Forscher aus Luxemburg schießen Mini-Gehirne ins All
Erstmals hebt ein Projekt aus dem Großherzogtum am Samstag zur Internationalen Raumstation ab. Es soll das Leben mit Parkinson und Alzheimer erleichtern
Viele Menschen würden wohl sagen, dass es auf der Internationalen Raumstation (ISS) keine Schwerkraft gibt. Und wohl darauf verweisen, dass zahlreiche Aufnahmen die Astronauten oder ihr Material im schwerelosen Zustand durch die Station schwebend zeigen.
Allerdings ist die Lage etwas komplizierter: Tatsächlich zieht die Masse der Erde alles auf der ISS auch in 400 Kilometer Entfernung noch mächtig an: mit 88 Prozent der Kraft, die wir hier auf der Erdoberfläche erfahren. Gleichzeitig befindet sich die Raumstation permanent im freien Fall. Sie rast mit 7.600 Metern pro Sekunde an der Erde vorbei, die sich unter dem rasenden Gerät wegdreht. Die Besatzung befindet sich dadurch lediglich annähernd in Schwerelosigkeit – der sogenannten Mikrogravitation.
Genau diese besonderen Verhältnisse macht sich nun ein Team von der Universität Luxemburg zunutze – zwei Forschende vom Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) und drei vom Interdisciplinary
Centre for Security, Reliability and Trust (SnT). Vom Kennedy Space Center in Florida (USA) aus schicken sie gemeinsam mit den Raumfahrt-Spezialisten der NASA und SpaceX 3D-Zellmodelle, die einen Teil des menschlichen Mittelhirns nachbilden, ins All. Ein Novum: Es ist das erste Forschungsprojekt aus Luxemburg, das auf der ISS Einzug hält.
Wachstum im All für bessere Analysen
Die Modelle werden auch als Organoide bezeichnet. Vorstellen kann man sie sich als eine zwei Millimeter große Kugel. „Wir vermuten, dass sich die Mikrogravitation auf ihr Wachstum auswirkt. Die auf der Erde herrschenden physikalischen Bedingungen begrenzen dies“, erklärt Elisa Zuccoli, Doktorandin der Neurobiologie und Teamleiterin.
Sie und ihre Mitstreiter erhoffen sich durch das „Brains“-Projekt (Biological Research using Artificial Intelligence for Neuroscience in Space), dass die „Mini-Gehirne“in der neuen Umgebung eine Größe von bis zu fünf Millimetern erreichen, ähnlich dem natürlichen Wachstum der schwimmenden Zellen während der Embryonalentwicklung. Im Labor gezüchtete Organoide sind nicht nur kleiner, sondern weisen auch eine höhere Zelldichte auf, die es schwieriger mache, sie in ihrer räumlichen Anordnung zu analysieren.
„Wir versuchen, dieses Forschungsmodell zu verbessern, um in Zukunft nicht nur neue Erkenntnisse über neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder ALS zu bekommen, sondern auch, um Testverfahren für Medikamente zu vereinfachen und die personalisierte Medizin zu verbessern“, fasst Zuccoli zusammen. Die Resultate des Projektes könnten von großer Bedeutung sein, insbesondere für die Pharmaindustrie und die regenerative Medizin, wie sie sagt.
Da Elisa Zuccoli und ihre Kollegin Daniela Vega Gutiérrez für ein Vorhaben wie dieses als Neurobiologinnen alleine nicht weit kommen würden, werden sie von einem Ingenieurswissenschaftler der Universität Luxemburg unterstützt, genauer gesagt von José Ignacio Delgado Centeno, Doktorand der Weltraumrobotik, und den beiden Studentinnen Aelyn Chong Castro und Lina María Amaya Mejía. Sie entwickelten das Behältnis, in dem die Zellkulturen ihren Flug zur
Die 3D-Zellkulturen bleiben insgesamt 30 Tage lang auf der ISS.
ISS antreten und anschließend im All wachsen sollen.
Dabei handelt es sich um eine etwa 30 Zentimeter lange Box, das „Cube Lab“, das lediglich von den Astronauten an Bord der ISS an die Stromversorgung angeschlossen wird. Anschließend arbeitet das Gerät automatisch, versorgt die 30 Mittelhirn-Organoide in seinem Inneren in vorgegebenen Intervallen mit Nährstoffen und hält die Temperatur auf konstanten 37 Grad Celsius.
Die 3D-Zellkulturen bleiben insgesamt 30 Tage lang auf der ISS. Danach werden sie zur Auswertung zurück nach Luxemburg geschickt und mit auf der Erde gezüchteten Organoiden verglichen. „Nach dieser Analyse versuchen wir, ein Modell mit der Parkinsonschen Krankheit ins All zu schicken, um die neuropathologischen Auswirkungen der Mikrogravitation darauf zu untersuchen“, beschreibt Elisa Zuccoli den möglichen nächsten Schritt ihrer Arbeit.
NASA-Labore in Luxemburger Hand
Dass das „Cube Lab“überhaupt in die Erdumlaufbahn geschossen wird, wurde durch den Wettbewerb „Überflieger 2“möglich, in dessen Rahmen die Experimentidee aus Lu
xemburg und drei weitere aus Deutschland zur ISS geschickt wurden. Ausgeschrieben wurde der Wettbewerb von der Luxembourg Space Agency (LSA), der Deutschen Raumfahrtagentur (DLR), der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (PDG) sowie der Firma Yuri, die sich mit Weltraum-Biotechnologie beschäftigt.
Die „Brains“-Verantwortlichen sind bereits in der vergangenen Woche am Weltraumbahnhof Cape Canaveral in den USA angekommen. Auch beim Start „ihrer“Rakete werden sie anwesend sein. „Wir bereiten hier die Zellen für den Transport ins All vor und organisieren das Projekt. Für uns ist das natürlich eine einmalige Gelegenheit. Es ist wirklich beeindruckend, in einem offiziellen Labor zu arbeiten, in dem die NASA Tag für Tag tätig ist. Das Labor ist für unsere Bedürfnisse gut ausgestattet und der Zugang ist sehr streng geregelt“, sagt Elisa Zuccoli.
Für uns ist das natürlich eine einmalige Gelegenheit. Elisa Zuccoli