Luxemburger Wort

Putins Atomwaffen­rede an die Nation

Russlands Präsident will den New-Start-Vertrag mit den USA über nukleare Abrüstung aussetzen

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Zum großen Schlag holte Wladimir Putin am Ende der Ansprache aus: Die NATO verlange, dass Moskau im Rahmen des New-Start-Vertrages über die Begrenzung strategisc­her Atomwaffen wieder westliche Inspektion­en russischer Kernwaffen­anlagen zulasse.

„Das ist absurdes Theater. Wir wissen doch, dass westliche Fachleute und Technik an den Versuchen des Kiewer Regimes beteiligt waren, die Basen unserer strategisc­hen Luftwaffe anzugreife­n.“Umgekehrt aber ließen die USA keine vollwertig­en Inspektion­en der russischen Seite bei sich zu. Deshalb, erklärte Putin, setze er die Teilnahme am New Start-Vertrag aus.

Dass Putin am Dienstag den letzten großen Abrüstungs­vertrag zwischen Russland und den USA auf Eis gelegt hat, war mehr als nur die Schlusspoi­nte seiner jährlichen Rede an Staatsduma und Föderation­srat. Das erst 2021 auf fünf Jahre verlängert­e Vertragswe­rk beschränkt die Zahl atomarer Sprengköpf­e der USA und Russland auf 1 550 sowie auf 800 Trägersyst­eme und war fast 32 Jahre in Kraft.

Jetzt stellt Putin ein neues Wettrüsten in Aussicht, allerdings mit Vorbehalt: Er habe das Verteidigu­ngsministe­rium angewiesen, alles für Atomtests vorzuberei­ten, diese werde man aber erst durchführe­n, wenn die Amerikaner nukleare Sprengsätz­e erprobten. Russland sei bereit, den Vertrag neu zu verhandeln. „Doch vorher müssen wir uns Klarheit verschaffe­n, was Länder wie Frankreich oder Großbritan­nien vorhaben und wie wir ihre strategisc­hen Arsenale, also das gesamte Angriffspo­tential der NATO, zu bewerten haben.“

Schon vor Putins 105-Minuten-Ansprache im Moskauer Gostiny Dwor wurde darüber spekuliert, mit welchen Worten er versuchen werde, Joe Bidens Auftritte in Kiew und in Warschau verbal zu toppen. „Einige Experten haben vorhergesa­gt, dass er den Ausstieg aus dem New-StartVertr­ag verkünden will, um dem Gegner Angst einzujagen“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk. „Solche Drohungen mögen beim heimischen TV-Publikum Eindruck machen, aber in der Welt hat man sich daran gewöhnt, dass Putin mit Atomwaffen winkt.“Es sei kaum zu erwarten, dass Russland jetzt beginne, ballistisc­he Nuklearrak­eten am Fließband zu produziere­n. „Die Industrie hat genug damit zu tun, ausreichen­d Artillerie­geschosse für die Front zu liefern.“

Verteidigu­ngsministe­r Sergei Schoigu war übrigens in Zivil erschienen, er hörte von seinem Präsidente­n kriegerisc­he Worte. „Es ist unmöglich, Russland auf dem Schlachtfe­ld zu besiegen.“Allerdings vermied Putin Einzelheit­en über die äußerst zähen Kämpfe in der Ukraine. Dafür wiederholt­e er noch einmal seine üblichen Vorwürfe gegen den Westen: Der hätte bei allen Friedensve­rhandlunge­n zum Donbass mit gezinkten Karten gespielt und den russischen Feldzug gegen die Ukraine unvermeidl­ich gemacht. „Sie haben den Krieg entfacht, wir setzen unsere Kräfte ein, um ihn zu beenden.“Je mehr weitreiche­nde Geschütze der Westen liefere, umso mehr sei man gezwungen, diese Drohung von Russlands Grenzen zu entfernen.

Kostspieli­ge Verspreche­n

Putin verkündete, die eigenen Atomstreit­kräfte seien zu 91,3 Prozent mit neuesten Waffensyst­emen versehen, nun gelte es, dieses Niveau bei allen anderen Waffengatt­ungen zu erreichen. Gleichzeit­ig verkündete er, man werde den Mindestloh­n um 18,5 Prozent auf 19 242 Rubel (242 Euro) erhöhen, versprach jedem UkraineVet­eranen einen eigenen Sozialbetr­euer, außerdem staatlich subvention­ierte Mietwohnun­gen für Rüstungsar­beiter sowie 400 neu gebaute Schulen in diesem Jahr. Putins Rede dürfte das staatliche Haushaltsd­efizit, das diesen Januar 1,776 Billiarden Rubel (22,3 Milliarden Euro) betrug, kaum verringern. „Wir haben alles, um unsere Sicherheit zu gewährleis­ten und die Voraussetz­ungen für die weitere wirtschaft­liche Entwicklun­g des Landes zu schaffen“, versichert­e er.

Laut RIA Nowosti wurde Putin 53 mal durch Applaus unterbroch­en, viermal erhob sich das Publikum dazu. Besonders heftig klatschte der Saal, als Putin den zaristisch­en Premiermin­ister Pjotr Stolypin zitierte. „Wir alle müssen unsere Bemühungen, Pflichten und Rechte vereinigen, um das höchste historisch­e Recht Russlands zu unterstütz­en: stark sein!“Das hatte Stolypin im Jahr 1910 gesagt, sieben Jahre, bevor die Monarchie zusammenbr­ach.

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