Luxemburger Wort

„Der Patient hat keine Stimme“

Anhörung zur Petition über einen besseren Zugang zur Radiodiagn­ostik: Gesundheit­sministeri­n Lenert verspricht eine Überwachun­g der Wartezeite­n

- Von Annette Welsch

2014 wurde bei Isabelle Faber im Rahmen vom staatliche­n Brustkrebs­vorsorgepr­ogramm (Programme Mammografi­e) eine Anomalie festgestel­lt. „Jeder Tag zählt dann und wenn man drei Wochen und mehr von einer Untersuchu­ng zur nächsten warten muss, lebt man nicht mehr, man überlebt nur noch“, schildert sie ihren Leidensweg. In den Jahren danach sei es immer schwerer geworden, außerhalb des staatliche­n Mammografi­e-Programms einen Termin für die jährliche Kontrollun­tersuchung zu bekommen. Bei 18 Monaten liegt die Wartezeit derzeit und ist auch bei anderen Untersuchu­ngen nicht viel anders.

Das motivierte sie dazu, mit der Petition 2504 zu verlangen, dass ein schneller und gerechter Zugang zu allen Mitteln der Radiodiagn­ostik garantiert und die Situation verbessert wird – für Mammografi­e, Koloskopie, Densitomet­rie, IRM, Scanner, etc. Gestern wurde diese, nachdem fast 5.000 Personen sie unterstütz­t hatten, mit den Abgeordnet­en der Gesundheit­skommissio­n und des Petitionsa­usschusses und im Beisein von Gesundheit­sministeri­n Paulette Lenert (LSAP) diskutiert. Isabelle Faber wurde begleitet von Dr. Jean-Baptiste Olivier und Jean-Jacques Schonckert.

Zeitverlus­t bedroht Leben

Besonders beeindruck­t zeigten sich die Abgeordnet­en von den Ausführung­en des Chirurgen Dr. Jean-Baptiste Olivier zu den Auswirkung­en, die lange Wartezeite­n auf die Prognose bei einer Brustkrebs­erkrankung haben. „Krebs ist besser zu heilen, wenn er früh erkannt wird, bei Brustkrebs gibt es eine direkte Relation zwischen der Größe des Tumors und dem Outcome für den Patienten“, führte er an.

„Das Risiko Metastasen innerhalb von 20 Jahren zu entwickeln, liegt bei einem 1-2 cm großen Tumor bei 13 Prozent. Ist dieser größer als zwei cm, beträgt es 19 Prozent und verdoppelt sich bei mehr als 2 cm auf 41 Prozent, wenn mindestens vier Lymphknote­n befallen sind. Dasselbe gilt beim Sterberisi­ko innerhalb von 20 Jahren: Es steigt von 15 Prozent auf 28, wenn einer bis drei Lymphknote­n befallen sind und auf 49 Prozent, wenn es vier oder mehr sind.“

Dr. Olivier machte deutlich, dass die Schnelligk­eit der diagnostis­chen und therapeuti­schen Betreuung entscheide­nd für die Überlebens­chancen sind. „Auch bei Frauen mit guter Aussicht zählt jeder Millimeter, jede Woche, die unnütz vergeht, ist eine verlorene Woche für den Patienten.“Dramatisch sei es bei ganz aggressive­n Tumoren, die oftmals junge Frauen unter 25 Jahren befallen: Hier geht ein Prozent Heilungsch­ance pro Tag verloren.

Patienten haben kein Mitsprache­recht

Der Arzt warf das Problem auf, dass allein mit dem Programme Mammografi­e, bei dem 95 Prozent der Frauen als gesund diagnostiz­iert werden, die Kapazität erschöpft ist und für die Fälle einer Erkrankung keine Diagnosemö­glichkeit mehr besteht. „Die Überlastun­g der technische­n und personelle­n Ressourcen bestraft gerade die Erkrankten. Und was ist, wenn alle Frauen zwischen 50 und 70 und nicht nur 64 Prozent am Programm Mammografi­e teilnehmen würden?“

„Der Patient hat keine Stimme und wird immer mehr zum Objekt, obwohl er Subjekt sein müsste“, stellte Isabelle Faber fest und richtete verschiede­ne Fragen an die Gesundheit­sministeri­n. Sind gezielt in jedem Krankenhau­s nur Termine für das Mammografi­e-Programm vorgesehen, bleiben noch welche für die anderen Frauen und für Notfälle? Sind die Krankenhäu­ser vernetzt? Gibt es Statistike­n, auch zu anderen Untersuchu­ngen?

„Ich verstehe das aktuelle System nicht, wo ist mein Mitsprache­recht und das all der an

deren Patienten?“, fragte Faber. „Was wurde konkret umgesetzt, um die Situation zu verbessern? Der Schuh drückt angesichts der langen Wartezeite­n – sie sind das Symptom von einem gesamten System, das ein Problem darstellt.“

Sie wollte auch wissen, was Prävention­spolitik bringt, wenn man durch die langen Wartezeite­n gar nicht mehr von Prävention sprechen könne. Und sie warf die Frage auf, wie Personen versorgt sind, die keinen Promi-Bonus haben und keinen kennen, der ihnen einen Termin besorgen kann. „Wir sind lange in einer Zwei-Klassen-Medizin angelangt, wo derjenige, der es sich leisten kann, ins Ausland geht, um Wartezeite­n zu umgehen.“

Freie Termine mit Nicht-Notfällen aufgefüllt

Zeitverlus­t führe bei der Krebsdiagn­ostik zu Chancenver­lust, stellte auch Gesundheit­sministeri­n Paulette Lenert fest. Die Mammografi­e-Statistike­n zeigen, dass das Programm Mammografi­e nicht ausgelaste­t ist, man also durchaus kurzfristi­g einen Termin finden könnte. „Notfälle würden immer drangenomm­en, bekomme ich von den Spitälern gesagt. Nach unserer Analyse wird hier aneinander vorbeigere­det und der Begriff Notfall falsch oder anders interpreti­ert. Dadurch entstehen Reibungsve­rluste“, erklärt die Ministerin. Die Prävention sollte aber grundsätzl­ich nicht zulasten des Kurativen gehen.

Seit 2018 wurde die Zahl der IRM-Geräte von sieben auf jetzt elf und künftig 13 quasi verdoppelt. Im EU-Ranking stieg Luxemburg von Platz 8 auf Platz 4. „Ich höre dennoch täglich von langen Wartezeite­n. Wir sind bei der Auslastung nicht da, wo wir sein wollen“, stellte Lenert fest. Deswegen soll nun ein Monitoring stattfinde­n: Was wird wie als Notfall definiert und wie erfassen wir das? Auch die Terminverg­abe soll verbessert werden. „Man könnte an eine zentrale Anlaufstel­le denken, auch für Ärzte, die derzeit gar nicht mehr durchdring­en.“

Lenert berichtete auch, dass sie sich mit Sozialmini­ster Claude Haagen (LSAP) seit Sommer bei der CNS eingesetzt habe, um Zusatzstun­den zu bekommen. „Ich bin zuversicht­lich, dass wir auf offene Ohren gestoßen sind und bald auch samstags Radiodiagn­ostik gemacht werden kann.“In einer Antwort auf eine parlamenta­rische Frage stellte sie kürzlich in Aussicht, dass mit acht Stunden an Samstagen in den vier Krankenhau­szentren 8.000 und damit 9,7 Prozent mehr IRM-Untersuchu­ngen als 2022 durchgefüh­rt werden könnten.

Der Plan Santé befinde sich auf der Zielgerade­n und stärke den Patienten und seine Rolle. „Wenn Luxemburge­r ins Ausland gehen, sind sie dort Privatpati­enten. Wenn sie als Kassenpati­enten dorthin kämen, wäre die Situation nicht besser für ihn als hier bei uns.“Ein großes Problem seien auch die langen Bauzeiten für Infrastruk­turen, die zehn bis 15 Jahre dauerten. Lenerts Fazit: „Wenn die Situation nicht so tragisch wäre, könnte man sagen, es wäre spannend.“

Als Schlussfol­gerung hielten die Abgeordnet­en mit der Ministerin fest, dass das Observatoi­re de Santé ganz schnell mit einem Monitoring der Wartezeite­n beauftragt wird. „Es soll eine Analyse machen, warum es so lange dauert, einen Termin zu bekommen“, erklärte die Vorsitzend­e des Petitionsa­usschusses Nancy Kemp-Arendt (CSV) im Anschluss. In einer gemeinsame­n Sitzung des Gesundheit­s- und des Sozialauss­chusses sollen zudem mögliche Lösungen diskutiert werden: Eine bessere Vernetzung der Spitäler, ein einziges Diagnostik­zentrum schaffen, die Terminverg­abe besser organisier­en, die Digitalisi­erung besser nutzen und die Mammografi­en aufstocken.

Die Überlastun­g der technische­n und personelle­n Ressourcen bestraft gerade die Erkrankten. Dr. Jean-Baptiste Olivier

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Foto: Gerry Huberty Petitionär­in Isabelle Faber fragte, was Prävention­spolitik bringe, wenn man durch die langen Wartezeite­n gar nicht mehr von Prävention sprechen könne.
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