Die Welt drängt in der Russland-Frage auf eine Entscheidung
Das Internationale Olympische Komitee spielt auf Zeit – und erntet nicht nur Kritik aus der Ukraine
Die ganze Welt drängt, doch das IOC spielt auf Zeit. In der Frage, ob Russland und Belarus Teams zu den Olympischen und Paralympischen Spielen 2024 nach Paris schicken dürfen, sei noch keine Entscheidung gefallen, teilte das Internationale Olympische Komitee am Montag mit. Derzeit werde lediglich ein „primäres Konzept für mögliche Teilnahmebedingungen geprüft“.
Die in der Kritik stehende Weltregierung des Sports reagierte damit auf eine Resolution des Europäischen Parlaments, in der die 27 EU-Mitgliedstaaten aufgefordert werden, das IOC unter Druck zu setzen. Die Überlegungen hinsichtlich einer Olympia-Teilnahme der beiden Aggressoren Russland und Belarus seien „eine Peinlichkeit für die internationale Welt des Sports“.
Das EU-Parlament, so das IOC am Montag, habe dabei allerdings „bedauerlicherweise“die von zwei Sonderberichterstattern des UN-Menschenrechtsrates geäußerten Bedenken nicht berücksichtigt. Die UN-Vertreter hätten ausdrücklich die Überlegungen zur Zulassung sogenannter „neutraler Athleten“gelobt und das IOC aufgefordert, eine Diskriminierung jeglicher Sportlerinnen und Sportler auf Basis ihrer Nationalität auszuschließen.
Die Forderung des EU-Parlaments nach einer „vielfältigen Isolierung“aller Russen und Weißrussen widerspreche dieser Aussage eindeutig, teilte das IOC nun mit. Die Resolution stehe auch in klarem Widerspruch zur Autonomie von Sportorganisationen, die ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Sportmodells und von EUInstitutionen bei vielen Gelegenheiten anerkannt worden seien.
Die Regierungen von 34 Nationen erhöhten am Montag den Druck auf das IOC und forderten in einer Erklärung, in der „Russland-Frage“den Begriff der „Neutralität“zu klären. „Wir sind sehr besorgt darüber, wie es möglich ist, dass russische und belarussische olympische Athleten als 'Neutrale' antreten, wenn sie direkt von ihren Staaten finanziert und unterstützt werden“, heißt es in dem Schreiben, das die britische Regierung veröffentlichte. Zu den Unterzeichnern des Schreibens zählen neben Großbritannien unter anderem Deutschland, die USA, Frankreich und Kanada.
Der ukrainische Sportminister kritisiert die Haltung des IOC
In der seit einem Jahr unter dem fürchterlichen russischen Angriffskrieg leidenden Ukraine hat man für die IOC-Argumentation wenig Verständnis. Der ukrainische Sportminister Vadym Huttsait verurteilte im Gespräch mit der „FAZ“die Haltung des IOC: „Während die russische Armee auf ukrainischem Boden Menschen tötet, Frauen, Kinder, die wichtige Infrastruktur zerstört, die Ukrainer ausharren müssen ohne Licht und Wärme, darf man nicht daran denken, Russen und Belarussen zu den Olympischen Spielen und den Qualifikationswettbewerben zuzulassen.“
Die Ukraine werde sich „dafür einsetzen, dass das nicht geschieht, wir werden dagegen kämpfen. Viele Länder und deren Nationale Olympische Komitees unterstützen uns.“Die Ukrainer „können es in solch furchtbaren Zeiten nicht ertragen, dass neben uns bei internationalen Wettbewerben Athleten aus Russland und Belarus antreten“, sagte Huttsait: „Falls sie es doch dürfen, dann wird das Nationale Olympische Komitee der Ukraine entscheiden, ob wir zu den Spielen fahren oder nicht.“
Die russische Invasion, deren Beginn sich am 24. Februar zum ersten Mal jährt, habe unter anderem dem Sport in der Ukraine extrem zugesetzt. „343 verschiedene sportliche Einrichtungen sind zerstört worden. 231 Athleten wurden getötet, 35 Athleten befinden sich in Gefangenschaft, 3 000 aktive Sportler kämpfen direkt an der Front“, sagte Huttsait.
Dabei sei Sport in seiner Heimat ein wesentlicher Faktor: „Unsere Athleten treten in den ukrainischen Farben an, sie stehen auf den Podesten mit unserer Flagge in den Händen. Die ganze Welt soll sehen, dass die Ukraine war, ist und auch weiterhin sein wird.“sid
Die ganze Welt soll sehen, dass die Ukraine war, ist und auch weiterhin sein wird. Vadym Huttsait, ukrainischer Sportminister