Suche nach der Authentizität des Augenblicks
Moment und Ewigkeit als Unikat: Paul Kirps macht Kunst mit oft kaprizöser und auch kostspieliger Polaroid-Fotografie
„Ich behaupte nicht Fotograf zu sein, darauf erhebe ich absolut keinen Anspruch“, sagt Paul Kirps eingangs der gemeinsamen Besichtigung seiner aktuellen Fotoausstellung in der Theatergalerie in Esch/Alzette. Seine Kunst liegt anderswo. In seinen Installationen und in der Grafik, die man unter anderem im Museum of Modern Art in New York, im Mudam und in der Nationalbibliothek in Luxemburg zu sehen bekommt, erforscht er die Grenzen von Minimalismus und Design durch einen abstrakten Ansatz.
Kirps’ Kunstwerke finden sich aber auch in öffentlichen Bauten des Landes. Mit Farbe und grafischen Elementen hat der Multimediakünstler Aulas und Patios einiger Lyzeen verschönert und damit auch langweiliges Betongrau verscheuchen können.
Kein Kunstfotograf, aber doch ein künstlerischer Blick durch die Linse: Kirps’ Polaroid-Fotos sind sehr grafisch und zeigen Architektur mit Fluchtlinien und geometrischen Elementen. Sie sind aber auch erzählend und offenbaren in Kombination zueinander kleine, amüsante Geschichten. Etwa die über eine Kirmes, die erst im Aufbau ist. Mal sind es fünf, mal vier oder auch nur zwei Bilder, die zusammen wie ein Comic-Strip wirken, dabei erheitern, aber auch nachdenklich stimmen.
Ein Spät-Dinosaurier der Fotografie
Kirps ist mit seiner plastischen Kunst ein Anhänger der akribisch kontrollierten Produktionsprozesse, wie er selbst meint. Mit der Polaroid-Fotografie tut er nun aber genau das Gegenteil und lässt sich auf eine distanz- und netzlose Kunst ein.
„Es macht mir Spaß, mit der Kamera auszuschwirren“, erzählt der Künstler und zieht seine Polaroid SX-70 aus der Tasche, die erste faltbare Spiegelreflexkamera, die schon
Künstler wie Chuck Close, David Hockney, Helmut Newton, Andy Warhol und David Lynch in den Händen hielten. Etwas klobig wirkt die Kamera, hat aber ein nettes Design. Sie ist Baujahr 1972, also mehr als ein halbes Jahrhundert alt und damit schon ein Spät-Dinosaurier der Fotografie.
Wer die Urzeit-Tiere zur Strecke gebracht hat, das weiß man nicht so genau, war es ein Meteorit oder ein plötzlicher Klimawandel; wer die analoge Fotografie ausgebremst hat, das weiß man viel besser. Es war die digitale Revolution. Bytes, Pixel und Mikrochips haben die Chemie verdrängt, ganz vergessen ist das Analoge aber nicht. Die Polaroid-Fotografie lebt heute ein Nischendasein und ist mehr als nur ein Zeitvertreib für Nerds. Zwar nicht für solche, die hinter Bildschirmen hocken, vielmehr für die, die sich vom Augenblick treiben lassen, um so „ihr“bestes Bild zu bekommen.
Paul Kirps spricht von „Anti-Handy“. Seine Polaroid-Kamera war vor 50 Jahren ein technisches Novum, heute ist sie ein Gegenstück zur Moderne. Polaroid-Filme sind teuer, oft unberechenbar und kapriziös. Mit dieser Fotografie läuft der Künstler daher nicht die Gefahr, in einem Ozean der Bilder zu ertrinken. „Im Winter reagiert die Chemie ganz anders als im Sommer“, erklärt Kirps. Ist es frostig kalt, dann heftet er die Abzüge seiner Sofortbildkamera für einen Moment unter die Jacke an die Brust, um sie zu wärmen.
Nur acht Aufnahmen erlaubt jeder Film, das Zählwerk der Kamera zeigt aber stets zehn – weiß der Teufel warum! Jede Aufnahme ist entscheidend, unabhängig davon, ob nun auch wirklich alle zum richtigen Zeitpunkt gelächelt haben oder das Licht genau richtig war. Nichts lässt sich mehr verändern.
In Windeseile spuckt der Apparat das Bild aus. „Rien ne va plus“, wie beim Roulette. Das verleiht dieser Fotografie die Authentizität des Augenblicks, die es heute leider nicht mehr gibt. Augenblick für die Ewigkeit, und
Paul und seine Polaroids: Kirps knipst mit alter Technik.
Nach „Time O“folgt nun die Ausstellung „Instant Choices“.