen Arsenale, also das gesamte Angriffspotential der NATO, zu bewerten haben.“
Schon vor Putins 105-Minuten-Ansprache im Moskauer Gostiny Dwor wurde darüber spekuliert, mit welchen Worten er versuchen werde, Joe Bidens Auftritte in Kiew und in Warschau verbal zu toppen. „Einige Experten haben vorhergesagt, dass er den Ausstieg aus dem New-StartVertrag verkünden will, um dem Gegner Angst einzujagen“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk. „Solche Drohungen mögen beim heimischen TV-Publikum Eindruck machen, aber in der Welt hat man sich daran gewöhnt, dass Putin mit Atomwaffen winkt.“Es sei kaum zu erwarten, dass Russland jetzt beginne, ballistische Nuklearraketen am Fließband zu produzieren. „Die Industrie hat genug damit zu tun, ausreichend Artilleriegeschosse für die Front zu liefern.“
Verteidigungsminister Sergei Schoigu war übrigens in Zivil erschienen, er hörte von seinem Präsidenten kriegerische Worte. „Es ist unmöglich, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen.“Allerdings vermied Putin Einzelheiten über die äußerst zähen Kämpfe in der Ukraine. Dafür wiederholte er noch einmal seine üblichen Vorwürfe gegen den Westen: Der hätte bei allen Friedensverhandlungen zum Donbass mit gezinkten Karten gespielt und den russischen Feldzug gegen die Ukraine unvermeidlich gemacht. „Sie haben den Krieg entfacht, wir setzen unsere Kräfte ein, um ihn zu beenden.“Je mehr weitreichende Geschütze der Westen liefere, umso mehr sei man gezwungen, diese Drohung von Russlands Grenzen zu entfernen.
Kostspielige Versprechen
Putin verkündete, die eigenen Atomstreitkräfte seien zu 91,3 Prozent mit neuesten Waffensystemen versehen, nun gelte es, dieses Niveau bei allen anderen Waffengattungen zu erreichen. Gleichzeitig verkündete er, man werde den Mindestlohn um 18,5 Prozent auf 19 242 Rubel (242 Euro) erhöhen, versprach jedem UkraineVeteranen einen eigenen Sozialbetreuer, außerdem staatlich subventionierte Mietwohnungen für Rüstungsarbeiter sowie 400 neu gebaute Schulen in diesem Jahr. Putins Rede dürfte das staatliche Haushaltsdefizit, das diesen Januar 1,776 Billiarden Rubel (22,3 Milliarden Euro) betrug, kaum verringern. „Wir haben alles, um unsere Sicherheit zu gewährleisten und die Voraussetzungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu schaffen“, versicherte er.
Laut RIA Nowosti wurde Putin 53 mal durch Applaus unterbrochen, viermal erhob sich das Publikum dazu. Besonders heftig klatschte der Saal, als Putin den zaristischen Premierminister Pjotr Stolypin zitierte. „Wir alle müssen unsere Bemühungen, Pflichten und Rechte vereinigen, um das höchste historische Recht Russlands zu unterstützen: stark sein!“Das hatte Stolypin im Jahr 1910 gesagt, sieben Jahre, bevor die Monarchie zusammenbrach.