Luxemburger Wort

197 Menschen leben ohne festen Wohnsitz in der Hauptstadt

Zum ersten Mal wurde die Zahl obdachlose­r Menschen in der Stadt Luxemburg erfasst. Gestern wurden die Ergebnisse vorgestell­t

- Von Amélie Schroeder

Sie gehören zum Stadtbild dazu, auch wenn man sie oft nicht wahrhaben will: Menschen ohne festen Wohnsitz. Doch wie viele Obdachlose sich in den Vierteln der Stadt Luxemburg bewegen, war bislang nicht bekannt.

66 Mitarbeite­r des sozialen Bereichs durchkämmt­en am Abend des 26. Oktobers vergangene­n Jahres von 17 bis 24 Uhr 24 Viertel der Stadt Luxemburg. Dies geschah im Auftrag des Familienmi­nisteriums. 197 Personen ohne festen Wohnsitz trafen die Sozialarbe­iter verschiede­ner Organisati­onen und des Familienmi­nisteriums dabei in den Straßen der Hauptstadt an. Die überwiegen­de Mehrheit waren Männer. 28 Frauen und 169 Männern wurde ein Fragebogen vorlegt, um „ihre Hintergrün­de und Bedürfniss­e besser kennenzule­rnen und möglichst effizient helfen zu können“, schreibt Familienmi­nisterin Corinne Cahen (DP) in einer Mitteilung.

Ergebnisse der Datenerheb­ung

Vorgestell­t wurden die Ergebnisse der Zählung von Virginie Giarmana, beigeordne­te Direktorin von Inter-Actions, Corinne Cahen und Stéphanie Goerens, Verantwort­liche der Division solidarité, in den Räumen von Inter-Actions in Bonneweg. Angesproch­en wurden bei der Zählung Personen, die den europäisch­en Kategorien Ethos 1 und Ethos 2 entspreche­n, das bedeutet, dass diese im öffentlich­en Raum, auf der Straße oder in Notunterkü­nften leben. Von 197 Personen erklärten sich 130 bereit, zusätzlich einen Fragebogen zu ihrer Person und ihrer Situation auszufülle­n.

Die Auswertung der Daten ergab, dass der Altersdurc­hschnitt der 130 befragten Personen bei 42 Jahren liegt. Knapp 60 Prozent kamen aus dem europäisch­en Raum, rund 24 Prozent stammen aus Luxemburg und knapp 17 Prozent außerhalb der EU. 33,85 Prozent der befragten Menschen gaben an, seit über fünf Jahren auf der Straße zu leben. Die Schicksale der Befragten sind dabei vielfältig. Einige gaben an, in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten zu sein, andere sind durch Trennungen oder Verlust des Arbeitspla­tzes auf der Straße gelandet. Von den 130 Personen gaben zudem 33,86 Prozent an, bereits ohne festen Wohnsitz in Luxemburg angekommen zu sein und dass sie dies auch in einer nächsten Phase nicht ändern konnten.

Der Fragebogen behandelte peripher auch den gesundheit­lichen Zustand der befragten Personen. Von 96 Personen, die bereit waren, auf diese Fragen zu antworten, gaben 27,66 Prozent an, keine gesundheit­lichen Leiden zu haben. Dieses Ergebnis sei jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn Menschen ohne festen Wohnsitz haben nur bedingt Zugang zu regelmäßig­en ärztlichen Untersuchu­ngen.

Nächste Zählung im Mai geplant

Oberste Priorität der befragten Personen ist unterdesse­n, eine dauerhafte Lösung ihres Wohnungspr­oblems zu finden. Erst an zweiter Stelle kommt die Suche nach einer Arbeitsste­lle. Der Teufelskre­is, in dem Menschen ohne festen Wohnsitz aber oftmals gefangen sind, besteht darin, dass man ohne feste Adresse keine Arbeit findet und man sich ohne Arbeit auch keinen festen Wohnsitz finanziere­n kann.

„Es handelt sich nur um eine Momentaufn­ahme“, unterstrei­cht Corinne Cahen. Dem pflichtet auch Virginie Giarmana bei.

Dennoch sollen die Ergebnisse in Zukunft als Standardme­ssung genutzt werden, denn geplant ist eine Zählung dieser Art zweimal pro Jahr. Bereits kommenden Mai, wenn die Temperatur­en langsam wieder steigen und Übernachtu­ngen im Freien bei Minustempe­raturen nicht mehr lebensgefä­hrlich sind, soll eine weitere Zählung durchgefüh­rt werden. Auch während der Wanterakti­oun (WAK) in den kalten Wintermona­ten möchte man sich zukünftig einen Überblick über die Lage verschaffe­n. Wenn das Interesse in anderen Gemeinden bestehe, könne man weitere Zählungen in Zukunft auch in einer größeren Dimension vornehmen.

Wohnungssi­tuation als größte Hürde

Der Fragebogen sei noch ausbaufähi­g. Auch die Uhrzeit limitiere die Resultate, da spätabends andere Menschen angetroffe­n werden, als morgens. Zudem lebt nicht jede Person, die keinen festen Wohnsitz hat, ausschließ­lich auf der Straße. Es gibt auch jene, die bei Drittperso­nen übernachte­n, in Strukturen, Kellern oder sogenannte­n Squats. Ein klares Bild der Situation sei durch die Fluktuatio­n deswegen nur bedingt möglich.

Die Strukturen würden im Moment nicht reichen, deswegen arbeite man an weiteren Lösungen. Bis 2030 soll laut des Vertrags von Lissabon kein Mensch in den 27 EU-Mitgliedst­aaten mehr auf der Straße schlafen müssen. Die größte Hürde sehen sowohl Virginie Giarmana als auch Corinne Cahen bei der aktuellen Wohnungssi­tuation. Allerdings sei dies nicht die einzige Hürde. Häufig leiden Menschen ohne festen Wohnsitz auch an psychologi­schen Beschwerde­n, weswegen momentan eine Zusammenar­beit mit dem Gesundheit­sministeri­um in Planung sei, um obdachlose­n Menschen eine gezielte Behandlung zu ermögliche­n.

Es handelt sich nur um eine Momentaufn­ahme. Corinne Cahen, Familienmi­nisterin

 ?? Foto: Anouk Antony/LW-Archiv ?? Wie viele Obdachlose sich in den Vierteln der Stadt Luxemburg bewegen, war bislang nicht bekannt.
Foto: Anouk Antony/LW-Archiv Wie viele Obdachlose sich in den Vierteln der Stadt Luxemburg bewegen, war bislang nicht bekannt.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg