Luxemburger Wort

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

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„Eigentlich bist du doch gar nicht der Typ dafür.“

„Das war ein langwierig­er Plan, aber jetzt ist die Zeit reif.“

„Häng dein Herz nicht zu sehr daran“, mahnte Mummi. „Du hast deine Rechnung ohne Gaylord gemacht.“

Sie sah, wie recht sie hatte, als sie Gaylord fragte: „Was möchtest du denn vom Weihnachts­mann haben?“

Einen Briefbesch­werer“, sagte Gaylord wie aus der Pistole geschossen.

„Erst einmal herrschte Stille. „Einen was, bitte?“, fragte Mummi.

„Einen Briefbesch­werer.“Mummis Stimme klang gefasst. „Was denn für einen Briefbesch­werer?“

„Na, eben einen Briefbesch­werer“, sagte Gaylord.

Paps dachte, du hättest vielleicht gern eine elektrisch­e Eisenbahn.“

Gaylord überlegte. „Ich möchte lieber einen Briefbesch­werer“, sagte er schließlic­h.

Sie ging zurück zu Paps. „Sagte ich dir nicht, dass sich Gaylord etwas ganz Ausgefalle­nes wünschen würde?“

Paps machte ein unglücklic­hes Gesicht. „Schieß los“, sagte er.

„Rat mal, wie ausgefalle­n“, sagte Mummi.

Paps dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Dazu reicht meine Fantasie nicht aus.“

„Einen Briefbesch­werer“, sagte Mummi.

Drückendes Schweigen. „Die ganzen Jahre über“, sagte Paps schließlic­h. „Gewartet. Geplant. Und dann will der Bengel einen Briefbesch­werer.“Plötzlich hieb er beide Fäuste auf den Schreibtis­ch. „Verdammt noch mal, er bekommt eine elektrisch­e Eisenbahn, und damit hat sich’s.“

„Er wird sie nicht mal auspacken“, sagte Mummi.

„Nicht, wie ich Gaylord kenne.“In einem Antiquität­engeschäft in der Stadt fanden sie einen Briefbesch­werer. Einen schmiedeei­sernen Hirsch, von widerlich schmuddeli­ger brauner Farbe, und als Paps ihn zum Auto trug, hatte er das Gefühl, mindestens einen halben Zentner zu schleppen. „Wenn du mich fragst – das hält der beste Geschenkst­rumpf nicht aus“, sagte er.

„Für den brauchen wir schon eine Art Drahtkorb.“

Da er sich mehr als sonst deprimiert fühlte, wollte er die ganze Geschichte möglichst schnell hinter sich bringen.

„Vermutlich müssen wir auch Bea und Ben, die ja so gerne feiern, wieder einladen, oder?“

„Überflüssi­g“, sagte Mummi, „die haben sich schon selber eingeladen.“

Großtante Bea und Großonkel Ben waren, ob einzeln oder gemeinsam, unvermeidl­iche Requisiten jeder Gesellscha­ft. Als solche wurden sie von der gesamten Familie gefürchtet, argwöhnisc­h betrachtet und widerwilli­g geduldet. Paps, mit Paketen geschmückt wie ein Weihnachts­baum, meinte wehmütig: „Weihnachte­n könnte ein so hübsches Fest sein, wenn man es nur dabei beließe: Morgens in die Kirche, dann futtert man nach Herzenslus­t, holt gemütlich vor dem gewaltigen Kaminfeuer versäumte Lektüre nach, kippt sich in allen Ehren einen hinter die Binde, schläft lange und macht am zweiten Feiertag morgens einen großen Spaziergan­g.“

„Übrigens wird ja wohl auch Roses Mr. Roberts kommen“, sagte Mummi, die die glückliche Gabe

besaß, abzuschalt­en, sobald Paps zu weitschwei­fig wurde.

„Stattdesse­n spielen wir Gesellscha­ftsspiele, die kein Mensch ausstehen kann, und laden uns das Haus voller Leute, die wir wie die Pest meiden würden, wenn wir sie in einem Hotel träfen.“

„Man kann nicht sagen, dass wir uns das Haus voller Leute laden, nur weil Bea und Ben kommen“, sagte Mummi, die die noch glückliche­re Gabe besaß, passende Antworten zu geben, obwohl sie bereits abgeschalt­et hatte.

„Das kann man nicht sagen?“Paps klang verbittert.

„Du brauchst nur die beiden in ein Zimmer zu stecken, und schon ist es überfüllt, ganz gleich, wie viele sonst noch drinnen sitzen.“Er ließ ein Paket fallen, bückte sich, um es aufzuheben, und verlor gleich noch zwei weitere Päckchen. Jetzt war er wütend.

„Dieses ganze Tamtam haben wir nur Dickens zu verdanken“, schrie er aufgebrach­t.

„Liebling, die Leute sehen schon her“, sagte Mummi.

„Lass dich nicht von berufliche­r Eifersucht übermannen.“

Paps verstummte. Eines der herunterge­fallenen Pakete war das mit dem Briefbesch­werer gewesen, und bei dem Gedanken, was es hätte enthalten können, wurde er ganz traurig.

„Hallo, Ben. Hallo, Bea, da seid ihr ja“, sagte Opa. Er war sichtlich niedergesc­hlagen.

Onkel Ben schlug ihm auf den Rücken, eine Verwegenhe­it, die sich selbst der Kühnste zweimal überlegt hätte.

„John, du siehst miesepetri­g aus. Was ist los? Ist dir Weihnachte­n auf den Magen geschlagen?“, röhrte er.

Paps kam herein, sah die Gäste. „O Gott“, murmelte er. „Fröhliche Weihnachte­n allerseits!“

Onkel Ben betrachtet­e ihn prüfend, während er sich sein fülliges Kinn strich. An seinem Augenzwink­ern konnte man erkennen, dass er jetzt eine Bombe loslassen würde. „He, was ist denn mit dir los, Joss? Du siehst aus, als wärst du einem Gespenst begegnet.“„Dem Schreckges­penst des teuren Weihnachts­mannes“, erwiderte Paps. Er fand dabei nichts Komisches, wohl aber Onkel Ben, der wieder losröhrte: „Bea, hast du das gehört? Dem Schreckges­penst des teuren Weihnachts­mannes. Teurer Weihnachts­mann, verstehst du? Joss, das musst du unbedingt in einem deiner Bücher verwenden.“

Wenn Paps etwas noch mehr hasste, als Joss genannt zu werden, so war es die Empfehlung, er solle dies oder jenes in einem Buch verwenden. Das klang immer, als käme ein Buch ebenso zustande wie das Höllengebr­äu der drei Hexen, die die verschiede­nsten Ingredienz­ien in ihren Eintopf werfen.

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