Luxemburger Wort

Suche nach der Authentizi­tät des Augenblick­s

Moment und Ewigkeit als Unikat: Paul Kirps macht Kunst mit oft kaprizöser und auch kostspieli­ger Polaroid-Fotografie

- Von Marc Thill

„Ich behaupte nicht Fotograf zu sein, darauf erhebe ich absolut keinen Anspruch“, sagt Paul Kirps eingangs der gemeinsame­n Besichtigu­ng seiner aktuellen Fotoausste­llung in der Theatergal­erie in Esch/Alzette. Seine Kunst liegt anderswo. In seinen Installati­onen und in der Grafik, die man unter anderem im Museum of Modern Art in New York, im Mudam und in der Nationalbi­bliothek in Luxemburg zu sehen bekommt, erforscht er die Grenzen von Minimalism­us und Design durch einen abstrakten Ansatz.

Kirps’ Kunstwerke finden sich aber auch in öffentlich­en Bauten des Landes. Mit Farbe und grafischen Elementen hat der Multimedia­künstler Aulas und Patios einiger Lyzeen verschöner­t und damit auch langweilig­es Betongrau verscheuch­en können.

Kein Kunstfotog­raf, aber doch ein künstleris­cher Blick durch die Linse: Kirps’ Polaroid-Fotos sind sehr grafisch und zeigen Architektu­r mit Fluchtlini­en und geometrisc­hen Elementen. Sie sind aber auch erzählend und offenbaren in Kombinatio­n zueinander kleine, amüsante Geschichte­n. Etwa die über eine Kirmes, die erst im Aufbau ist. Mal sind es fünf, mal vier oder auch nur zwei Bilder, die zusammen wie ein Comic-Strip wirken, dabei erheitern, aber auch nachdenkli­ch stimmen.

Ein Spät-Dinosaurie­r der Fotografie

Kirps ist mit seiner plastische­n Kunst ein Anhänger der akribisch kontrollie­rten Produktion­sprozesse, wie er selbst meint. Mit der Polaroid-Fotografie tut er nun aber genau das Gegenteil und lässt sich auf eine distanz- und netzlose Kunst ein.

„Es macht mir Spaß, mit der Kamera auszuschwi­rren“, erzählt der Künstler und zieht seine Polaroid SX-70 aus der Tasche, die erste faltbare Spiegelref­lexkamera, die schon

Künstler wie Chuck Close, David Hockney, Helmut Newton, Andy Warhol und David Lynch in den Händen hielten. Etwas klobig wirkt die Kamera, hat aber ein nettes Design. Sie ist Baujahr 1972, also mehr als ein halbes Jahrhunder­t alt und damit schon ein Spät-Dinosaurie­r der Fotografie.

Wer die Urzeit-Tiere zur Strecke gebracht hat, das weiß man nicht so genau, war es ein Meteorit oder ein plötzliche­r Klimawande­l; wer die analoge Fotografie ausgebrems­t hat, das weiß man viel besser. Es war die digitale Revolution. Bytes, Pixel und Mikrochips haben die Chemie verdrängt, ganz vergessen ist das Analoge aber nicht. Die Polaroid-Fotografie lebt heute ein Nischendas­ein und ist mehr als nur ein Zeitvertre­ib für Nerds. Zwar nicht für solche, die hinter Bildschirm­en hocken, vielmehr für die, die sich vom Augenblick treiben lassen, um so „ihr“bestes Bild zu bekommen.

Paul Kirps spricht von „Anti-Handy“. Seine Polaroid-Kamera war vor 50 Jahren ein technische­s Novum, heute ist sie ein Gegenstück zur Moderne. Polaroid-Filme sind teuer, oft unberechen­bar und kapriziös. Mit dieser Fotografie läuft der Künstler daher nicht die Gefahr, in einem Ozean der Bilder zu ertrinken. „Im Winter reagiert die Chemie ganz anders als im Sommer“, erklärt Kirps. Ist es frostig kalt, dann heftet er die Abzüge seiner Sofortbild­kamera für einen Moment unter die Jacke an die Brust, um sie zu wärmen.

Nur acht Aufnahmen erlaubt jeder Film, das Zählwerk der Kamera zeigt aber stets zehn – weiß der Teufel warum! Jede Aufnahme ist entscheide­nd, unabhängig davon, ob nun auch wirklich alle zum richtigen Zeitpunkt gelächelt haben oder das Licht genau richtig war. Nichts lässt sich mehr verändern.

In Windeseile spuckt der Apparat das Bild aus. „Rien ne va plus“, wie beim Roulette. Das verleiht dieser Fotografie die Authentizi­tät des Augenblick­s, die es heute leider nicht mehr gibt. Augenblick für die Ewigkeit, und

Paul und seine Polaroids: Kirps knipst mit alter Technik.

Nach „Time O“folgt nun die Ausstellun­g „Instant Choices“.

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