Drastischer Währungssturz wird zur Gefahr für Irans Regime
Durch den freien Fall des Rial hat sich die Wirtschaftskrise verschärft. Das dürfte Auswirkungen auf die Proteste haben
Die iranische Landeswährung ist auf ein neues Tief zum US-Dollar gefallen. Am Montag verlangten die Devisenhändler am Teheraner Ferdosi-Boulevard mehr als 600 000 Rial – so viel wie noch nie. Der Ansturm vor den Wechselstuben, berichteten die Geldwechsler, sei „gewaltig“gewesen. In Erwartung eines weiteren Kursrutsches sei für den Greenback fast jeder Preis bezahlt worden. Im Zentralbasar der iranischen Hauptstadt waren dagegen viele Geschäfte geschlossen. Einzelwie Großhändler wollten ihre importierten Waren nicht mehr verkaufen, da sie befürchteten, ihre Lagerbestände mit dem „nahezu wertlosen Geld“, das sie verdienten, nicht mehr auffüllen zu können.
Nach dem Bericht der Tageszeitung „Etemad“lag der Preis für ein „I Phone 13 Pro Max“, das noch vor zehn Tagen für eine Milliarde Rial verkauft wurde, am Wochenende bei 1,2 Milliarden Rial oder 2 000 US-Dollar. Auch die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen dramatisch. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass die iranische Bäckereigewerkschaft ihre Mitglieder zum Streik aufrief. Auch die Angestellten von Zuckerfabriken und Stahlunternehmen legten die Arbeit nieder. Einen erwarteten Streik der Ölarbeiter konnte das Regime bislang mit zusätzlichen Lohnerhöhungen verhindern. In Teheraner Herrschaftskreisen ist man sich im Klaren darüber, dass es ein Streik der Ölarbeiter war, der während der iranischen Revolution Ende der 70erJahre das endgültige Ende des Schah-Regimes einleitete. Für einen Dollar mussten damals 70 Rial bezahlt werden.
Hilfloser Aktionismus
Ob sich die Geschichte in den nächsten Wochen und Monaten wiederholen wird, hängt von der Regierung ab. Ohne den geringsten Erfolg müht sie sich seit Mitte September letzten Jahres, als der Rial mit dem Beginn der landesweiten Kopftuch-Proteste seinen Sturzflug begann, die schwere Wirtschafts – und Finanzkrise zu bewältigen. Wie hilflos und gleichzeitig auch hirnlos das Regime agiert, zeigt sich in den Äußerungen von Wirtschaftsminister Ehsan Khanhouzi. Er hatte am letzten Samstag versucht, das iranische Parlament davon zu überzeugen, dass „versteckte Hände“für das Chaos auf den iranischen Finanzmärkten verantwortlich seien. Die „Saboteure“, behauptete Khanhouzi, seien bereits „identifiziert“worden und die Geheimdienste würden sich schon bald „mit diesen Personen“befassen.
Was ihnen droht, ist eine Anklage wegen „Korruption auf Erden“, die automatisch die Todesstrafe nach sich zieht. „Erst wenn die Saboteure hängen“, glauben iranische Hardliner, werde sich der Rial wieder erholen. Tatsächlich ist selbst in Regimekreisen der Glaube an die Wirksamkeit der immer wieder praktizierten Abschreckung inzwischen gering. Angesichts der Hoffnungslosigkeit der Situation setzten sich selbst regimenahe Medien für ein Misstrauensvotum gegen einzelne Minister oder sogar für die Ablösung von Staatspräsident Ibrahim Raisi und seiner „unfähigen und inkompetenten Mannschaft“ein. Diese hatte am Montag 700 Millionen US-Dollar in den freien Devisenmarkt gepumpt, um – letztendlich vergeblich – den Kurs des Rial zu stabilisieren.
Radikaler Kurswechsel nicht in Sicht
Dies wäre nur mit einem radikalen außenpolitischen Kurswechsel möglich, der im Moment wohl nicht in Sicht ist. „Nur wenn sich das Regime zu einer Wiederaufnahme der Wiener Atomgespräche entschließt und seinen Willen zu einem neuen Atomvertrag nachdrücklich bekräftigt, ist eine wirtschaftliche Entspannung denkbar“, heißt es in westlichen Diplomatenkreisen in der iranischen Hauptstadt. Auch die enge militärische Kooperation mit Russland wird als Grund für die Finanzkrise genannt.
Eine Intensivierung der Kooperation mit Moskau, welche sich gegenwärtig abzeichnet, wird weitere Sanktionen nach sich ziehen. Die so in Gang gesetzte Negativspirale auf dem Devisenmarkt ist angesichts der Halsstarrigkeit des Regimes sobald nicht zu stoppen. Das gilt auch für die landesweiten Proteste, die vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wieder zunahmen. Bei einem Kurs von 600 000 oder gar bald einer Million Rial zum USDollar, glaubt der iranische Journalist Javad Jamschidi, hätten die Iraner bald nichts mehr zu verlieren. Hinzu käme eine Inflation von mehr als 50 Prozent. Diese werde auch diejenigen auf die Straßen treiben, die während der Kopftuch-Proteste zu Hause geblieben seien.