„Drogenabhängige können gute Eltern werden“
Mitarbeiter des Service Parentalité der Jugend- an Drogenhëllef über heroinsüchtige Schwangere, Entzugserscheinungen bei Neugeborenen und ihre Meinung zur Cannabislegalisierung
Den Mitarbeitern des Service Parentalité der Jugendan Drogenhëllef (JDH) kommt eine wichtige Rolle zu. Seit 20 Jahren vertreten sie die Interessen der Kinder von drogenabhängigen Eltern. Sie arbeiten eng mit Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, Hilfsorganisationen und der Justiz zusammen. Das „Luxemburger Wort“hat sich mit Robert Lamborelle, dem Chef de Service, und der Sozialarbeiterin Katja Berg unterhalten.
Robert Lambortelle, der Service Parentalité der Jugend- an Drogenhëllef existiert seit 20 Jahren. Wie sahen die Anfänge aus?
R.L.: Als Anfang der 2000er-Jahre das Substitutionsprogramm für Heroinabhängige eingeführt wurde, sind wir immer wieder Personen mit Suchtproblemen begegnet, die von ihren Kindern gesprochen haben. Bei der Drogenarbeit wurde deutlich, dass auch drogenabhängige Frauen schwanger werden können. Es stellte sich immer wieder die Frage „Was ist mit den Kindern?“. Bei der JDH gab es dann Überlegungen, den Bereich Elternschaft auszubauen.
Gibt es in Luxemburg Frauen, die wegen der Heroinsucht anschaffen und in der Folge schwanger werden?
R. L.: Viele haben das Bild von drogenabhängigen Müttern, die auf der Straße leben, im Kopf. Solche Straßenschwangerschaften gibt es, sie machen aber nicht die Mehrheit aus. Vielen Eltern mit Drogenproblemen sieht man die Sucht nicht sofort an. Wir betreuen zehn bis 25 Schwangere pro Jahr. Das können auch Anwältinnen oder Bankerinnen sein.
Die Schwangerschaften sind also nicht alle ungeplant?
K.B.: Beides kommt vor. Es gibt Frauen, die ungewollt schwanger werden und die Schwangerschaft bis zum vierten oder fünften Monat nicht realisieren. Manchmal bleibt der Vater unbekannt. Daneben gibt es auch
Frauen, die substituiert werden, normal arbeiten und schwanger werden. Teilweise sind die Schwangerschaften also geplant. Unser Hauptziel ist, dass diese Zeit der Schwangerschaft für das Ungeborene so gesund wie nur möglich abläuft.
Ist die Schwangerschaft für drogenkranke Mütter nicht ein sehr starker Anreiz, den Konsum sofort abzubrechen?
K.B.: Opiatabhängigen, schwangeren Frauen wird nicht dazu geraten, den Konsum abrupt abzubrechen. Das kann zu Entzugserscheinungen und Krämpfen führen, die ein hohes Risiko für eine Fehl- oder Frühgeburt darstellen. Wir arbeiten sehr eng mit den Ärzten der Maternité zusammen. Die Frauen werden allgemein mit Methadon substituiert.
Werden die Kinder drogenabhängig geboren? Finden sich die Substanzen in der Muttermilch wieder?
K.B.: Opiate gehen über die Plazenta in den Blutkreislauf des Kindes über. Babys von solchen Müttern zeigen oft 24 bis 72 Stunden nach der Geburt Entzugserscheinungen. In die Muttermilch gehen die Stoffe auch über, jedoch weniger als über die Plazenta. Im Allgemeinen gilt: Wenn massiver Konsum stattfindet, darf nicht gestillt werden. Ärzte entscheiden, ob Frauen, die im
Zum Wohl des Babys ist aktiver Konsum nicht möglich, das bringt das Kind in Gefahr. Robert Lamborelle
Substitutionsprogramm teilnehmen, ihre Kinder stillen können. In der Regel ist das möglich.
Wie werden die Neugeborenen behandelt?
K.B.: Wir haben gute Erfahrungen mit der Methode Kangourou der Maternité des CHL gemacht. Die Eltern sind dort 24 Stunden am Tag präsent und übernehmen eine aktive Rolle bei der Ernährung und Körperpflege ihres Babys. Durch Portage und Peau à peau (Tragen und enger Hautkontakt) wird die Bindung zwischen Kind und Mutter und Vater gestärkt. Das tut jedem Kind gut, bei Kindern von drogenabhängigen Müttern hilft es zudem, die Symptome der Entzugserscheinungen zu lindern. Wir haben sogar festgestellt, dass es manchmal dazu beiträgt, eine medikamentöse Behandlung zu vermeiden. Zusätzlich hilft es, Schuldgefühle der Mutter abzubauen.
R.L.: Wir bedauern, dass es in Luxemburg kaum Platz für drogenabhängige Eltern und deren Kinder gibt. Es gibt das Haus Kangaroo der JDH, aber mit nur drei Plätzen. Es müssten deutlich mehr Plätze sein. Der Service Parentalité der JDH leidet ebenfalls unter Platzmangel. Wir haben acht Mitarbeiter, jedoch nur zwei Büros. Wir wünschen uns mehr Platz, ein zentrales Haus, eine Maison parentalité wäre ideal, wo wir auch Gesprächszimmer zur Verfügung hätten.
Wie groß ist die Furcht der Eltern vor der Polizei? Haben sie Angst, das Kind abgenommen zu bekommen?
R.L.: Zum Wohl des Babys ist aktiver Konsum nicht möglich, das bringt das Kind in Gefahr. Personen auf Droge können das Kind vernachlässigen. Sie merken nicht, wann es Hunger hat oder gewickelt werden muss. Sie können seine Bedürfnisse nicht erfüllen.
Durch unseren Arbeitsauftrag sind wir dazu verpflichtet, uns zum Schutz des Kindes einzusetzen. Es ist unsere Arbeit, mit den Eltern darüber zu sprechen.
K.B.: Fast alle Eltern haben Angst, dass sie das Kind abgeben müssen. Doch manchmal sehen sie ihre schwierige Situation ein und fragen danach, das Kind abzugeben zu dürfen. Dies einzusehen, ist auch eine Form der Verantwortungsübernahme für die Kinder.
Wie stehen Sie zur geplanten Cannabislegalisierung? Welche Folgen hat das Kiffen während der Schwangerschaft?
R.L.: Das JDH steht dazu, Cannabis zu entkriminalisieren. Die Legalisierung und Kontrolle der Substanz geht in die richtige Richtung. Trotzdem ist noch viel Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Der Konsum von Cannabis während der Schwangerschaft ist ein Risiko. Der Wirkstoff geht durch die Plazenta auf das Kind über.
K.B.: In Kanada ist Cannabis seit Längerem legal, was zu Problemen in den dortigen Maternités führte. Cannabis wird zusammen mit Tabak konsumiert, schon alleine das Nikotin schädigt das Ungeborene. Die Kinder kommen mit einem geringeren Geburtsgewicht zur Welt. An den Auswirkungen des Cannabiskonsums auf Ungeborene wird noch geforscht. Es gibt Studien, die besagen, dass solche Kinder eher Verhaltensauffälligkeiten zeigen als andere.
Welche Rolle spielt Alkohol?
R.L.: Alkohol gehört zu den Substanzen, die während der Schwangerschaft die größten Schäden verursachen. Das fetale Alkoholsyndrom ist gut erforscht. Das Problem Alkohol in der Schwangerschaft wird oftmals unterschätzt.
K.B.: Das Risiko für Fehlbildungen des Fötus ist bei Alkoholkonsum sogar höher als beim Konsum von reinem Heroin. Ein einziges Glas Alkohol kann zu viel sein. Zudem lassen sich die Auswirkungen nicht immer sofort erkennen. Sie entstehen später.
Spielt der Drogenkonsum der Väter bei der Entstehung eines neuen Lebens eine Rolle?
R.L.: Nein, er spielt aber bei der Erziehung eine Rolle.
Was passiert, wenn die Kinder älter werden?
R.L.: Die Betreuung von Schwangeren macht nur ein Viertel unserer Arbeit aus. Es gibt auch Fälle, bei denen nur ein Elternteil eine Drogenproblematik hat. Wir begleiten die Familien oft jahrelang. Drogenabhängige können gute und kompetente Eltern werden.
Wie hoch ist das Risiko, dass die Kinder von Suchtkranken später eine eigene Drogenkarriere starten?
K.B.: Das Risiko dafür ist extrem hoch, wenn nicht mit den Kindern gearbeitet wird. Wenn die Kinder vorbereitet sind, ist es gering. Die Eltern haben trotzdem Bammel, wenn der Nachwuchs in das Alter von 14 bis 15 Jahren kommt. Eltern mit einer Drogenvergangenheit sind aber auch große Experten, sie merken sofort, wenn ihre Kinder etwas nehmen.
Unser Hauptziel ist, dass die Schwangerschaft für das Ungeborene so gesund wie nur möglich abläuft. Katja Berg