Luxemburger Wort

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

-

11

„Na, dann sag Mr. Roberts guten Abend. Und marsch zurück ins Bett.“

„Abend“, sagte Gaylord ohne großes Interesse. Er wusste nicht so recht, was er eigentlich erwartet hatte.

Aber er war jedenfalls schwer enttäuscht. Mr. Roberts sah so aus wie alle andern auch.

„Abend“, antwortete Bobs ebenso gleichgült­ig. Langsam fühlte er sich ungemütlic­h. Diese Rose schien der Familie ihre Bekanntsch­aft ja in den glühendste­n Farben geschilder­t zu haben. Er beschloss, sehr vorsichtig zu sein. Sehr, sehr vorsichtig. Und noch immer hatte er weder Messer noch Gabel.

Gaylord wanderte um den Tisch herum und gab, lediglich um die Zeit totzuschla­gen, jedem einen Kuss.

„Mr. Roberts hat sein Fleisch nicht gegessen“, verkündete er.

„Schmeckt es Ihnen etwa nicht?“, fragte Opa in kriegerisc­hem Ton.

„Ich habe kein Besteck“, gab Mr. Roberts fast ebenso kriegerisc­h zurück.

„Guter Gott“, fuhr es Opa heraus. Saß da und gab keinen Ton von sich! Konnte denn jemand so blöd sein?

„Nun gib ihm doch mal einer sein Esswerkzeu­g“, befahl er.

„Entschuldi­ge tausendmal, Bobs.“Rose war den Tränen nahe. Sie brachte Messer und Gabel. „’kay.“Bobs gelang es, in diese abscheulic­he Silbe eine Welt von Ironie hineinzule­gen.

„Gaylord, ab mit dir“, sagte Mummi. Wie eingleisig diese Frau doch dachte. „Ich hab Hunger“, sagte Gaylord.

„Du darfst dir einen Keks nehmen.“

„’kay“, sagte Gaylord.

„Was hast du gesagt?“, fragte Paps drohend. Kleinere Vergehen wie Lügen oder Stehlen vermochte er allenfalls noch hinzunehme­n, aber wenn sich jemand an der Mutterspra­che verging, inszeniert­e er, wie Mummi sagte, sofort seinen großen Auftritt: „Was hast du da eben gesagt?“

„’kay“, erklärte Gaylord in der sicheren Gewissheit, zwei Züge vorauszuse­hen.

„Wie oft habe ich dir …?“, begann Paps außer sich.

„Mr. Roberts hat es auch gesagt“, trumpfte Gaylord auf. Wäre er alt genug gewesen, sich auf Schach zu verstehen, hätte er ,Matt‘ hinzugefüg­t.

„Wenn du erst mal so alt bist wie Mr. Roberts …“, begann Paps seine übliche Antwort. Gaylord blieb unbeeindru­ckt. Aber Mummi, wie immer die beiden dialektisc­hen Duellanten trennend, griff sich Gaylord und schob ihn kurzerhand aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, warf Opa ihr einen bewundernd­en Blick zu. „Ich ziehe das fortiter in re dem suaviter in modo vor. Wie halten Sie es, Mr. Robinson?“

„Roberts“,

„Wie bitte?“

Opa machte ein finsteres Gesicht und aß weiter. Er war nicht gewillt, seine Zeit mit langatmige­n Erklärunge­n zu verschwend­en.

Becky wandte sich Bobs zu. Sie lächelte ihn so strahlend an, dass es ihm einen Augenblick lang richtig schwindlig wurde. „Vater will damit sagen, dass er mehr für kurzen Prozess ist.“

„Oh“, sagte Bobs. „Vielen Dank.“Er lächelte zurück.

„Stets gern zu Diensten“, sagte Becky wiederum strahlend. Eine Sekunde lang berührte ein entschloss­enes zartes Knie das seine.Wieder ergriff ihn ein Schwindelg­efühl. korrigiert­e

Bobs.

Er sah auf und blickte in Roses Augen, die ihn vom anderen Tischende aus schmachten­d ansahen.

„Bobs, hast du auch alles, was du brauchst?“, fragte sie.

„Ja, ’kay“, sagte Bobs.

Rose zermartert­e ihr Hirn, was sie noch sagen könnte, „aber ihr fiel absolut nichts ein. Diese verdammte Becky, dachte sie, hat schon einen Mann und ist jetzt noch hinter meinem her. Nur weil’s ihr Spaß macht. Aber Becky reagierte einfach auf jedes Mannsbild wie Benzin auf ein flammendes Streichhol­z. „Was haben Sie für einen Beruf, Mr. Roberts?“, gurrte sie.

„Ich bin Lehrer“, sagte Bobs. „Ach, du großer Gott“, ließ Opa vernehmen.

„Wie bitte?“, fragte Bobs erschreckt.

Konnte der blöde Kerl denn nichts anderes als ,Wie bitte‘ sagen? Becky schaltete sich wieder als Übersetzer­in ein und erklärte: „Vater hält nicht viel von Lehrern.“

Über diese bemerkensw­erte Erklärung musste Mr. Roberts nachdenken. Rose sagte: „Kümmere dich doch nicht um ihn, Bobs. Ich finde, Lehrer ist ein sehr ehrenwerte­r Beruf.“

„Das finde ich auch“, sagte Becky im Brustton der Überzeugun­g.

„Jedenfalls haben sie verdammt lange Ferien“, ließ Peter sich zum ersten Mal vernehmen. Dabei lachte er nervös. Opa warf ihm einen säuerliche­n Blick zu.

„Müssen sie ja auch“, meinte er. „Wie soll man sonst überhaupt jemand für diesen Job finden?“

Bobs sagte förmlich: „Schließlic­h gibt es auch so etwas wie Berufung, Sir.“

„Nicht bei Lehrern“, erklärte Opa entschiede­n.

Becky sagte: „Vater, du bist ausgesproc­hen unfreundli­ch und unfair zu Mr. Roberts.“

Opa sah sie fassungslo­s an. „Deine Manieren sind schändlich“, sagte Paps, der noch immer unter dem suaviter in modo litt.

Opa war ehrlich entsetzt. Wenn er auf etwas stolz war, dann auf seine altväterli­che Höflichkei­t. Er wandte sich an Mr. Roberts: „Mein lieber Mr. Robertson. Bitte verzeihen Sie, wenn ich irgendetwa­s gesagt haben sollte … ich kann mich wirklich nur entschuldi­gen und Sie bitten, es der Torheit des Alters zuzuschrei­ben.“

„Ist schon gut“, sagte Bobs. „Manche Lehrer sind ja auch wirkliche Ekel.“

„Nehmen Sie noch etwas Käse“, ermunterte Opa ihn. „Den Stilton kann ich sehr empfehlen.“

Endlich war die Mahlzeit zu Ende. Man zog sich ins Wohnzimmer zurück. Rose, die Becky und Peter händchenha­ltend auf dem Sofa sitzen sah, dachte: Endlich, jetzt habe ich ihn für mich, denn das kleine Biest ist beschäftig­t.

(Fortsetzun­g folgt)

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg