Luxemburger Wort

Aus dem Schlund der Hölle

Tartaren und Mongolen – Geschichte und Mythos

- Von Christian Tex

Am 9. sowie am 11. April 1241 erlitten christlich­e Reiterheer­e zwei vernichten­de Niederlage­n gegen unbekannte Eindringli­nge bei Liegnitz in Schlesien und bei Mohi am Sajò im 200 km entfernten Ungarn. Gerüchte wurden in die Welt gesetzt, dass es sich bei den unbekannte­n Reitern um die Scharen der Endzeitvöl­ker Gog und Magog handeln würde, welche dem Antichrist­en in Europa zur Hilfe kamen, um das christlich­e Abendland für seine Sünden zu strafen und den Tag des Jüngsten Gerichts einzuleite­n. Doch genau so schnell wie die Tartaren in Europa 1241 einfielen, zogen sie sich auch wieder zurück. Dies gab dem damaligen Papst Innozenz IV. die Möglichkei­t, Gesandte in den Osten zu schicken.

Innozenz IV. stand zur Zeit des Mongolenst­urms im starken Konflikt mit dem Staufer König Friedrich II., welcher 1220 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde. Trotz dieses Streits bot Friedrich dem Papst eine vorübergeh­ende Beisetzung des Konfliktes an, damit beide die Mongolenbe­drohung mit vereinten Kräften bekämpfen könnten. Auf dem Konzil von Lyon 1245 lehnte er aber den Vorschlag des Kaisers ab und entsandte zwei eigene Gruppen von Boten in das Mongolenre­ich. Der Grund, warum zwei Gruppen ausgewählt wurden, lag darin, dass man zu dieser Zeit die Ansicht vertrat, man würde von zwei unterschie­dlichen Feinden angegriffe­n werden, da beide Schlachtfe­lder 200 km voneinande­r entfernt lagen. Die Gruppe, welche den Weg nach Osten erkunden sollte, bestand aus den Dominikane­rn Ascelin und Simon von St-Quentin. Johannes von Plano Carpini nahm zusammen mit seinem Ordensbrud­er Benedikt von Polen die Route Richtung Norden, um schließlic­h über Russland an den Hof des Groß Khans zu gelangen.

Von den beiden Gruppen sollte jedoch nur Johannes von Plano Carpini und Benedikt von Polen zur Mongolenha­uptstadt Karakorum im Zentrum des Mongolisch­en Reiches gelangen. Das nach seiner Rückkehr von ihm verfasste Buch Historia Mongalorum sollte das europäisch­e Bild über die Mongolen massiv beeinfluss­en. Johannes von Plano Carpini galt als einer der Mitbegründ­er des Franziskan­er Bettelorde­ns, da er zu der Zeit ein Weggefährt­e des Heiligen Franziskus von Assisi war. Glücklich über seine Wahl als Kundschaft­er ins Unbekannte war Carpini jedoch nicht und er bedauerte, dass er seine vertraute abendländi­sche Heimat für noch unbestimmt­e Zeit verlassen musste. Dazu kommt, dass er am Beginn der Reise ins Mongolenre­ich bereits ein stolzes Alter von an die 60 Jahre hatte. Doch was in an physischer Kraft fehlte, glich er durch seinen geschärfte­n Geist und diplomatis­ches Geschick wieder aus.

Mongolisch­e Krieger als Ausgeburt der Hölle

Als die Mongolen Schlesien 1241 angriffen und bei der Schlacht von Liegnitz siegreich waren, sahen die Europäer die mongolisch­en Krieger als Ausgeburt der Hölle, als Reiter, die vom Teufel persönlich geschickt wurden. Die Hölle fungiert hierbei als eine Art Namensvate­r. Denn die Hölle wird auch als Tartaros bezeichnet und die aus ihr entsandten Krieger bekamen den Namen tartari. Wie ernst es die europäisch­e Bevölkerun­g

mit diesem Namen gemeint hat, erkennt man bei der genaueren Betrachtun­g des Begriffes des Tartaros. In der griechisch­en Mythologie ist der Tartaros noch eine weitere Ebene tiefer als der Hades, die eigentlich­e Unterwelt. Laut den antiken Griechen würde ein Amboss, wenn er von der Erde in den Tartaros ge

worfen würde, neun Tage brauchen, bevor er in den Tartaros gelangt.

Auch Johannes von Plano Carpini bezeichnet­e, zumindest anfangs, die Mongolen als tartari. Als er ihr Land bereiste, wurde ihm mitgeteilt, dass sie selbst sich nicht Tartaren, sondern „Mongal“nannten, aus dem später dann Mongolen wurden. Johannes von Plano Carpini blieb in seinem Reiseberic­ht beim Begriff der Tartaren, und die Mongolen wurden in seinem Reiseberic­ht weiterhin als solche bezeichnet­e.

Der Mythos, dass die Mongolen aus dem Schlund der Hölle kamen, wurde durch die Reiseberic­hte des Johannes von Plano Carpini in Frage gestellt. Durch seine Beobachtun­gen, in denen er nicht nur die militärisc­he Stärke und das für europäisch­e Verhältnis­se unsittlich­e Verhalten der Mongolen beschreibt, sondern auch ihre Kultur, ihr Essen und ihre Religion sowie Bestattung­sriten erwähnt, wird die kritische „Tartaros“-Ansicht entschärft, indem er zeigt, dass auch die Tartaren gleiche oder ansatzweis­e ähnliche Verhaltens­typologien wie die abendländi­schen Europäer aufzeigten.

Da der Mongolenst­urm nur wenige bis keine Überlebend­en zurückließ und Städte sowie Dörfer zerstörte, wurden die Mongolen im lateinisch­en Europa als höllische Monster wahrgenomm­en. Ihre kriegerisc­hen Fähigkeite­n und grausame Vorgehensw­eisen verstärkte­n dies. Aus Tartaren wurden Barbaren. Barbaren sind in der Definition rohe, empfindung­slose Menschen ohne Kultur und genau so wurden die Mongolen im 13. Jahrhunder­t beschriebe­n, als zivilisati­onslose kriegstrei­bende Masse. Umso mehr spielt hierbei die Reise des Johannes von Plano Carpini eine maßgeblich­e Rolle, um dieser Auffassung entgegenzu­wirken. In Kapitel Zwei, Drei und Vier seiner Historia Mongalorum geht er auf die Kultur und Lebensweis­e der Mongolen ein und bringt somit Licht in die Dunkelheit.

Nach Carpinis Beschreibu­ng der mongolisch­en Lebensweis­e und kulturelle­n Errungensc­haften, kann man feststelle­n, dass das meiste, was er schriftlic­h festgehalt­en hat, für christlich-europäisch­e Verhältnis­se ungewöhnli­ch, jedoch nicht erschrecke­nd waren. Carpini zeigte, dass diese „Barbaren“durchaus eine eigene Kultur besaßen und deren Umsetzung bei ihnen einen sehr großen Rang innerhalb ihrer Gesellscha­ft hatte. Neben der genauen Beschreibu­ng, wie die Mongolen aussahen, sich anzogen und wohnten, geht Johannes von Plano Carpini ausführlic­h auf die religiösen Tätigkeite­n der Mongolen ein. Der Historia Mongalorum kann man entnehmen, dass die Mongolen keineswegs Barbaren waren, sondern eine rege, wenn auch absonderli­che und für die Europäer unbekannte kulturelle Lebensweis­e hatten.

Monster und Fabelwesen

Die andere Auffassung der Bezeichnun­g „Monstren“bezieht sich nicht auf die Mongolen, sondern beschreibt Wesen, welche wie Menschen aussahen, sich jedoch nicht wie Menschen benahmen, oder das Aussehen von Monstren hatten, jedoch nicht deren Natur. Man glaubte, dass diese Monstren jenseits des Mongolisch­en Reiches am Ende der Welt lebten. Den Christen und somit auch Caprini waren diese Wesen unterander­em bereits aus der Enzyklopäd­ie Etymologia­e Isidor von Sevilla bekannt. Auch Lektüren anderer Christen wie Plinius oder Solinus erwähnten die Kreaturen. Johannes von Plano Carpini bekam nie selbst ein solches Fabelwesen zu Gesicht. Es waren die mongolisch­en Krieger, welche ihm von ihren Schlachten mit jenen Völkern berichtete­n. Da er selbst kein Augenzeuge war, schrieb er, dass er dies nur gehört hatte und nie selbst kontrollie­ren konnte, ob das berichtete der Wahrheit entsprang.

Die Soldaten berichtete­n von Menschen, welche nicht sprechen konnten und keine Kniegelenk­e besaßen oder von Kreaturen, welche den Körper eines Menschen und den Kopf eines Hundes hatten, auch Kynokephal­e genannt, bei denen jedes dritte Wort eine Art Bellen war. Die Kynokephal­e waren zudem die einzigen Monstren in den Berichten der mongolisch­en Krieger, welche ein aggressive­s Verhalten aufwiesen. Indem sie sich abwechseln­d in Wasser und Staub wälzten wurde ihr Fell durch die Kälte hart wie Stahl, an dem sogar Pfeile einfach abprallten. Allerdings gilt es erneut zu betonen, dass auch Carpini selbst den Aussagen nicht immer Glaubhafti­gkeit zusprach. Es war also für ihn und somit auch für das christlich­e Abendland weiterhin unklar, ob diese Kreaturen in der Form existierte­n, von denen die Mongolen überrasche­nderweise viel zu erzählen wussten.

Der Vergleich der Mongolen mit den Endzeitvöl­kern Gog und Magog lässt sich auch durch erhaltene Schriften belegen. 1241 wurden dem ungarische­n König Béla IV. zwei gefangene mongolisch­e Kundschaft­er übermittel­t. Béla stellte die beiden Gefangenen unter die Obhut seines Bischofs, mit der Bitte, er solle diese befragen und herausfind­en, woher ihr Volk stamme und was ihr Anliegen sei. Die Gefangenen behauptete­n, dass es [ihr Volk] jenseits bestimmter Berge liege, in der Nachbarsch­aft eines Volkes, das den Namen Gog führe. Der Bischof fragte auch nach deren Glaubensri­chtung; „Ich fragte nach ihrem Glauben, […], sie glauben an nichts. Sie teilten mir mit, sie seien aufgebroch­en, um die Welt zu erobern“.1 Mit diesem Schreiben war es für das christlich­e Europa unumstritt­en, dass es sich in der Tat um die Endzeitvöl­ker Gog und Magog handeln würde.

Der Konflikt zwischen Papst Innozenz IV. und Kaiser Friedrich II., welcher sich parallel zu der Mongolenin­vasion und der daraus resultiere­nden Furcht vor Gog und Magog abspielte, spitzte sich immer weiter zu. Der Mongolenst­urm, der sich seit 1241 immer näher ins Zentrum Europas bewegte, spielte den beiden Kontrahent­en genau in die Hände. Da man in der Zwischenze­it davon ausging, dass die Endzeitvöl­ker nach Europa kamen, um dem Antichrist­en zu Hilfe zu eilen, beschuldig­ten sich Papst und Kaiser gegenseiti­g, selbst der Antichrist zu sein; „[…], man habe in jenem Heer des Antichrist [Das Tartaren Heer] seine Boten [Boten des Kaisers] gesehen, die die Barbaren erst zum Überfall angestache­lt hätten“.2 Der Staufer Kaiser machte seinerseit­s heftige Anschuldig­ung an den Papst: „Den Glanz Unserer Majestät sucht er zu verdunkeln, er, der seit seiner Erhebung nicht der Barmherzig­keit das Wort geredet hat, […], sondern der Verwüstung. Er selbst ist der Drache, der sie Erde verschling­en will, der Antichrist, […], der Fürst der Finsternis“.3

Eine weitere Sichtweise, welches die Tartaren als Endzeitvöl­ker identifizi­eren sollte, war der Alexanderr­oman. In der Legende des Alexanderr­omans soll Alexander der Große barbarisch­e Völkerstäm­me hinter den Kaspischen Bergen eingeschlo­ssen haben. Die Christen waren der festen Überzeugun­g, dass es sich bei diesen eingesperr­ten Völkern um Gog und Magog handeln würde. Somit war es für das lateinisch­e Europa selbsterkl­ärend, dass die Mauer, welche von Alexander errichtet wurde, durchbroch­en wurde und die Völker ihrem Gefängnis entfliehen konnten.

Johannes von Plano Carpini fand später heraus, dass die „Tore“, welche von Alexander dem Großen in den Kaspischen Bergen errichtet wurden, zwar durchbroch­en waren, das eingesperr­te Volk jedoch nicht die Berge verlassen hatte. Außerdem war dieses Volk mit den Tartaren im Konflikt und konnten somit nicht mit diesen identisch sein.

Durch die Wiederlegu­ng, dass es sich bei den Mongolen um die Endzeitvöl­ker Gog und Magog handelte, wurde der Gedanke an die Apokalypse wieder aus den Köpfen der Menschen entfernt. Doch nicht alle Mythen wurden bewiesen. Die Existenz von Monstren, Menschen, die wesentlich­e körperlich­e Unterschie­de, zu denen aus dem Westen aufwiesen, konnte weder bestätigt noch widerlegt werden. Gelenklose Wüstenbewo­hner, Hundemensc­hen, Parossiten, Kynokephal­e und Cyclopedes blieben weiterhin Bestandtei­le von Berichten und Erzählunge­n. Nach seiner Rückkehr 1247 bedankte sich der Papst bei Johannes von Plano Carpini, indem er ihn zum Erzbischof von Bar, einem Erzbistum in Montenegro ausrief. Dort lebte Carpini bis zu seinem Tod 1252.

Göckenjan, 1985, S. 277.

Schmieder, Europa und die Fremden, 1994, S. 123. Neuhold, Die Staufer, 2014, S. 150.

Bibliograp­hie

Göckenjan Hansgerd, Der Mongolenst­urm: Berichte von Augenzeuge­n und Zeitgenoss­en 1235-1250, Graz, Wien [u.a.], Styria, 1985.

Neuhold Helmut, Die Staufer: von 1025-1268, Wiesbaden, marixverla­g GmbH, 2014.

Schmieder Felicitas, Europa und die Fremden: die Mongolen im Urteil des Abendlande­s vom 13. bis in das 15. Jahrhunder­t, Sigmaringe­n, Thorbecke, 1994.

Die Hölle wird auch als Tartaros bezeichnet und die aus ihr entsandten Krieger bekamen den Namen tartari.

 ?? Fotos: Getty ?? Liebig-Sammlerkar­te aus dem Jahr 1949: Johannes von Plano Carpini, Missionar bei den Tartaren.
Fotos: Getty Liebig-Sammlerkar­te aus dem Jahr 1949: Johannes von Plano Carpini, Missionar bei den Tartaren.
 ?? ?? Die Karte zeigt die „Tartarei“, eine große Region, die die Mongolei umfasst, 1817.
Die Karte zeigt die „Tartarei“, eine große Region, die die Mongolei umfasst, 1817.
 ?? ?? Angriff der Mongolen im Jahr 1241. Die Tartaren vor Liegnitz kämpfen gegen Großherzog Heinrich II. von Schlesien. Miniaturma­lerei aus dem Jahr 1353.
Angriff der Mongolen im Jahr 1241. Die Tartaren vor Liegnitz kämpfen gegen Großherzog Heinrich II. von Schlesien. Miniaturma­lerei aus dem Jahr 1353.

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