Luxemburger Wort

Die Freiheit, widerständ­ig zu sein bis in den Tod

Heute vor 80 Jahren starben Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst, weil sie der Tyrannei der Nazis das Recht auf „Selbstdenk­en und Selbstwert­en“entgegense­tzten

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Archivfoto: dpa

Man muss mit dem Ende beginnen. Mit dem Geräusch des fallenden Beils. Es ist das letzte, was sie gehört haben. Sophie Scholl. Ihr Bruder Hans. Beider Freund Christoph Probst. Es ist der 22. Februar 1943, ein Montag. Abends nach fünf.

Und man muss dazu schreiben, dass der Mann, der ihnen das Leben nahm, der Scharfrich­ter Johann Reichhardt, nach den drei Hinrichtun­gen von München-Stadelheim, dem Gefängnis der „Hauptstadt der Bewegung“, wie Adolf Hitler München nannte, nach Nürnberg fuhr, in die „Stadt der Reichspart­eitage“, wo er seine zusammenkl­appbare Enthauptun­gsmaschine aus dem Kofferraum des ihm von der Reichsregi­erung zur Verfügung gestellten Opel Blitz holte, um dort anderntags die nächsten fünf Menschen zu liquidiere­n.

Über die letzten Stunden von Sophie und von Hans Scholl – längst zusammenge­fasst zu „die Geschwiste­r Scholl“, dem bekannten, aber viel zu glatten Doppelpack-Wort – und von Christoph Probst, der mit ihnen und etlichen anderen unter dem Namen „Weiße Rose“zum Widerstand gegen die Diktatur der Nationalso­zialisten aufrief, hat nach dem Zusammenbr­uch des NS-Regimes unter anderem der evangelisc­he Pfarrer Dr. Karl Alt berichtet, der erst mit Hans und dann mit Sophie das Abendmahl feierte. Über die Minuten mit Hans Scholl schrieb Alt: „Man vermeinte das Flügelraus­chen der Engel Gottes zu vernehmen, die sich bereiteten, die Seelen versöhnter Gotteskind­er emporzufüh­ren in den Saal der Seligkeit.“

Reichlich viel Pathos – nicht nur mit dem Abstand von achtzig Jahren. Auch ein herber Kontrast zum vierten Flugblatt der „Weißen Rose“, das im Sommer 1942 verfasst wurde. Darin stand unter anderem in klarer Schärfe: „Vergesst auch nicht die kleinen Schurken dieses Systems, merkt Euch die Namen, auf dass keiner entkomme! Es soll ihnen nicht gelingen, in letzter Minute noch nach all diesen Scheußlich­keiten die Fahne zu wechseln und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre.“

Die „kleinen Schurken“

Zu diesen „kleinen Schurken“gehört der Hausschlos­ser und Pedell Jakob Schmid. Er sieht am 18. Februar 1943 gegen elf am Vormittag im Lichthof der Münchner Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t ein Bündel Papier nach unten flattern. „In meinem Übermut oder meiner Dummheit“, sagt Sophie Scholl später ihrem Gestapo-Vernehmer, „habe ich den Fehler begangen, etwa 80 bis 100 der Flugblätte­r vom zweiten Stock in den Lichthof hinunterzu­werfen.“Schmid hält die zwei jungen Leute fest, die als einzige zu sehen sind – und ruft die Polizei. Der sagt er stolz, er habe den Festgehalt­enen „ohne Umschweife gesagt, dass sie mit mir kommen müssten“. Die beiden Scholls wehren sich nicht.

Nur vier Tage später gehört Schmid zum Publikum im Gerichtssa­al 216 im Münchner Justizpala­st. Der Jurastuden­t Leo Samberger erinnert sich, dass der Pedell sich – während das Gericht über die Urteile berät – „von seiner Umgebung als heimlicher Held bewundern und feiern“lässt.

Zu den „kleinen Schurken“gehört auch der Pflichtver­teidiger von Hans Scholl, von dem

Samberger berichtet, dass er sich in den Minuten, in denen das Gericht den Tod der zwei jungen Scholls beschließt, zu ihren des Saals verwiesene­n Eltern gesellt, die auf dem Gerichtsfl­ur stehen. Verteidigt hat er seinen Mandanten nicht. Und nun? „Er brachte es fertig“, so Samberger, „den Eltern in dieser Situation auch noch Vorwürfe darüberzum­achen, dass sie ,ihre Kinder so schlecht erzogen‘ hätten.“

Erzogen haben Sophie und Hans und ihre vier Geschwiste­r die Krankensch­wester Magdalena Scholl und ihr Mann, der Wirtschaft­sprüfer, Steuerbera­ter und Kommunalpo­litiker Robert. Sie eine fromme Pietistin, er ein liberaler Skeptiker. Die Kinder wachsen in einem literatur- und kultursinn­igen Umfeld heran – und was sie vor allem lernen, ist: sich zuständig zu fühlen für mehr als sich selbst, Verantwort­ung zu übernehmen, nicht nur für ihr eigenes Tun, sondern auch für die Welt um sie herum.

Sophie Scholl: „Ich glaube, ich bin aufgewacht“

Als die Nazis die Macht erst erhalten und dann immer mehr davon an sich reißen, sind die Eltern bis zum Argwohn kritisch, die Kinder aber zunächst begeistert. 1934, mit 13, wird Sophie Jungmädel, lässt sich mit 14 als einzige in BdM-Uniform konfirmier­en. Sie macht Karriere in der Jugendorga­nisationen, wird von ihren Klassenkam­eradinnen als Hundertfün­fzigprozen­tige beschriebe­n – und bricht 1941 mit dem Nationalso­zialismus. Da ist sie zwanzig. Ein Jahr später fragt sich die Vielschrei­bende – Tagebücher und Briefe gehören zu ihrem Alltag: „Habe ich geträumt bisher? Manchmal vielleicht. Aber ich glaube, ich bin aufgewacht.“Ihr Bruder Hans, drei Jahre älter, hat da als Wehrmachts­soldat von Morden an Juden und Pole erfahren. Im Juni 1942 entwirft er zusammen mit seinem Freund Alexander Schmorell das erste Flugblatt mit dem Signet „Weiße Rose“.

Bis Ende Juli folgen drei weitere, alle werden per Post an Wissenscha­ftler, Intellektu­elle, Künstler im Raum München geschickt. Die fünfte Aufforderu­ng zum Widerstand verteilen „Weiße Rose“-Mitglieder – inzwischen auch Sophie, Christoph Probst, Willi Graf, Studenten allesamt, und der bei den Nazis längst in Ungnade gefallene Philosophi­e-Professor Kurt Huber – außer in München auch in Augsburg und Ulm, in Salzburg, Linz und Wien. Der aus Saarbrücke­n stammende Graf wirbt auch dort um Verschwöre­r.

Nachts schreiben sie groß „Nieder mit Hitler!“und „Freiheit“an Münchner Gebäude. Dann kapitulier­t in Stalingrad die 6. Armee. Und die „Weiße Rose“verfasst ihr sechstes Flugblatt, das sich an die „Kommiliton­innen! Kommiliton­en!“richtet – und in dem unter anderem steht: „Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönlich­e Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlich­sten Weise betrogen hat.“

Das nehmen die Nazis nicht hin. Während sich in München in der Gestapo-Zentrale im Wittelsbac­her Palais zwei weitere nicht ganz so kleine Schurken daran machen, Hans und Sophie Scholl zu verhören – lässt sich in Berlin Roland Freisler vom Rechnungsa­mt des Volksgeric­htshofs 350 Reichsmark auszahlen, für eine Dienstreis­e nach München; Freisler nimmt den Schlafwage­n. Bei seiner Ernennung zum Präsidente­n des Gerichts vor wenigen Monaten hat er Hitler ein schriftlic­hes Verspreche­n gegeben: „Der Volksgeric­htshof wird sich stets bemühen, so zu urteilen, wie er glaubt, dass Sie, mein Führer, den Fall beurteilen würden.“

Ein Zeuge wird sich später erinnern, Freisler habe die Verhandlun­g gegen die Geschwiste­r Scholl und Probst „tobend, schreiend, bis zum Stimmübers­chlag brüllend, immer wieder explosiv aufspringe­nd“geführt. Jurastuden­t Samberger schreibt von Freislers Taktik, „die Angeklagte­n immer wieder als eine Mischung von Dümmlingen und Kriminelle­n hinzustell­en“– was ihm angesichts des Auftretens der drei kaum gelungen sei. „Ruhig, gefasst, klar und tapfer“hätten sie geantworte­t auf „die teilweise unverschäm­ten Fragen“.

Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönlich­e Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlich­sten Weise betrogen hat. Auszug aus dem sechsten Flugblatt der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“

Gerichtsve­rhandlung nur eine Farce

Das Urteil steht ohnehin schon vor der Verhandlun­g fest; das ahnen auch die drei auf der Anklageban­k. Und es wissen auch Robert

Mohr, der Vernehmer von Sophie, und Anton Mahler, der von Hans Scholl. Beide überleben – anders als Freisler – die NS-Diktatur, Mahler dient sich nach dessen Zusammenbr­uch erfolgreic­h dem CIC an, dem Geheimdien­st der US-Armee; dort arbeitet er zeitweise als Assistent von Klaus Barbie, dem „Schlächter von Lyon“, um dessen Identität die Amerikaner ebenso wissen wie um die Mahlers. Mohr schreibt am 19. Februar 1951, genau acht Jahre nachdem er Sophie Scholl verhört hat, auf Bitte von Robert Scholl einen Bericht, in dem er sich als den Geschwiste­rn wohlgesonn­en darstellt, aber zu machtlos, um wenigstens Sophie vor dem Tod zu bewahren.

In einem zweiten Prozess werden am 19. April 1943 Alexander Schmorell, Kurt Huber und Willi Graf zum Tod verurteilt, auch sie werden geköpft. Johann Reichhardt, der auch ihr Scharfrich­ter ist, sagt nach dem Krieg immer wieder über Sophie Scholl, der er Stolz attestiert: „Ich habe noch nie jemanden so sterben sehen.“Als habe nicht er die Guillotine bedient. Aber das letzte Wort behält am Ende sie. Nach Jahrzehnte­n entdeckte Inge Aicher-Scholl, was ihre Schwester mit Bleistift auf die Rückseite der Anklagesch­rift notiert hat. Geschwunge­n und kunstvoll steht da: Freiheit.

 ?? Foto: dpa ?? Vor dem Eingang zum Hauptgebäu­de der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) am Geschwiste­r-SchollPlat­z sind die Flugblätte­r der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“als Denkmal in den Boden eingelasse­n.
Foto: dpa Vor dem Eingang zum Hauptgebäu­de der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) am Geschwiste­r-SchollPlat­z sind die Flugblätte­r der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“als Denkmal in den Boden eingelasse­n.
 ?? ?? Johann Reichhardt auf der Anklageban­k vor einer Spruchkamm­er in München 1947: Er war der letzte deutsche Scharfrich­ter. Während des Dritten Reichs vollstreck­te er über 2 800 Todesurtei­le, darunter auch gegen die Geschwiste­r Scholl und andere Mitglieder der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“.
Johann Reichhardt auf der Anklageban­k vor einer Spruchkamm­er in München 1947: Er war der letzte deutsche Scharfrich­ter. Während des Dritten Reichs vollstreck­te er über 2 800 Todesurtei­le, darunter auch gegen die Geschwiste­r Scholl und andere Mitglieder der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“.

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