„Er hat versucht, mich umzubringen“
Ein Mann soll seine Partnerin aus einem Fenster gestoßen haben. Sie überlebt schwer verletzt. Er ist wegen versuchten Totschlags angeklagt
Noch heute ist die Frau gezeichnet. Für den Rest ihres Lebens wird die 40-Jährige an einen Rollstuhl gefesselt sein. Am 9. Mai 2021 stürzte sie aus dem Fenster ihres Schlafzimmers im ersten Stock in die Tiefe und verletzte sich lebensgefährlich. „Er hat mich herausgeworfen, er hat versucht, mich umzubringen“, sagt die Frau, um ihre Kräfte ringend, einem Polizisten im Krankenhaus. Wenig später wird sie notoperiert. Es folgt ein monatelanger Kampf zurück ins Leben.
Ihr Ex-Mann muss sich seit Dienstag wegen versuchten Totschlags vor einer Kriminalkammer verantworten. Der 57-Jährige soll seine Frau an jenem Tag geschlagen, gewürgt und mit einem Messer bedroht haben. Schließlich soll er sie aus dem Fenster des ersten Stockwerks gestoßen und selbst dann nicht von ihr abgelassen haben. Er soll hinausgeklettert sein und die Frau weiter gewürgt und mehrmals mit Kopf gegen den Boden geschlagen haben. Und das alles nur, weil er glaubte, dass seine Partnerin ihn angeblich betrügen würde.
Mann versteckt Messer im Schlafzimmer
Die Vorwürfe weist der Angeklagte zum Großteil zurück. Vor Gericht schildert er den Vorfall vollkommen anders. Er habe seine Partnerin mit den Nachrichten konfrontieren wollen, die sie mit zwei Männern ausgetauscht hatte. Er gibt zu, die Frau geohrfeigt zu haben. Bei einem Gerangel sei sie zudem mit dem Kopf gegen einen Nachttisch gestürzt. Das Messer habe er bereits zuvor im Schlafzimmer versteckt. Er habe seine Frau aber nicht verletzen wollen. Mit dem Messer habe er sie nur dazu bewegen wollen, ihm die Wahrheit zu sagen.
Aus dem Fenster will der Mann die Frau aber nicht gestoßen haben. Vielmehr soll sie selbst gesprungen sein. Er sei sofort aus dem Fenster geklettert, um ihr zu helfen. Er habe den Mut gehabt, zu springen. „Wenn ich das nicht getan hätte, dann wäre sie heute nicht mehr hier“, so der Mann am Dienstag vor Gericht. Der Vorsitzende Richter zeigte sich von den Äußerungen des Mannes wenig überzeugt: „Glauben Sie wirklich, was Sie uns hier erzählen?“, entgegnete er dem Angeklagten.
Stiefsohn kommt zu Hilfe
Den Ermittlungen zufolge verdankt die Frau ihr Leben vielmehr ihrem Stiefsohn. Dieser verschaffte sich gewaltsam Zutritt zum Schlafzimmer, schlug ein Loch in die Tür, die sein Vater mit einem Schlüssel verschlossen hatte. Hilferufe und lautes Poltern hatten ihn zum Handeln bewegt. Das Zimmer fand er leer auf. Als er aus dem Schlafzimmerfenster blickte, sah er seine Stiefmutter am Boden liegen, sein Vater stand daneben. Mit seinem Eingreifen verhinderte der junge Mann mutmaßlich Schlimmeres.
Wie der Sohn der Kriminalpolizei im Zuge der Ermittlungen schilderte, habe der Angeklagte sich an jenem Tag auffällig verhalten. Er habe seinen Vater auf einen Termin begleitet. Auf dem Weg dahin, wäre er mit seinem Auto gerast, wäre in Tempo-50-Zonen
mit 160 km/h gefahren. Auch hätte er rote Ampeln und Einbahnstraßen missachtet. Er würde sich noch über die kommenden Ereignisse wundern, habe sein Vater ihm im Auto gesagt. Wieder zu Hause angekommen, habe der Mann sich dann mit seiner Frau im Schlafzimmer eingeschlossen.
Auffälliges Verhalten nach dem Sturz
Am ersten Prozesstag ging ein leitender Ermittler der Kriminalpolizei nochmals im Detail auf die Ermittlungsergebnisse ein. Er hob hervor, dass die Aussagen des Opfers glaubwürdig seien. Die Frau habe von Verhör zu Verhör den Ablauf der Ereignisse gleich geschildert. Der Angeklagte habe hingegen wenigstens vier verschiedene Versionen erzählt.
So habe er unmittelbar nach dem Vorfall gegenüber den Einsatzkräften nur angegeben, seine Frau habe versucht, sich umzubringen. Einem der ersten Polizisten vor Ort war am 9. Mai 2021 das Verhalten des Mannes aufgefallen. In seinem Einsatzbericht schrieb er, dass der Mann unbetroffen, mit den Händen in der Hosentasche herumgestanden habe.
Beweise für eine Affäre fanden die Ermittler derweil nicht. Eine Auswertung des Mobiltelefons der Frau habe zwar Textverläufe mit zwei Männern hervorgebracht. Diese könnten aber als freundschaftlich interpretiert werden. Wie dem auch sei: Sollten sich die Vorwürfe gegen den Mann als wahr erweisen, dürfte auch eine Affäre sein Verhalten nicht im Geringsten entschuldigen. Die Wahrheitsfindung vor Gericht soll voraussichtlich bis Donnerstag andauern. Wann die Richter der zwölften Kriminalkammer ihr Urteil verkünden, ist noch nicht bekannt.
Glauben Sie wirklich, was Sie uns hier erzählen? Vorsitzender Richter zum Angeklagten