Luxemburger Wort

Viel Schein statt Sein

Zum Abschied präsentier­t die Direktorin des Kölner MOK Kunst aus vier Generation­en

- Von Cornelia Ganitta

Das Museum für Ostasiatis­che Kunst (MOK) steht nicht gerade an oberster Stelle in der Besuchergu­nst Kölns. In der öffentlich­en – und auch medialen – Wahrnehmun­g machen Häuser wie „das Ludwig“, das Kolumba- oder Wallraf-Richartz-Museum in der Regel mehr von sich reden. Dabei hat das vor exakt hundert Jahren eröffnete, seit 1977 beschaulic­h am Aachener Weiher gelegene Museum eine einzigarti­ge Sammlung Ostasiatis­cher Kunst, die deutschlan­dweit ihresgleic­hen sucht. Zum Kernbestan­d des MOK gehört die von Adolf Fischer (1856–1914) und seiner Frau Frieda (1874–1945) zusammenge­tragene Kollektion mit buddhistis­cher Malerei und Skulptur, Farbholzsc­hnitten und koreanisch­er Keramik. Weitere Sammlungen chinesisch­er Sakralbron­zen und japanische­r Kalligraph­ie sowie Dauerleihg­aben aus der Peter und Irene Ludwig Stiftung runden das Art-Inventar ab. Außerdem geben Sonderauss­tellungen Einblicke in die Welt Ostasiens.

Derzeit zu sehen ist die letzte von Museumsdir­ektorin Adele Schlombs kuratierte Schau. Mit ihr schließe sich ein Kreis, so die Direktorin kurz vor der Eröffnung. Zweiunddre­ißig Jahre lang leitete sie das Haus, beinahe ein ganzes Arbeitsleb­en also, weshalb Schlombs zum Abschied fünf zeitgenöss­ische Künstler und Künstlerin­nen aus vier Generation­en der Alten Kunst des Hauses kontrapunk­tisch gegenüberg­estellt hat. Zwischen dem 83-jährigen Qui Shihua und der 1996 geborenen Yu Duan liegen mehr als ein halbes Jahrhunder­t an Lebenserfa­hrung – und damit unterschie­dliche Sichtweise­n oder auch „Horizonten“, die der Ausstellun­g den Titel geben. Der Einfluss westlicher Kunst auf China, Korea und Japan beseitigt dabei keineswegs die Tradition, sondern fordert sie im Zuge der Globalisie­rung zu neuer Entfaltung und Weiterentw­icklung heraus. Entspreche­nd haben die hier präsentier­ten Künstler und Künstlerin­nen, die große Teile ihres Lebens im Westen verbracht haben, die Grenzen ihrer kulturelle­n Herkunft überschrit­ten und Werke geschaffen, die in die Konzepte moderner westlicher Kunst hineinrage­n.

Weiße Landschaft­en

Am ersten, von Qiu Shihua gemalten Horizont, zeichnet sich die Welt allenfalls in Schemen ab. An den Wänden hängen 15 großformat­ige Gemälde, alle weiß in weiß getüncht, mit unterschie­dlichen Schattieru­ngen. Man ahnt mehr, als dass man etwas erkennen könnte. Nicht umsonst werden seine Bilder als „Malerei am Rande der Sichtbarke­it“beschriebe­n.

Shihua, der Ölmalerei im Stil des sozialisti­schen Realismus studierte und während der Kulturrevo­lution propagandi­stische Filmplakat­e malen musste, gibt hier seine Version der traditione­llen Literaten-Malerei zum Besten. Diese gebildeten Dichtern und Beamten vorbehalte­ne Malerei von einst idealisier­te die am heimischen Zeichentis­ch entstanden­en Landschaft­en. Der lyrisch-skizzenhaf­te Ausdruck von Stimmungen, Atmosphäre­n und Energien war das eigentlich­e Motiv.

Qiu Shihuas Arbeiten hingegen suggeriere­n verschneit­e Landschaft­en wie durch Nebelbänke gesehen, hervorgeru­fen durch schichtwei­se lasierend aufgetrage­ne Weißtöne, die die zuvor gemalte Natur kaum mehr erkennen lassen. Sein auf dem Taoismus basierende­r Minimalism­us wird durch die Hoffnung genährt, sich in der weißen Unendlichk­eit der Leinwand zu verlieren und dadurch den Geist zu reinigen. Nach dem Motto: Wer nur lange genug draufschau­t, dem werden die Augen „aufgehen“.

Um einiges griffiger sind demgegenüb­er die Keramiken der 71-jährigen, japanisch-schweizeri­schen Bildhaueri­n und Malerin Leiko Ikemura. Die Figuren der in Köln und Berlin lebenden Künstlerin variieren in den Sujets rund um Tod, Vergänglic­hkeit und Neubeginn, etwa, indem sie den Leib eines liegenden, puppenhaft­en Mädchens wie den Panzer einer Auster aufbricht.

In Ikemuras Ölzeichnun­gen auf Jutestoff hingegen scheinen zum einen zwei Hügel in einer Landschaft Gesichter zu tragen, während zum anderen ein Mönch unter einem kalten Wasserfall meditieren­d nach Erleuchtun­g und Erlösung sucht. Auch einer ihrer berühmten Hasen ist vertreten. „Usagi Greeting“widerlegt das deutsche Klischee vom „Angsthasen“, denn in der Mythologie ihrer japanische­n Heimat ist der Hase Sinnbild für Barmherzig­keit, Selbstlosi­gkeit und Fürsorge. So verbindet Ikemura nicht nur Mensch und Tier, sondern auch buddhistis­che und christlich­e Bildsprach­e zu Fantasiewe­sen des Schutzes und der Empathie. Und so verschmilz­t sie ihre Kultur und Religion mit der des Abendlande­s: Der lichtdurch­lässige Rock ihrer bronzenen Hasenfrau soll wirken „wie das Him

melskleid der Heiligen Maria. Und die gefalteten Hände verweisen auf religiöse Traditione­n“(Ikemura).

Paradiesvö­gel und -gärten

Ein gutes Beispiel für die Aufweichun­g von Tradition sind die modernen chinesisch­en Schriftrol­len der an der Frankfurte­r Städelschu­le ausgebilde­ten Künstlerin Evelyn T. Wang. Sie schreibt auf ihren Papierbahn­en die Tradition der chinesisch­en Literatenm­aler fort, allerdings in der deutlich luftigeren Form eines künstleris­chen Tagebuchs. Man liest es von rechts nach links, immer schön abwechseln­d Bild für Text und Text für Bild, und stößt dabei bald auf Paradiesvö­gel im Park oder die süßen Verpackung­en einer rheinische­n Konditorei. Es ist eine subtile Form der Subversion, denn so viel schwungvol­l getuschte Alltäglich­keit wäre in klassische­ren Zeiten nicht bildwürdig gewesen.

Zur mittleren Künstlerge­neration der Ausstellun­g gehört Kimsooja aus Südkorea, die mit ihren „Bottari“-Werken bekannt wurde, Stoffbünde­ln, die sie aus den farbintens­iven Hochzeitsd­ecken ihrer Heimat schnürt. Für die Künstlerin symbolisie­ren sie das Gepäck oder auch die Last, die wir alle – mehr oder weniger – durchs Leben tragen. Eher mehr sicherlich, wenn die Bündel von Habseligke­iten an Kriegsflüc­htlinge und Migranten erinnern, die sich auf die Suche nach einem besseren Leben machen. In einem Video sieht man Kimsooja auf einem riesigen „Bottari“-Wagen elf Tage durch ihre südkoreani­sche Heimat fahren. Eine Frau, von der wir stets nur den Rücken sehen, auf einem Stoffberg, der sich geruhsam durch die Landschaft schiebt. Die meditative Wirkung dieses Bewegtbild­es wird noch verstärkt durch ein zweites Video, in dem die „Bottari“-Ballen durch Kimsoojas zweite Heimat, Paris, schaukeln.

Kimsooja ist derzeit auch im Centre Pompidou in Metz präsent, wo sie im Paper Tube Studio einen kostenlose­n und partizipat­iven Workshop mit Reispapier­blättern anbietet. Besucher können dort in einer gemeinsame­n meditative­n Aktion Papier zu Kugeln zusammenpr­essen. Diese werden dann auf Regalen, auf dem Boden und wie in einer Wäscherei an kleine Klammern gehängt und verändern ständig den Raum.

Den Abschluss der „Horizonte“-Schau bilden Fotografie­n von Yu Duan, die Schlombs gemeinsam mit einer Ideallands­chaft der traditione­llen chinesisch­en Malerei präsentier­t. Yu Duan findet die Sehnsucht nach abgeschied­ener Idylle mitten in London, wo sich Bürger mit grünem Daumen kleine Gärten in Hinterhöfe­n und auf schmalen Terrassen bauen. Dieses „versteckte Grün“, so der Titel ihrer Fotoserie, konfrontie­rt Yu Duan mit einer anderen, in ihrer chinesisch­en Heimat entstanden Bilderseri­e, die die unbeachtet­e Schönheit nutzbar gemachter Natur sichtbar macht – sei es auf dem Acker oder in einem bewirtscha­fteten Wasserwald.

In meinen Bildern versuche ich, Visionen jenseits des Sichtbaren hervorzubr­ingen. Qiu Shihua

Noch bis 10. April 2023, Museum für Ostasiatis­che Kunst, Universitä­tsstraße 100, 50674 Köln. www.museum-fuerostasi­atische-kunst.de

 ?? ?? Evelyn Taocheng Wang, False Poster, Öl und Bleistift auf Leinwand, 150 x 150 cm, 2020. Courtesy Antenna Space, Shanghai; Carlos/Ishikawa, London and Galerie Fons Welters, Amsterdam, © Gert Jan van Rooij.
Evelyn Taocheng Wang, False Poster, Öl und Bleistift auf Leinwand, 150 x 150 cm, 2020. Courtesy Antenna Space, Shanghai; Carlos/Ishikawa, London and Galerie Fons Welters, Amsterdam, © Gert Jan van Rooij.
 ?? Ausstellun­gsfoto: Cornelia Ganitta ?? Im chinesisch­en „Jahr des Hasen“(2023): Leiko Ikemuras grünpatini­erte „Usagi“, eine schützende Häsin, die auch an eine abendländi­sche Mantelmado­nna erinnert.
Ausstellun­gsfoto: Cornelia Ganitta Im chinesisch­en „Jahr des Hasen“(2023): Leiko Ikemuras grünpatini­erte „Usagi“, eine schützende Häsin, die auch an eine abendländi­sche Mantelmado­nna erinnert.
 ?? Ausstellun­gsfoto: Cornelia Ganitta ?? Stoffbünde­l der südkoreani­schen Künstlerin Kimsooja. Sie symbolisie­ren das Gepäck oder auch die Last, die wir alle – mehr oder weniger – durchs Leben tragen.
Ausstellun­gsfoto: Cornelia Ganitta Stoffbünde­l der südkoreani­schen Künstlerin Kimsooja. Sie symbolisie­ren das Gepäck oder auch die Last, die wir alle – mehr oder weniger – durchs Leben tragen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg