„Ich bin froh über jeden Tag, den ich leben kann“
Devid Striesow erklärt im Gespräch unter anderem, warum er nicht nostalgisch ist und wie es ist, mit behinderten Schauspielern zu arbeiten
In seinem Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“erzählt Schauspieler Joachim Meyerhoff aus seiner Kindheit und Jugend, die sich im Wesentlichen auf dem Gelände einer Kinderund Jugendpsychiatrie abspielten. Sein Vater Hermann Meyerhoff war Psychiater und führte diese Einrichtung. Nun hat Regisseurin Sonja Heiss den tragikomischen Bestseller verfilmt – Kinostart ist jetzt auch in Luxemburg. In die Rolle des Anstaltsleiters schlüpfte Devid Striesow (49).
Devid Striesow, für die Verfilmung von „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“standen Sie auch mit behinderten Menschen vor der Kamera. Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?
Wunderbar! Ich wurde während meines Zivildienstes als Behindertenfahrer eingesetzt. Da kann man wunderbare Situationen und ein ganz anderes Herangehen ans Spielen erleben. Das macht große Freude und ist meistens sehr unverstellt. Am Anfang sehr vorsichtig und hochsensibel, aber dann ist es ein ganz toller Zugang zum Spielen an sich. Da hatten wir große Freude. Mit einigen der Darsteller bin ich immer noch lose über Instagram verbandelt. Man schreibt sich hin und her: „Na, wie ist unser Film? Hast du schon irgendwas gesehen?“Das ist eine sehr spannende und schöne Kombination.
Ich war schon mit 14 in einer Folk-Punkband organisiert und hatte meine Probe- und Auftrittszeiten. Da war ich gar nicht mehr an die Altersklasse angegliedert, die meinem Jahrgang entsprach.
Natürlich war diese Arbeit ein Idealfall und kann nicht immer so funktionieren. Was halten Sie von den Diskussionen, dass nur Behinderte Behinderte spielen dürfen oder Kinder sich nicht mehr als Indianer verkleiden sollen?
Das ist ein großes Feld, das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Ich halte meinen Beruf für sehr wandlungsfähig. Das ist auch der Grund, warum ich Schauspieler geworden bin: Ich kann in verschiedene Rollen schlüpfen. Ich glaube, dass das auch sehr wichtig für die Kunstfertigkeit in diesem Beruf ist. Man hat diese Voraussetzung als Basis. Man kann sich natürlich in alle möglichen Rollen hineinversetzen und sollte das auch tun. So sehe ich die Sache.
Glich Ihre Jugend auch manchmal einem – Verzeihung – Irrenhaus?
(lacht) Nein. Als Kind hieß es, um sechs zu Hause sein, wenn aus dem Fenster gerufen wurde: „Essen ist fertig!“Insofern war das ein sehr geregelter Ablauf, wenn die Hausaufgaben gemacht waren: sehr viel Freiheit mit der Burschengang auf der Straße, spielen bis es dunkel wird und dann nach Hause gehen. Später habe ich schon sehr schnell angefangen, Musik zu machen und war mit der Band unterwegs. Ich war schon mit 14 in einer Folk-Punkband organisiert und hatte meine Probeund Auftrittszeiten. Da war ich gar nicht mehr an die Altersklasse angegliedert, die meinem Jahrgang entsprach. Ich war immer mit Älteren zusammen. Die haben auf mich aufgepasst und das haben die auch ganz gut gemacht. (lacht)
Der Filmtitel drückt ein gewisses Gefühl aus. Erwischen Sie sich auch bei nostalgischen Gedanken an Zeiten, die vielleicht gar nicht so waren, wie man sie in Erinnerung hat?
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, nein. Ich bin da gar nicht nostalgisch. Ich bin froh über jeden Tag, den ich leben und an dem ich nach vorne schauen kann und orientiere mich nicht an dem, was zurückliegt. Ohne das auszuklammern, kein Thema. Nostalgie hat etwas mit Sentimentalität zu tun und sentimental bin ich absolut nicht, wenn ich zurückschaue.
Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie wie dieses Mal vor der Kamera mit Make-up in einen älteren Mann verwandelt werden?
Bei diesem Film waren es drei Stufen. Drei verschiedene Perücken, drei verschiedene Etappen. Dann spielt man irgendwann alt und vom Tod gezeichnet oder todkrank. Man kommt da in die Nähe dessen, was man als Eins-zu-eins-Empfindung benennen kann. Man kann nicht sagen, man fühle sich genauso. Das geht nicht. Diese Traurigkeit oder dieser starke Wechsel der Gefühle, wenn man wirklich eine solche Diagnose bekommt, ist schwer.
Man kommt aber in die Nähe und je besser man ist, desto näher kommt man ran. Ja, solche tiefen Momente machen etwas mit einem. Ich habe allerdings das Gefühl, je länger ich diesen Beruf mache, desto klarer und schneller kommt man an solche Empfindungen ran. Man geht in eine Situation und erreicht ziemlich schnell eine gewisse Tiefe. Nach so einem Drehtag trägt man das schon eine ganze Weile mit sich rum, auf jeden Fall. Man erhascht so eine Ahnung von etwas.
Glück, so heißt es im Film, sei ein schwieriger Begriff. Wie definieren Sie ihn?
„Glücklich sein“ist ein schwieriger Begriff, absolut. Wenn man Glück hat, tritt es manchmal ein und manchmal auch nicht. Man kann nicht darauf hoffen oder warten. Man muss einfach leben. Ich glaube, das Geheimnis des Lebens ist, dass man lebt. Wenn einem dann so etwas wie
Glück oder glückliche Momente passieren, hat man schon viel erreicht.
Erleben Sie bei Ihrer Arbeit Glücksmomente?
Ja, die gibt es. Ein Grund, warum ich so wahnsinnig gerne meinen Beruf mache, ist, dass es in diesen Live-Geschichten und -Acts, in Lesungen und Theaterabenden solche Glücksmomente gibt. Es kann natürlich auch wahnsinnig blöde laufen, das ist das Gegenteil. Man kann sich auf der Bühne auch schämen, weil man das Gefühl hat, man reiche an diesem Abend nicht an die Figur und Energie heran, die eigentlich auf die Bühne müsste. Dann gibt es Abende wie zum Beispiel eine Blechtrommellesung kürzlich in Lübeck, wo nach der Lesung ein ausverkaufter Saal aufsteht und applaudiert. Das ist ein unglaubliches Glücksgefühl und ein Geschenk. Ich bin für diese Liveperformance-Möglichkeiten sehr dankbar und mache das wahnsinnig gerne.
Noch eine letzte Frage: Sie sind im NetflixFilm „Im Westen nichts Neues“zu sehen, der mehrfach für einen Oscar nominiert ist. Haben Sie darauf schon angestoßen?
Ich habe das innerlich gemacht. Ich bin natürlich happy mit diesen wahnsinnig vielen Oscar-Nominierungen. Und es ist unglaublich, was da in dieser „Bester Film“-Kategorie passiert. Jetzt drücken wir alle einfach die Daumen, sind ganz still, unken nicht und sagen: „Toi, toi, toi!“Wir freuen uns auf den 13. März. Ich werde das erste Mal vor dem Fernseher hängen und mir die Oscar-Verleihung anschauen.
Sonst habe ich immer nicht verstanden, warum Menschen das machen. Dieses Mal werde ich es aber tun.