Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
14
„Eigentlich bist du doch gar nicht der Typ dafür.“
„Das war ein langwieriger Plan, aber jetzt ist die Zeit reif.“
„Häng dein Herz nicht zu sehr daran“, mahnte Mummi. „Du hast deine Rechnung ohne Gaylord gemacht.“
Sie sah, wie recht sie hatte, als sie Gaylord fragte: „Was möchtest du denn vom Weihnachtsmann haben?“
Einen Briefbeschwerer“, sagte Gaylord wie aus der Pistole geschossen.
„Erst einmal herrschte Stille. „Einen was, bitte?“, fragte Mummi.
„Einen Briefbeschwerer.“Mummis Stimme klang gefasst. „Was denn für einen Briefbeschwerer?“
„Na, eben einen Briefbeschwerer“, sagte Gaylord.
Paps dachte, du hättest vielleicht gern eine elektrische Eisenbahn.“
Gaylord überlegte. „Ich möchte lieber einen Briefbeschwerer“, sagte er schließlich.
Sie ging zurück zu Paps. „Sagte ich dir nicht, dass sich Gaylord etwas ganz Ausgefallenes wünschen würde?“
Paps machte ein unglückliches Gesicht. „Schieß los“, sagte er.
„Rat mal, wie ausgefallen“, sagte Mummi.
Paps dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Dazu reicht meine Fantasie nicht aus.“
„Einen Briefbeschwerer“, sagte Mummi.
Drückendes Schweigen. „Die ganzen Jahre über“, sagte Paps schließlich. „Gewartet. Geplant. Und dann will der Bengel einen Briefbeschwerer.“Plötzlich hieb er beide Fäuste auf den Schreibtisch. „Verdammt noch mal, er bekommt eine elektrische Eisenbahn, und damit hat sich’s.“
„Er wird sie nicht mal auspacken“, sagte Mummi.
„Nicht, wie ich Gaylord kenne.“In einem Antiquitätengeschäft in der Stadt fanden sie einen Briefbeschwerer. Einen schmiedeeisernen Hirsch, von widerlich schmuddeliger brauner Farbe, und als Paps ihn zum Auto trug, hatte er das Gefühl, mindestens einen halben Zentner zu schleppen. „Wenn du mich fragst – das hält der beste Geschenkstrumpf nicht aus“, sagte er.
„Für den brauchen wir schon eine Art Drahtkorb.“
Da er sich mehr als sonst deprimiert fühlte, wollte er die ganze Geschichte möglichst schnell hinter sich bringen.
„Vermutlich müssen wir auch Bea und Ben, die ja so gerne feiern, wieder einladen, oder?“
„Überflüssig“, sagte Mummi, „die haben sich schon selber eingeladen.“
Großtante Bea und Großonkel Ben waren, ob einzeln oder gemeinsam, unvermeidliche Requisiten jeder Gesellschaft. Als solche wurden sie von der gesamten Familie gefürchtet, argwöhnisch betrachtet und widerwillig geduldet. Paps, mit Paketen geschmückt wie ein Weihnachtsbaum, meinte wehmütig: „Weihnachten könnte ein so hübsches Fest sein, wenn man es nur dabei beließe: Morgens in die Kirche, dann futtert man nach Herzenslust, holt gemütlich vor dem gewaltigen Kaminfeuer versäumte Lektüre nach, kippt sich in allen Ehren einen hinter die Binde, schläft lange und macht am zweiten Feiertag morgens einen großen Spaziergang.“
„Übrigens wird ja wohl auch Roses Mr. Roberts kommen“, sagte Mummi, die die glückliche Gabe
besaß, abzuschalten, sobald Paps zu weitschweifig wurde.
„Stattdessen spielen wir Gesellschaftsspiele, die kein Mensch ausstehen kann, und laden uns das Haus voller Leute, die wir wie die Pest meiden würden, wenn wir sie in einem Hotel träfen.“
„Man kann nicht sagen, dass wir uns das Haus voller Leute laden, nur weil Bea und Ben kommen“, sagte Mummi, die die noch glücklichere Gabe besaß, passende Antworten zu geben, obwohl sie bereits abgeschaltet hatte.
„Das kann man nicht sagen?“Paps klang verbittert.
„Du brauchst nur die beiden in ein Zimmer zu stecken, und schon ist es überfüllt, ganz gleich, wie viele sonst noch drinnen sitzen.“Er ließ ein Paket fallen, bückte sich, um es aufzuheben, und verlor gleich noch zwei weitere Päckchen. Jetzt war er wütend.
„Dieses ganze Tamtam haben wir nur Dickens zu verdanken“, schrie er aufgebracht.
„Liebling, die Leute sehen schon her“, sagte Mummi.
„Lass dich nicht von beruflicher Eifersucht übermannen.“
Paps verstummte. Eines der heruntergefallenen Pakete war das mit dem Briefbeschwerer gewesen, und bei dem Gedanken, was es hätte enthalten können, wurde er ganz traurig.
„Hallo, Ben. Hallo, Bea, da seid ihr ja“, sagte Opa. Er war sichtlich niedergeschlagen.
Onkel Ben schlug ihm auf den Rücken, eine Verwegenheit, die sich selbst der Kühnste zweimal überlegt hätte.
„John, du siehst miesepetrig aus. Was ist los? Ist dir Weihnachten auf den Magen geschlagen?“, röhrte er.
Paps kam herein, sah die Gäste. „O Gott“, murmelte er. „Fröhliche Weihnachten allerseits!“
Onkel Ben betrachtete ihn prüfend, während er sich sein fülliges Kinn strich. An seinem Augenzwinkern konnte man erkennen, dass er jetzt eine Bombe loslassen würde. „He, was ist denn mit dir los, Joss? Du siehst aus, als wärst du einem Gespenst begegnet.“„Dem Schreckgespenst des teuren Weihnachtsmannes“, erwiderte Paps. Er fand dabei nichts Komisches, wohl aber Onkel Ben, der wieder losröhrte: „Bea, hast du das gehört? Dem Schreckgespenst des teuren Weihnachtsmannes. Teurer Weihnachtsmann, verstehst du? Joss, das musst du unbedingt in einem deiner Bücher verwenden.“
Wenn Paps etwas noch mehr hasste, als Joss genannt zu werden, so war es die Empfehlung, er solle dies oder jenes in einem Buch verwenden. Das klang immer, als käme ein Buch ebenso zustande wie das Höllengebräu der drei Hexen, die die verschiedensten Ingredienzien in ihren Eintopf werfen.