Luxemburger Wort

Forscher aus Luxemburg schießen Mini-Gehirne ins All

Erstmals hebt ein Projekt aus dem Großherzog­tum am Samstag zur Internatio­nalen Raumstatio­n ab. Es soll das Leben mit Parkinson und Alzheimer erleichter­n

- Von Sebastian Weisbrodt

Viele Menschen würden wohl sagen, dass es auf der Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS) keine Schwerkraf­t gibt. Und wohl darauf verweisen, dass zahlreiche Aufnahmen die Astronaute­n oder ihr Material im schwerelos­en Zustand durch die Station schwebend zeigen.

Allerdings ist die Lage etwas komplizier­ter: Tatsächlic­h zieht die Masse der Erde alles auf der ISS auch in 400 Kilometer Entfernung noch mächtig an: mit 88 Prozent der Kraft, die wir hier auf der Erdoberflä­che erfahren. Gleichzeit­ig befindet sich die Raumstatio­n permanent im freien Fall. Sie rast mit 7.600 Metern pro Sekunde an der Erde vorbei, die sich unter dem rasenden Gerät wegdreht. Die Besatzung befindet sich dadurch lediglich annähernd in Schwerelos­igkeit – der sogenannte­n Mikrogravi­tation.

Genau diese besonderen Verhältnis­se macht sich nun ein Team von der Universitä­t Luxemburg zunutze – zwei Forschende vom Luxembourg Centre for Systems Biomedicin­e (LCSB) und drei vom Interdisci­plinary

Centre for Security, Reliabilit­y and Trust (SnT). Vom Kennedy Space Center in Florida (USA) aus schicken sie gemeinsam mit den Raumfahrt-Spezialist­en der NASA und SpaceX 3D-Zellmodell­e, die einen Teil des menschlich­en Mittelhirn­s nachbilden, ins All. Ein Novum: Es ist das erste Forschungs­projekt aus Luxemburg, das auf der ISS Einzug hält.

Wachstum im All für bessere Analysen

Die Modelle werden auch als Organoide bezeichnet. Vorstellen kann man sie sich als eine zwei Millimeter große Kugel. „Wir vermuten, dass sich die Mikrogravi­tation auf ihr Wachstum auswirkt. Die auf der Erde herrschend­en physikalis­chen Bedingunge­n begrenzen dies“, erklärt Elisa Zuccoli, Doktorandi­n der Neurobiolo­gie und Teamleiter­in.

Sie und ihre Mitstreite­r erhoffen sich durch das „Brains“-Projekt (Biological Research using Artificial Intelligen­ce for Neuroscien­ce in Space), dass die „Mini-Gehirne“in der neuen Umgebung eine Größe von bis zu fünf Millimeter­n erreichen, ähnlich dem natürliche­n Wachstum der schwimmend­en Zellen während der Embryonale­ntwicklung. Im Labor gezüchtete Organoide sind nicht nur kleiner, sondern weisen auch eine höhere Zelldichte auf, die es schwierige­r mache, sie in ihrer räumlichen Anordnung zu analysiere­n.

„Wir versuchen, dieses Forschungs­modell zu verbessern, um in Zukunft nicht nur neue Erkenntnis­se über neurodegen­erative Krankheite­n wie Alzheimer, Parkinson oder ALS zu bekommen, sondern auch, um Testverfah­ren für Medikament­e zu vereinfach­en und die personalis­ierte Medizin zu verbessern“, fasst Zuccoli zusammen. Die Resultate des Projektes könnten von großer Bedeutung sein, insbesonde­re für die Pharmaindu­strie und die regenerati­ve Medizin, wie sie sagt.

Da Elisa Zuccoli und ihre Kollegin Daniela Vega Gutiérrez für ein Vorhaben wie dieses als Neurobiolo­ginnen alleine nicht weit kommen würden, werden sie von einem Ingenieurs­wissenscha­ftler der Universitä­t Luxemburg unterstütz­t, genauer gesagt von José Ignacio Delgado Centeno, Doktorand der Weltraumro­botik, und den beiden Studentinn­en Aelyn Chong Castro und Lina María Amaya Mejía. Sie entwickelt­en das Behältnis, in dem die Zellkultur­en ihren Flug zur

Die 3D-Zellkultur­en bleiben insgesamt 30 Tage lang auf der ISS.

ISS antreten und anschließe­nd im All wachsen sollen.

Dabei handelt es sich um eine etwa 30 Zentimeter lange Box, das „Cube Lab“, das lediglich von den Astronaute­n an Bord der ISS an die Stromverso­rgung angeschlos­sen wird. Anschließe­nd arbeitet das Gerät automatisc­h, versorgt die 30 Mittelhirn-Organoide in seinem Inneren in vorgegeben­en Intervalle­n mit Nährstoffe­n und hält die Temperatur auf konstanten 37 Grad Celsius.

Die 3D-Zellkultur­en bleiben insgesamt 30 Tage lang auf der ISS. Danach werden sie zur Auswertung zurück nach Luxemburg geschickt und mit auf der Erde gezüchtete­n Organoiden verglichen. „Nach dieser Analyse versuchen wir, ein Modell mit der Parkinsons­chen Krankheit ins All zu schicken, um die neuropatho­logischen Auswirkung­en der Mikrogravi­tation darauf zu untersuche­n“, beschreibt Elisa Zuccoli den möglichen nächsten Schritt ihrer Arbeit.

NASA-Labore in Luxemburge­r Hand

Dass das „Cube Lab“überhaupt in die Erdumlaufb­ahn geschossen wird, wurde durch den Wettbewerb „Überfliege­r 2“möglich, in dessen Rahmen die Experiment­idee aus Lu

xemburg und drei weitere aus Deutschlan­d zur ISS geschickt wurden. Ausgeschri­eben wurde der Wettbewerb von der Luxembourg Space Agency (LSA), der Deutschen Raumfahrta­gentur (DLR), der Deutschen Physikalis­chen Gesellscha­ft (PDG) sowie der Firma Yuri, die sich mit Weltraum-Biotechnol­ogie beschäftig­t.

Die „Brains“-Verantwort­lichen sind bereits in der vergangene­n Woche am Weltraumba­hnhof Cape Canaveral in den USA angekommen. Auch beim Start „ihrer“Rakete werden sie anwesend sein. „Wir bereiten hier die Zellen für den Transport ins All vor und organisier­en das Projekt. Für uns ist das natürlich eine einmalige Gelegenhei­t. Es ist wirklich beeindruck­end, in einem offizielle­n Labor zu arbeiten, in dem die NASA Tag für Tag tätig ist. Das Labor ist für unsere Bedürfniss­e gut ausgestatt­et und der Zugang ist sehr streng geregelt“, sagt Elisa Zuccoli.

Für uns ist das natürlich eine einmalige Gelegenhei­t. Elisa Zuccoli

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Fotos: Universitä­t Luxemburg Ein Mittelhirn-Organoid unter dem Mikroskop.
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Eine Hälfte des „Cube Lab“besteht aus Elektronik, in der anderen ist genug Platz für 30 Zellkultur­en.
 ?? ?? Elisa Zuccoli, José Ignacio Delgado Centeno und Daniela Vega Gutiérrez (v.l.n.r.) zeichnen für das „Brains“-Projekt verantwort­lich.
Elisa Zuccoli, José Ignacio Delgado Centeno und Daniela Vega Gutiérrez (v.l.n.r.) zeichnen für das „Brains“-Projekt verantwort­lich.
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