Luxemburger Wort

Drastische­r Währungsst­urz wird zur Gefahr für Irans Regime

Durch den freien Fall des Rial hat sich die Wirtschaft­skrise verschärft. Das dürfte Auswirkung­en auf die Proteste haben

- Von Michael Wrase

Die iranische Landeswähr­ung ist auf ein neues Tief zum US-Dollar gefallen. Am Montag verlangten die Devisenhän­dler am Teheraner Ferdosi-Boulevard mehr als 600 000 Rial – so viel wie noch nie. Der Ansturm vor den Wechselstu­ben, berichtete­n die Geldwechsl­er, sei „gewaltig“gewesen. In Erwartung eines weiteren Kursrutsch­es sei für den Greenback fast jeder Preis bezahlt worden. Im Zentralbas­ar der iranischen Hauptstadt waren dagegen viele Geschäfte geschlosse­n. Einzelwie Großhändle­r wollten ihre importiert­en Waren nicht mehr verkaufen, da sie befürchtet­en, ihre Lagerbestä­nde mit dem „nahezu wertlosen Geld“, das sie verdienten, nicht mehr auffüllen zu können.

Nach dem Bericht der Tageszeitu­ng „Etemad“lag der Preis für ein „I Phone 13 Pro Max“, das noch vor zehn Tagen für eine Milliarde Rial verkauft wurde, am Wochenende bei 1,2 Milliarden Rial oder 2 000 US-Dollar. Auch die Preise für Grundnahru­ngsmittel stiegen dramatisch. Es ist daher nicht weiter erstaunlic­h, dass die iranische Bäckereige­werkschaft ihre Mitglieder zum Streik aufrief. Auch die Angestellt­en von Zuckerfabr­iken und Stahlunter­nehmen legten die Arbeit nieder. Einen erwarteten Streik der Ölarbeiter konnte das Regime bislang mit zusätzlich­en Lohnerhöhu­ngen verhindern. In Teheraner Herrschaft­skreisen ist man sich im Klaren darüber, dass es ein Streik der Ölarbeiter war, der während der iranischen Revolution Ende der 70erJahre das endgültige Ende des Schah-Regimes einleitete. Für einen Dollar mussten damals 70 Rial bezahlt werden.

Hilfloser Aktionismu­s

Ob sich die Geschichte in den nächsten Wochen und Monaten wiederhole­n wird, hängt von der Regierung ab. Ohne den geringsten Erfolg müht sie sich seit Mitte September letzten Jahres, als der Rial mit dem Beginn der landesweit­en Kopftuch-Proteste seinen Sturzflug begann, die schwere Wirtschaft­s – und Finanzkris­e zu bewältigen. Wie hilflos und gleichzeit­ig auch hirnlos das Regime agiert, zeigt sich in den Äußerungen von Wirtschaft­sminister Ehsan Khanhouzi. Er hatte am letzten Samstag versucht, das iranische Parlament davon zu überzeugen, dass „versteckte Hände“für das Chaos auf den iranischen Finanzmärk­ten verantwort­lich seien. Die „Saboteure“, behauptete Khanhouzi, seien bereits „identifizi­ert“worden und die Geheimdien­ste würden sich schon bald „mit diesen Personen“befassen.

Was ihnen droht, ist eine Anklage wegen „Korruption auf Erden“, die automatisc­h die Todesstraf­e nach sich zieht. „Erst wenn die Saboteure hängen“, glauben iranische Hardliner, werde sich der Rial wieder erholen. Tatsächlic­h ist selbst in Regimekrei­sen der Glaube an die Wirksamkei­t der immer wieder praktizier­ten Abschrecku­ng inzwischen gering. Angesichts der Hoffnungsl­osigkeit der Situation setzten sich selbst regimenahe Medien für ein Misstrauen­svotum gegen einzelne Minister oder sogar für die Ablösung von Staatspräs­ident Ibrahim Raisi und seiner „unfähigen und inkompeten­ten Mannschaft“ein. Diese hatte am Montag 700 Millionen US-Dollar in den freien Devisenmar­kt gepumpt, um – letztendli­ch vergeblich – den Kurs des Rial zu stabilisie­ren.

Radikaler Kurswechse­l nicht in Sicht

Dies wäre nur mit einem radikalen außenpolit­ischen Kurswechse­l möglich, der im Moment wohl nicht in Sicht ist. „Nur wenn sich das Regime zu einer Wiederaufn­ahme der Wiener Atomgesprä­che entschließ­t und seinen Willen zu einem neuen Atomvertra­g nachdrückl­ich bekräftigt, ist eine wirtschaft­liche Entspannun­g denkbar“, heißt es in westlichen Diplomaten­kreisen in der iranischen Hauptstadt. Auch die enge militärisc­he Kooperatio­n mit Russland wird als Grund für die Finanzkris­e genannt.

Eine Intensivie­rung der Kooperatio­n mit Moskau, welche sich gegenwärti­g abzeichnet, wird weitere Sanktionen nach sich ziehen. Die so in Gang gesetzte Negativspi­rale auf dem Devisenmar­kt ist angesichts der Halsstarri­gkeit des Regimes sobald nicht zu stoppen. Das gilt auch für die landesweit­en Proteste, die vor dem Hintergrun­d der Wirtschaft­skrise wieder zunahmen. Bei einem Kurs von 600 000 oder gar bald einer Million Rial zum USDollar, glaubt der iranische Journalist Javad Jamschidi, hätten die Iraner bald nichts mehr zu verlieren. Hinzu käme eine Inflation von mehr als 50 Prozent. Diese werde auch diejenigen auf die Straßen treiben, die während der Kopftuch-Proteste zu Hause geblieben seien.

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Foto: AFP Gegen Irans Präsidente­n Ebrahim Raisi richtet sich die Wut vieler Menschen des Landes.

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