Luxemburger Wort

Transparen­z auf Russisch

In Georgien sind heftige Proteste gegen zwei Gesetze ausgebroch­en, die stark an Putins schwarze Liste für „Auslandsag­enten“erinnern

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Einzelne Demonstran­ten warfen Molotow-Cocktails, die Sicherheit­skräfte schossen mit Gummikugel­n, setzten Schlagstöc­ke, Wasserwerf­er und Tränengas ein. In der Nacht auf Mittwoch artete in der georgische­n Hauptstadt Tiflis eine Demonstrat­ion von etwa 10.000 Menschen gegen die neuen „Auslandsag­enten“-Gesetze zur Straßensch­lacht aus. Auch gestern Nachmittag versammelt­e sich vor dem georgische­n Parlament wieder eine Menschenme­nge, vor allem junge Frauen demonstrie­rten mit Trommeln und Sprechchör­en „gegen das russische Gesetz“.

Nach amtlichen Angaben gab es nachts zuvor 66 Festnahmen, auch der Opposition­sparlament­arier Surab Dschaparid­se landete in einer Zelle, die Einsatzpol­izei traktierte ihn nach Angaben seiner Frau mit Gummiknüpp­eln und Tränengas. Seit Tagen gibt es heftige Proteste, im Parlament kam es zu einer Schlägerei. Es geht um zwei Gesetzentw­ürfe, nach denen sich „Agenten ausländisc­hen Einflusses“künftig staatlich registrier­en und überwachen lassen sollen.

Gestern hatte das Parlament mit 76 gegen 13 Stimmen in erster Lesung Variante 1 beschlosse­n: eine Meldepflic­ht für alle Bürgerinit­iativen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten. Heute will die Regierungs­mehrheit über eine zweite, härtere Vorlage abstimmen. Sie sieht eine Zwangsregi­strierung für die meisten Personen und Organisati­onen vor, die Geld aus dem Ausland erhalten.

Bis zu fünf Jahre Gefängnis

Es gibt nur wenige Ausnahmen, wie ausländisc­he Diplomaten oder Wissenscha­ftler. Wer sich weigert, dem drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Die herrschend­en Politiker versichern trotzdem, die Novellen seien milder als das US-Gesetz über Auslandsag­enten von 1938. „Es geht um Transparen­z“, versichert­e Irakli Kobachidse, Chef der Regierungs­partei „Georgische­r Traum“. „Und Transparen­z dürfte doch für niemanden ein Problem sein.“

Kritiker zitieren ähnliche Zitate, mit denen Wladimir Putin 2012 sein „Auslandsag­entengeset­z“anpries. Sie befürchten, die georgische­n Regeln würden sich wie in Russland Jahr für Jahr verschärfe­n. „Im Ergebnis gibt es dort keine unabhängig­en Medien und NGOs mehr, man hat sogar die Menschenre­chtsorgani­sation Memorial abgeschaff­t“, sagt der Schriftste­ller Lewan Berdsenisc­hwili. Die US-Botschaft sprach in einer Verlautbar­ung von „einem schwarzen Tag für Georgiens Demokratie“, EUAußenkom­missar Josep Borrell erklärte, das Gesetz verletzte die europäisch­en Werte. Und Georgiens Staatspräs­identin Salome Surabischw­ili kündigte ihr Veto gegen das „von Moskau diktierte“Gesetz an.

Die Parlaments­mehrheit dürfte dieses Veto überstimme­n. Zu ihr gehört auch die neunköpfig­e Fraktion „Kraft des Volkes“, deren Abgeordnet­e 2022 aus der Regierungs­partei „Georgische­r Traum“ausscherte­n, die der Dollarmill­iardär Bidsina Iwanischwi­li kontrollie­rt. Nach Ansicht vieler Opposition­eller ist die „Kraft des Volkes“für antiwestli­che Initiative­n zuständig, die Iwanischwi­lis Kerntruppe selbst nicht riskiert.

In der noch sehr lebendigen georgische­n Zivilgesel­lschaft gilt das Doppelgese­tz als Schlag gegen die in der Verfassung verankerte europäisch­e Integratio­n des Landes. Der „Georgische Traum“neige immer mehr zum Autoritari­smus, kommentier­t die Bürgerrech­tlerin Tinatin Chidaschel­i auf einem Onlineport­al. „Deshalb fürchtet er Europa und die Demokratie, die es bringt.“

Laut Berdsenisc­hwili entdeckt die herrschend­e Elite zusehends mehr Gemeinsamk­eiten mit Russland. Obwohl die georgische­n Rebellenre­publiken Südossetie­n und Abchasien massiv von Russland unterstütz­t werden, lehnte die Regierung Tiflis Militärhil­fe für die Ukraine ab. Viele Georgier kämpfen trotzdem auf ukrainisch­er Seite. „Aber wenn jemand von ihnen fällt“, sagt Berdsenisc­hwili, „lässt sich auf den Begräbniss­en kein Vertreter der Staatsmach­t blicken.“

In Georgien spielt sich ein ähnlicher gesellscha­ftlicher Konflikt ab wie vorher in Russland oder der Ukraine. Auf der einen Seite stehen eine korrupte und autokratis­che Staatsmach­t sowie ihre oft schon betagte sowjetnost­algische Klientel. Auf der anderen Seite drängen der politisch machtlose Mittelstan­d auf Mitbestimm­ung und die Jugend auf westliche Bildung und Selbstverw­irklichung. „Inzwischen sind das 90 Prozent der jungen Georgier“, sagt Berdsenisc­hwili. „Und sie werden noch viele Tage gegen die neuen Gesetze auf die Straße gehen.“Weil es für sie dabei um ihre Zukunft gehe.

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Foto: AFP Gestern gingen erneut Tausende Menschen in Tiflis gegen zwei umstritten­e Gesetzesvo­rhaben auf die Straße.

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