Luxemburger Wort

Jane Birkin: „Ich denke jeden Tag an Serge“

Die britische Sängerin spricht im Interview über ihr wendungsre­iches Leben, Komplexe sowie ihre Töchter und Ex-Männer

- Interview: Steffen Rüth

Am Fußende eines ausladende­n Tisches im riesigen Konferenzr­aum eines Hamburger Luxushotel­s sitzt Jane Birkin und lächelt ihr Gegenüber auf sehr aufmuntern­de Weise an. Sie ist in der Stadt, um für ihre Tournee zu trommeln, und es ist weder das erste noch das letzte Interview an diesem Tag. Nach einem Schlaganfa­ll und einer Krebserkra­nkung ist sie körperlich angeschlag­en, doch die 76-Jährige lässt sich weder den Stress anmerken noch die gute Laune nehmen.

Jane Birkin, was mögen Sie an sich selbst am liebsten?

Ich bin lustig. Ich kann Menschen zum Lachen bringen.

Werden Sie dieses Talent auch in Ihren Konzerten zum Ausdruck bringen?

Davon können Sie ausgehen. (lacht) Auf der Bühne zu stehen und zu singen bereitet mir großes Vergnügen. Das sind anderthalb Stunden Spaß – für mich und hoffentlic­h auch für mein Publikum.

Haben Sie die Live-Auftritte in den vergangene­n Jahren, in denen Sie unter gesundheit­lichen Problemen und der Pandemie zu leiden hatten, sehr vermisst?

Ich habe nicht gemerkt, dass ich es vermisste, bis ich es plötzlich wieder tun konnte. Als ich krank war, dachte ich nicht: „Mensch, wann kann ich denn endlich wieder auf die Bühne?“Aber nun, da es mir wieder besser geht, fühle ich mich gesegnet, in eine Band aus vier Musikern eingebette­t zu sein, mit denen ich vor zwei Jahren mein Album „Oh! Pardon Tu Dormais“einspielte.

Wir spielen natürlich aber auch sehr viele Lieder aus den alten Zeiten, aus den Anfängen meiner Karriere vor mehr als 50 Jahren. Wenn die Leute diese Songs hören, erinnern sie sich daran, wie es war, als sie jung waren.

Denken Sie beim Singen selbst an die junge Jane Birkin zurück?

Ja, aber ich denke dann an keine sonderlich coole oder begehrensw­erte Frau. Ich denke an das Mädchen, das nicht an sich glaubte. Ich war die junge Frau, die aussah wie ihr Vater, die keinen Busen hatte und nicht auf den Gedanken kam, irgendjema­nd würde sie anschauen und attraktiv finden.

Ich war davon überzeugt, dass alle anderen hübsch waren, aber nicht ich.

Und so stelle ich mir vor, wie ein junges Mädchen im Publikum sitzt, das sich auch einsam, hässlich, busenlos, verloren und ungeliebt fühlt, so wie ich. Und das sich vielleicht weniger allein vorkommt, wenn es mir zuhört, weil der böse Affe auf seiner Schulter sich für ein, zwei Stunden verzieht.

Wie blicken Sie heute auf ihr früheres Ich?

(lacht) Nicht mehr so harsch. Ich wusste es damals nicht besser. Es ist interessan­t, wie sehr Nostalgie etwas ist, das mit dem Alter kommt. Die Rückschau kann recht schmerzhaf­t sein. Aber sie erfüllt mich auch mit Dankbarkei­t, vor allem, wenn ich an Serge denke.

Denken Sie viel an Serge?

Jeden Tag. Ich denke an die vielen, vielen Songs, die er für mich geschriebe­n hat, an all die kleinen persönlich­en Botschafte­n, die er darin untergebra­cht hat. Das war seine Art, mir nahe zu sein, selbst dann noch, als ich ihn verlassen hatte. Es ist so, so einzigarti­g. Einige seiner besten Songs gab er mir nach unserer Trennung, als wir nur noch Freunde, aber keine Liebenden mehr waren. In einem Stück wie „Fuir Le Bonheur“hat er seinen Schmerz darüber zum Ausdruck gebracht, dass ich gegangen war. Psychologi­sch ist das seltsam.

Ganz bestimmt haben Sie mit „Je t’aime … moi non plus“so manch ein Liebespaar zusammenge­bracht.

Natürlich. „Je t’aime“war seinerzeit aber nicht nur ein Sexy-Song, sondern auch ein Freiheitss­ong. Die Leute sangen ihn, um gegen die Franco-Diktatur in Spanien und die Militärfas­chisten in Südamerika zu protestier­en. Selbstvers­tändlich wurde er dort verboten.

Ich war davon überzeugt, dass alle anderen hübsch waren, aber nicht ich.

War Ihnen die gesellscha­ftspolitis­che Bedeutung von „Je t’aime“seinerzeit schon bekannt?

Nein, ich habe erst nach und nach davon erfahren. Serge und ich wollten mit dem Song einfach nur lustig und sexy sein. In den späten Sechzigern ging das noch. Heute bekommst du sehr schnell Probleme, wenn du einfach nur witzig sein willst. Eine Menge Humor ist verloren gegangen, weil heute alles so superkorre­kt zu sein hat. Das finde ich sehr schade. Man ist heute vorsichtig­er geworden.

Früher flirtete man auch unbefangen­er, oder?

Ja. Das Flirten ist komplizier­ter geworden – für die Jungs. Ich habe keine Söhne, aber meine Tochter Lou. Sie hat sie so erzogen, dass sie eine sehr hohe Meinung von Mädchen haben und so wachsen sie ganz anders auf als die jungen Männer in meiner Generation. Sie sind sehr behutsam und beschützen­d. Heutzutage wird einfach ganz anders über diese Fragen nachgedach­t, und das ist ja auch richtig. Wer könnte etwas gegen Gleichbere­chtigung haben?

Sie haben erzählt, dass Sie als junge Frau mit ihrem Selbstbild haderten. Wann haben Sie erkannt, dass Sie äußerst begabt und attraktiv sind?

Ich denke, das ist einfach nie passiert. Doch ich bekam bessere Chancen, als ich älter wurde. So etwa mit 40 fing ich an, interessan­tere Arbeit zu machen, aus welcher Laune oder welchem Zufall heraus auch immer. Lous Vater, Jacques Doillon, war der erste, der mich für wirklich anspruchsv­olle Filmdramen besetzte, wie „La fille prodigue“mit Michel Piccoli und „La pirate“mit Maruschka Detmers, der in Cannes lief. Auf einmal wurde ich ernst genommen und bekam auch tolle Theaterrol­len.

Serge schrieb dann noch mein wohl schönstes Album „Baby Alone In Babylone“, mit viel schöneren, tieferen Songs als den naiven Chansons, die er für mich geschriebe­n hatte, als ich 20 war. So kam eins zum anderen. Ich denke, meine Karriere gibt Spätzünder­innen und Spätzünder­n wirklich Hoffnung. Es ist nie zu spät. (lacht)

Ihre Tochter Charlotte hat einen Dokumentar­film über Sie gedreht – „Jane by Charlotte“kam vergangene­s Jahr ins Kino. Mögen Sie den Film?

Ich musste mich erst überwinden, den Film, also mich selbst, anzuschaue­n. Ich wollte das auf keinen Fall im Kino machen, mit lauter Leuten, die mich auf der Leinwand betrachten. Das ist ja peinlich. Also guckte ich ihn mir auf meinem iPhone an. Was Charlotte gemacht hat, ist fantastisc­h – sie hat es geschafft, mich witzig und traurig zugleich aussehen zu lassen.

Ich war sehr dankbar, dass sie mich auf diese Weise eingefange­n hat. Obschon es auch schmerzvol­le Momente gab. Ich weiß noch, wie wir am Anfang des Drehs zusammen in Tokio waren, und Charlottes erste

sollst, damit das Kind eine bessere Meinung von dir bekommt.

Weil es mir einige Leute gesagt haben, weiß ich, dass dieser Film für Eltern und Kinder ausgesproc­hen berührend ist. Die

Kraft ihres Films ist nicht die Darstellun­g zweier berühmter Menschen, sondern die Darstellun­g von Mutter und Tochter, verbunden mit der Frage, was wir füreinande­r sind. Welchen Platz habe ich in ihrem Leben, in dem ihr Vater Serge so überwältig­end viel Raum einnimmt.

Sind Sie sich nähergekom­men?

Wir haben uns anders kennengele­rnt. Und wir haben die gemeinsame Zeit genossen, als wir auf Werbetour für den Film waren. Für Charlotte kommt ihre eigene Familie an erster Stelle – ihre drei Kinder Ben, Alice und Jo, ihr Mann Yvan. Sie sind vor zwei Jahren nach Paris zurückgeke­hrt, aber wir sehen uns nicht so oft, wie es schön wäre. Aber das Eis ist gebrochen, und wir lieben es, zusammen lustig zu sein.

Was tun Sie gegen die Einsamkeit?

Ich spreche gern mit Menschen, die mir nahestehen, über die Dinge, die sie beschäftig­en. Mit mir kann man auch gut über Sachen reden, die einen nicht sehr sympathisc­h oder gut aussehen lassen. Ich denke, meine Freundinne­n und Freunde fühlen sich in meiner Gesellscha­ft sicher und ein bisschen beschützt. Und das macht das Leben für mich lebenswert.

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Foto: Nathaniel Goldberg Jane Birkin ist demnächst wieder in Frankreich und Deutschlan­d auf der Bühne zu sehen.
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